Erstellt am: 3. 12. 2010 - 19:14 Uhr
"Es gibt kein Bleiberecht in Österreich"
Claus Pirschner
Der Rechtsanwalt Dr. Thomas Neugschwendtner ist neben seinem Kompagnon Wilfried Embacher einer der wenigen Spezialisten für Fremdenrecht in Österreich. Er vertritt unter anderem Menschen, die einen Antrag auf humanitäres Aufenthaltsrecht stellen. Derzeit überarbeitet er das Handbuch zum österreichischen Fremdenrecht.
Seit letztem Jahr gibt es das humanitäre Aufenthaltsrecht. Was hat das Gesetz gebracht?
Nach der alten Rechtslage war es so, dass Personen, die sehr lange in Österreich gelebt und sehr intensive Bindungen hier hatten, nicht mehr ausgewiesen werden konnten. Gleichzeitig hatte aber der Gesetzgeber nicht dafür gesorgt, dass sie auch ein Aufenthaltsrecht bekommen. Das waren quasi geduldete Illegale. Der Verfassungsgerichtshof hat dann entschieden, dass dieser Graubereich nicht sein kann. Wenn man jemanden nicht mehr zwingen kann, Österreich zu verlassen, dann muss man ihm auch ein Aufenthaltsrecht geben. Der Gesetzgeber hat die Vorgaben, die der VfGH gemacht hat, dann auf die restriktivste aller Möglichkeiten umgesetzt. Die breite Masse von denen, die schon sehr lange im Asylverfahren stehen, hat letztlich nicht davon profitiert.
Was heißt das konkret?
Nur wenn man aufgrund von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf Privat- und Familienleben regelt, den Anspruch hat, hier zu bleiben, dann bekommt man ein Aufenthaltsrecht. Das ergibt sich aber ohnehin schon zwingend aus der Verfassung, genau das war der Punkt vom Verfassungsgerichtshof. Der Gesetzgeber hätte großzügiger sein können und auch bei Personen, die einfach länger hier leben und unbescholten sind, ein Aufenthaltrsrecht einräumen können, genau das ist nicht gemacht worden.
Was ist denn für die AntragstellerInnen das größte Problem, wenn sie das humanitäre Bleiberecht bekommen wollen?
Einmal ist da ein strukturelles Problem, weil die Sicherheitsdirektion entscheidet, die natürlich eine sehr fremdenpoilizeiliche Sicht der Dinge hat. Dazu kommt aber noch: Wenn es keine Bindungen gibt, keine familiären oder privaten, dann habe ich ohnehin keine Chance. Und wenn ich diese familiären oder privaten Bindungen habe, dann wird sehr oft gesagt, die habe ich mir erst im Laufe der Jahre erworben, während mein Aufenthaltsstatus unsicher war. Ich hätte ja nicht von Anfang an damit rechnen können, dass ich hier bleibe. Und deswegen zählen diese Bindungen weniger oder gar nichts. Das ist ein Totschlagargument, gegen das man schwer ankommt.
In Südeuropa gibt es immer wieder Programme zur Massenregulierung von EinwandererInnen. Da werden einfach große Zahlen von Personen mit nicht geregeltem Aufenthaltsstatus regularisiert. Wäre so etwas eine Lösung auch für Österreich?
Auf jeden Fall, denn die Problematik hier ist ja dadurch entstanden, dass in der Vergangenheit die Asylverfahren extrem lange gedauert haben. Fünf, zehn Jahre, mitunter auch 15 Jahre. Die Leute leben hier, haben hier ihre Bindungen, die Kinder gehen hier zur Schule, sind oft hier geboren, kennen ihr "Heimatland" gar nicht. Dadurch entstehen diese menschlichen Tragödien, wenn diese Leute dann nach vielen, vielen Jahren das Land verlassen müssen.
Jetzt versucht man, die Asylverfahren schneller zu führen. Es wäre durchaus sinnvoll, einen Schnitt zu machen und die Altfälle sozusagen zu legalisieren. Dann kann man sich ausschließlich den neuen Verfahren widmen, die Behörden hätten keinen Arbeitsanfall mehr mit alten Fällen, könnten die neuen schnell und zügig durchführen, und dann würde dieses Problem nicht neu entstehen. Das wäre ein Gebot der Stunde.
Wie wünschen Sie sich denn die Zukunft des Bleiberechts in Österreich?
Ich würde mir wünschen, dass man eine generelle Regelung findet für die Altfälle, weil dann ein wesentlicher Druck wegfallen würde. Bei neuen Fällen würde ich mir wünschen, dass man – speziell bei Familien – nicht nur auf die Eltern schielt, sondern dass man auch die Interessen der Kinder berücksichtigt. Das fällt nämlich völlig unter den Tisch. Die Kinder kennen teilweise ihr "Heimatland" gar nicht, gehen hier zur Schule, können die Sprache ihres "Heimatlandes" manchmal gar nicht, oft nur schlecht. Aber das alles zählt nicht, entscheidend sind hier nur die Bindungen der Eltern.
Könnte die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung da auch manche Abschiebung verhindern?
Einerseits wäre es natürlich legistisch notwendig, die Kinderrecht zu stärken. Man könnte aber auch mit der jetzigen Rechtslage stärker auf die Interessen der Kinder eingehen. Es steht nicht im Gesetz geschrieben, dass nur die Interessen der Eltern zu berücksichtigen sind und die der Kinder unberücksichtigt bleiben. Das ist einfach derzeit Behördenpraxis.