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Ballesterer FM

Artikel aus dem Magazin zur offensiven Erweiterung des Fußballhorizonts.

1. 12. 2010 - 16:55

Was kostet die Welt?

Militärdiktaturen als freundliche Gastgeber, asiatisches Wettrüsten, deutsche Waffenexporte – die Geschichte der WM-Vergaben ist reich an haarsträubenden Geschichten, wie ein Blick auf aktuelle und vergangene Abstimmungen beweist.

von Mathias Slezak

"Flug von Tahiti nach Zürich: 2.000 Euro. Übernachtung in einem 5-Sterne-Hotel: 500 Euro. Die WM: unbezahlbar." So ähnlich hätte wohl ein Werbespot des langjährigen FIFA-Sponsors Mastercard zur Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 am 2. Dezember in Zürich ausgesehen. Wenn nicht in der Zwischenzeit zwei Dinge passiert wären: Zum einen wurde Mastercard im Vorfeld der WM 2010 von Visa als Sponsor abgelöst, zum anderen hat der FIFA-Offizielle Reynald Temarii unfreiwillig den Preis für seine Wahlstimme veröffentlicht.

Zwei als amerikanische Geschäftsleute getarnte Reporter der britischen Sunday Times kontaktierten Temarii, Präsident des Ozeanischen Fußballverbands, mit dem Wunsch, die WM 2022 um jeden Preis in die USA zu holen. Der 43-Jährige soll Gesprächsbereitschaft signalisiert und als Gegenleistung 1,6 Millionen Euro für den Bau einer neuen Fußballakademie in Auckland gefordert haben. Doch nicht nur er fiel auf die verdeckt arbeitenden Journalisten herein. Auch das Abstimmungsverhalten des nigerianischen Funktionärs Amos Adamu hätte sich durch den Bau von neuen Kunstrasenplätzen um rund 570.000 Euro wohl beeinflussen lassen. "Wenn Sie das Geld investieren, ist natürlich klar, dass Sie im Gegenzug meine Stimme haben wollen", soll Adamu gesagt haben, der sich das Geld auf sein Privatkonto überweisen lassen wollte. Die Sunday Times veröffentlichte Mitte Oktober die Ergebnisse ihrer Recherchen, eineinhalb Monate vor der WM-Vergabe war der Skandal perfekt.

Zu Gast bei Diktatoren

Der aktuelle Korruptionsfall ist nicht der erste in den Reihen der FIFA, den die englische Zeitung aufdeckte. Bereits 1974 berichtete sie nach dem Sieg von Joao Havelange in der Präsidentenwahl von "kleinen braunen Umschlägen", die den Delegierten die Entscheidung erleichtert haben soll. Große Aufregung gab es auch um die Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien. Nachdem zwei Jahre zuvor das Militär General Jorge Rafael Videla an die Macht geputscht hatte, hätte die FIFA genug Zeit gehabt, einen anderen Austragungsort zu finden. Verschleppungen, Folter und politischer Mord standen in der argentinischen Militärdiktatur auf der Tagesordnung – über 15.000 Opfer soll die Gewaltherrschaft bis zu ihrem Ende 1983 gefordert haben. Doch die FIFA entschied, das Turnier wie geplant auszurichten und so kam es nach Italien 1934 wieder zu einer WM mit einem Diktator als Gastgeber.

Der junge Hans Krankl im Fußballtrikot; Cover der Zeitschrift "Ballesterer"

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Dieser Text erschien auch in der aktuellen Ausgabe des ballesterer Nr. 58 (Dezember 2010), ab sofort im Zeitschriftenhandel

Außerdem in dieser Ausgabe
Wiener Blut - Hans Krankl und wie ihn die Welt sah

1986 hätte der Weltmeister eigentlich in Kolumbien gekrönt werden sollen. Da das Land jedoch nicht alle Auflagen der FIFA rechtzeitig erfüllen konnte und einige Stadien noch nicht einmal in Bau waren, entschied sich der kolumbianische Verband 1982, auf die Austragung zu verzichten. Als Ersatzkandidaten kamen Brasilien, Kanada, Mexiko und die USA infrage. Nach dem Ausscheiden der Brasilianer und Kanadier galten die Vereinigten Staaten als Favorit. Jedoch hatte die FIFA noch zwei Jahre zuvor gedroht, die USA auszuschließen, da der Verband einige internationale Regeln in der nationalen Meisterschaft nicht beachten wollte. Dazu kam, dass die traditionell starken Lobbys der Football- und Baseball-Industrie kein Interesse am Erstarken des ungeliebten Soccer hatten. Unterm Strich stand schließlich ein einstimmiges Votum des FIFA-Exekutivkomitees für Mexiko.

Asiatisches Wettrüsten, deutsche Investitionen

16 Jahre später wurde zum ersten Mal eine Weltmeisterschaft von zwei Nationen, Japan und Südkorea, ausgetragen. Dass es dazu kam, lag an einer Fehleinschätzung von Havelange, der ursprünglich die getrennte Kandidatur beider Länder zuließ und dabei die Nachwirkungen der gemeinsamen Geschichte unterschätzte. Südkorea war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Japan besetzt worden, und so entwickelte sich die getrennte Bewerbung von Südkorea und Japan zu einem Wettrüsten, in dem keines der beiden Länder sein Gesicht verlieren wollte.

Der FIFA-Präsident soll damals der japanischen Delegation seine Unterstützung zugesagt haben, und bald machten erneut Gerüchte über Bestechungsversuche die Runde. "Ich habe gemeinsam mit anderen Europäern sofort die beiden WM-Bewerber kontaktiert. Wir haben ihnen gesagt, dass wir keine derartigen Geschenke bekommen wollen", wurde der britische Repräsentant und FIFA-Vizepräsident David Will in der Sunday Times zitiert. Um eine Eskalation der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Bewerbern zu vermeiden, beauftragte die FIFA schließlich beide Staaten mit der Ausrichtung der WM – eine Lösung, die sie zuvor wegen des riesigen finanziellen und organisatorischen Mehraufwands kategorisch abgelehnt hatte.

2006 sollte die Weltmeisterschaft in Afrika stattfinden. Havelange-Nachfolger Sepp Blatter hatte das bei seiner Wahl zum FIFA-Präsidenten 1998 versprochen, um die afrikanischen Delegierten auf seine Seite zu bringen. Blatter stellte sich öffentlich hinter die Kandidatur Südafrikas, die auf Nelson Mandela als Sympathieträger setzte. Größter Konkurrent Südafrikas war Deutschland, das auf Franz Beckenbauer und den Status als Wirtschaftsgroßmacht baute. Der deutsche Medientycoon Leo Kirch erwarb für jeweils rund 300.000 US-Dollar die Übertragungsrechte für Testspiele des FC Bayern München in Thailand, Malta, Tunesien und Trinidad & Tobago.

Sepp Blatter

KEYSTONE/STEFFEN SCHMIDT

Das Geld erhielten die nationalen Verbände, die jeweils einen Stimmberechtigten bei der WM-Vergabe stellten. Daneben hatte Kirch bereits die Übertragungsrechte für die WM 2006 erworben, deren Wert sich durch einen Zuschlag für Deutschland um ein Vielfaches erhöhen würde. Neun Tage vor der Abstimmung am 11. Juni 2000 verkündete der damalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder die Lieferung von 1.200 Panzerabwehrraketen nach Saudi-Arabien, was auch das saudische Mitglied des Exekutivkomitees gefreut haben dürfte. Außerdem gaben mehrere deutsche Firmen kurz vor der Entscheidung Großinvestitionen in Asien bekannt.

Trotz dieser großzügigen Unterstützung rechneten die Deutschen nur mit zwölf Stimmen bei der Abstimmung – genauso wie die Südafrikaner. Durch die damit verbundene Entscheidungsstimme des FIFA-Präsidenten hätte die Weltmeisterschaft erstmals in Afrika stattfinden müssen. Doch die Südafrikaner hatten die Rechnung ohne den ozeanischen Abgeordneten Charles Dempsey gemacht. Der 78-Jährige enthielt sich seiner Stimme, wodurch Deutschland mit zwölf zu elf Stimmen den Zuschlag bekam. Dempsey erklärte später, von beiden Seiten unter Druck gesetzt worden zu sein und auf sein Stimmrecht verzichtet zu haben, um Bestechungsvorwürfe gar nicht erst aufkommen zu lassen. Einen Protest Südafrikas lehnte die FIFA ab, verkündete jedoch noch am selben Tag die Einführung eines Rotationsprinzips der Kontinente, wodurch 2010 Afrika zum Zug kommen würde. Blatter konnte damit sein Versprechen autokratisch einlösen.

Rotationsprinzip und Paketvergabe

Die Vergabe für die WM 2014 in Südamerika verlief denkbar unspektakulär, nachdem sich nur ein Kandidat um die Ausrichtung beworben hatte. Am 30. Oktober 2007 wurde in Zürich Brasilien zum zweiten Mal nach 1950 mit der Ausrichtung beauftragt. Blatter hatte damit seinem ehemaligen Lehrmeister Havelange und dessen Schwiegersohn Ricardo Teixeira, dessen Treiben als Präsident des brasilianischen Verbands in seinem Heimatland mehrere U-Ausschüsse beschäftigte, einen Herzenswunsch erfüllt – und die Kontinentalrotation ihre Schuldigkeit getan. Mit dem Argument, den Wahlkampf interessanter gestalten zu wollen, beschloss die FIFA, für die zusammengelegten Vergaben für 2018 und 2022 zu einer offenen Kandidatur zurückzukehren. Lediglich die Kontinente, auf denen die vergangenen beiden Endrunden stattgefunden haben, sind bei der Abstimmung nicht zugelassen.

Willfährigkeit gegenüber Diktatoren, Klientelpolitik in Afrika und Südamerika, Kniefälle vor Wirtschaftsmächten. Die WM-Vergabe ist weniger ein demokratisches Prinzip als ein Anschauungsunterricht wie das System der FIFA funktioniert. Mit der Doppelvergabe hat sich Blatter ein neues Werkzeug geschaffen, um seine Macht zu erhalten. Denn das Hickhack im Vorfeld der anstehenden Vergabe in Zürich eignete sich für den 74-Jährigen vortrefflich, um an seiner Wiederwahl, die im Sommer 2011 über die Bühne gehen soll, zu basteln. Die beiden von der Sunday Times bloßgestellten Funktionäre werden dann nicht stimmberechtigt sein. Reynald Temarii wurde vom Weltverband für ein Jahr von jeder Tätigkeit im Fußball suspendiert, Amos Adamu muss sein Amt für drei Jahre ruhigstellen. Ausgeschlossen wurden die beiden Mitglieder des Exekutivkomitees jedoch nicht. Bei der nächsten WM-Vergabe darf also wieder um ihre Stimmen gebuhlt werden.