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Claus Pirschner

Politik im weitesten Sinne, Queer/Gender/Diversity, Sport und Sonstiges.

3. 12. 2010 - 16:48

Fremden(un)recht in Österreich

Ein Jahrzehnt fragwürdiger Verschärfungen im Überblick.

FM4 unterstützt heuer im Rahmen von Licht ins Dunkel das Freunde Schützen Haus in Wien. Dort suchen Menschen Zuflucht, die seit vielen Jahren in Österreich leben und denen jetzt eine Abschiebung droht. Sie haben sich während jahrelanger Asylverfahren in Österreich integriert. Was für einem Fremdenrecht sind sie ausgesetzt? Hier ein Überblick.

Wer kommt nach Österreich und wie ist das gesetzlich geregelt?

Insgesamt wandern jährlich an die 100.000 Menschen in Österreich ein, und etwas weniger wandern aus (2009: 107.000 Einwanderer und 87.000 Auswanderer). Die meisten Menschen kommen aus Staaten des EWR, des Europäischen Wirtschaftsraumes nach Österreich. Hier herrscht rechtlich eine weitgehende Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit inklusive Arbeitserlaubnis. Nur kleinere Einwanderungsgruppen stammen nicht aus dem EWR-Raum und sind ausländische Familienangehörige österreichischer StaatsbürgerInnen, Studierende, KünstlerInnen und Schlüsselarbeitskräfte. Im Vergleich zur Gesamteinwanderugszahl sucht jährlich auch eine relativ geringe Anzahl Menschen um Asyl an: 16.000 haben im Jahr 2009 um Asyl beantragt. Nur 3200 Menschen haben im selben Jahr Asyl erhalten. Es kommen seit Jahren immer weniger AsylsucherInnen – 2002 gab es noch 39.000 Anträge - dennoch verschärft das Parlament nach wie vor permanent das Asylgesetz.

Restriktionen seit Ende der 90er Jahre

1997 hatte Österreich - verglichen mit heute - ein deutlich liberaleres Asyl- und Fremdenrecht. Ausländische Familienmitglieder hatten beispielsweise Niederlassungsfreiheit in Österreich. Daruf folgte eine ständige, fast jährliche und bis heute andauernde Verschärfung des Fremdenrechts. Die bisher massivste und umstrittenste Novellierung beschloss das Parlament 2005 unter der schwarz-orangen Koalition mit Zustimmung der Sozialdemokraten. Seitdem können auch traumatisierte AsylsucherInnen abgeschoben werden, die Schubhaft wurde ausgedehnt und die Asylgründe wurden eingeschränkt.

Am 1. Jänner 2010 trat die letzte Reform des Fremdenrechts in Kraft: noch mehr Schubhaft und schnelleres Abschieben lautet die Devise. Für 2011 ist die nächste Verschärfung vorgesehen: AsylsucherInnen dürfen das Flüchtlingslager an den ersten 5 bis 7 Tagen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht mehr verlassen. Internierung nennen das sogar Rechtsexperten. Symbolträchtig ist der zukünftige Ausweis für AsylsucherInnen in der ersten Woche: sie bekommen eine sogenannte rote Karte.

Fremdenrechtsexperte „Mit allgemeinen Verschärfungen kann man Missbrauch nicht bekämpfen"

Jurist Neugschwendtner im FM4 Studio

Claus Pirschner

Thomas Neugschwendtner, Jurist und Verfasser eines im Jänner 2011 erscheinenden Handbuches zum Fremdenrecht in Österreich, kritisiert die Gesetzeslage: „Der vorgeschobene Grund für diese Änderungen ist es immer, Missbrauch zu bekämpfen. Wenn man Verschärfungen macht, dann trifft es alle. Nicht nur Leute, die jetzt - unter Anführungszeichen - versuchen, dieses Recht zu missbrauchen, sondern auch die, die einfach diese Berechtigung haben. Das heißt: Mit allgemeinen Verschärfungen kann man dieses Ziel sicherlich nicht verfolgen. Da müsste man zielgerichtet die typischen Missbrauchshandlungen bekämpfen. Das ist allerdings nicht gemacht worden. Dahinter steckt wohl einfach der politische Wille, einer gewissen Grundstimmung nachzugeben.“

Die Fremdengesetze sind nicht nur restriktiv sondern auch verfassungsmäßig umstritten. So ist nur auf Verlangen des österreichischen Verfassungsgerichtshofes eine Art Bleiberecht vom Gesetzgeber vorgesehen worden. Und auch aktuelle Novellen könnten laut Neugschwendtner das Höchstgericht bald beschäftigen: Die baldige, bis zu sieben Tage dauernde permanente Anwesenheitspflicht im Erstaufnahmezentrum; oder, dass eine Ehe mit einem/r ÖsterreicherIn erst einen Rechtsanspruch zur Niederlassung zur Folge hat, wenn beide PartnerInnen bei der Eheschließung mindestens 21 Jahre alt waren.

Der Jurist Thomas Neugschwendtner sieht dringenden Handlungsbedarf beim Fremdenrecht: Es brauche ein grundlegend einfacheres System, also einfachere, klarere Verfahren. Nicht nur Schlüsselarbeitskräfte sondern auch gewöhnliche Erwerbstätige sollen einwandern dürfen, wenn sie am Arbeitsmarkt gebraucht werden. Neugschwendtner führt als Beispiel einen seiner Mandanten an: "Er hat in Österreich Medizin studiert. Ein weiteres Aufenthaltsrecht hat er nicht bekommen, weil man als Turnusarzt keine Schlüsselkraft ist. Ergebnis ist, dass er jetzt in Deutschland arbeitet. Österreich hat ihm die Ausbildung finanziert. Deutschland freut sich, dass es kostenlos einen Mediziner bekommen hat."