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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

29. 11. 2010 - 19:30

53% Verbrecher

Die Schweiz manifestiert die Klassengesellschaft und zeigt, warum Volkes Stimme auch in einer Demokratie nicht allein herrschen darf.

Man muss es auch sagen dürfen: jene 53% der Schweizer, die gestern für ein menschenrechtswidriges Gesetz gestimmt haben, dafür, eine Zwei-Klassen-Justiz einzuführen, dafür, Menschen ohne Rücksicht auf Konsequenzen wegen Lächerlichkeiten außer Landes zu schaffen, jene 53% der Schweizer machen sich der Abschaffung von Demokratie und Humanität schuldig. Jene 53% der Schweizer sind Verbrecher gegen Humanität und Menschlichkeit.

Alle Macht geht vom Volke aus, das ist die Grundlage der Demokratie. Wer gegen Volksentscheidungen wettert, bekommt schnell den Ruf, ein schlechter Verlierer zu sein. Die Volksherrschaft ist aber nicht die einzige Grundlage. Denn ohne Grund- und Menschenrechte, ohne eine Einschränkung des Mehrheitswillens, ist die Volksherrschaft keine Demokratie sondern die Diktatur der Mehrheit, die leicht in eine populistische Terrorherrschaft umschlagen kann.

Zur Erinnerung: auch Adolf Hitler ist zunächst nach demokratischen Spielregeln an die Macht gekommen, die NSDAP war in Deutschland Anfang der 30er Jahre, schon vor ihrer Machtübernahme, zwei Mal stärkste Partei. Es war die Schwäche der Institutionen, der Grundrechte, kombiniert mit dem Terror der Straße, die aus der Demokratie die schlimmste Diktatur der Menschheitsgeschichte werden ließ.

Todesstrafe für Babysitten

Was wiegt schwerer: eine Stunde Babysitten ohne Anmeldung – oder die bewusste Ignoranz von Menschen- und Völkerrecht? Ein bisschen dick aufgetragen? Keineswegs: Es geht hier dezidiert nicht nur um Gewaltverbrecher, sondern auch um "Sozialbetrug" und Schwarzarbeit.

Warum? Nach dem Menschen- und Völkerrecht ist es verboten, Menschen wegen ihrer Herkunft unterschiedlich zu behandeln. Eine Schweizerin, die ein paar Stunden unangemeldet Baby sittet, bekommt auch in Zukunft maximal eine Geldbuße, eine Iranerin, Äthiopierin, Kongolesin oder Kosovarin wird zusätzlich noch ein zweites Mal bestraft, nämlich als Verbrecherin gebrandmarkt in ihr Herkunftsland abgeschoben.

Gesetzt den Fall, eine iranische Ehebrecherin schafft die Flucht in die Schweiz, wird dort wegen nicht abgeführter Sozialbeiträge für ein paar Stunden Babysitten verurteilt, dann muss sie womöglich bald automatisch wieder in den Iran abgeschoben werden - wo sie die Todesstrafe erwartet. Demokratie?

Menschenrecht muss Menschenrecht bleiben

So grotesk es anmutet: die Schweiz, Hort der Demokratie, Herberge der Menschenrechte, die Schweiz hat es in ihrem naiven Vertrauen auf die demokratische Gesinnung ihrer Bevölkerung verabsäumt, Strukturen zu erschaffen, die die zweite Säule der Demokratie, die unveräußerlichen und unteilbaren Menschen- und Freiheitsrechte, institutionell absichern.