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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

28. 11. 2010 - 13:27

The Present of Folk Music

Am Abschlusstag des Blue Bird 2010 gab es Standing Ovations für einen unbekannten Mann namens John Smith. Da hatten es nachher sogar die Hidden Cameras schwer.

Konventionen koordinieren die Aktionen unserer Gesellschaft. Auch das Klatschen zählt dazu. Im besten Fall ist es Ausdruck von Zustimmung und Begeisterung, im schlechtesten Fall nichts weiter als eine Geste der Höflichkeit. Leider sind die Unterschiede und daher auch die Intentionen nicht immer heraus hörbar. Am dritten und letzten Tag des Blue Bird Festivals 2010 im Porgy & Bess wird eine Menge geklatscht, aber noch viel mehr wird mit diesen Konventionen gebrochen.

Ich muss zugeben, dass ich keiner bin, der bei Konzerten häufig Standing Ovations verteilt. Das kommt mir zumeist wie eine allzu übertriebene Geste vor, wie das goldene Sternderl neben dem "Sehr gut" auf die Mathematik-Schularbeit. Das braucht es echt nicht. Doch während und nach des Auftrittes eines zuvor völlig unbekannten Mannes namens John Smith bin ich nicht nur gestanden, ich habe außerdem gepfiffen, gejohlt und so laut geklatscht, bis meine Hände ganz rot waren. Und ich war nicht allein.

Et voilà

Den Beginn macht ein junger Mann aus Bordeaux, der auch im englischen Bristol (ja, dem Trip Hop-Mekka) beheimatet ist: Frànçois & The Atlas Mountains. Eine sichtlich spannende Aufgabe für den Mann mit den feinen Gesichtszügen, denn sein Auftritt beginnt später als geplant und zwischen den Reihen und an der Bar wird bereits herum gewuselt. Aber Frànçois kennt das bereits: Schon am Vortag ist er selbst stiller Zaungast beim Auftritt von Elva Snow und erzählt wie eine Zuschauerin hinter ihm sogar das Stimmen der Gitarre von Scott Matthew mit Mitsummen unterstützt. Das sind stille Liebeserklärungen, die Frànçois gefallen und eine solche wünscht er sich auch vom Wiener Publikum.

Francois and the Atlas Mountains

Hanna Pribitzer

Zuvor gibt es allerdings verträumte Pop-Perlen aus seinem Album "Plain Inondable": Einmal solo am Klavier und mit Akustikgitarre, dann wieder mit seinen Kollegen von den Atlas Mountains, die ihn mit Schlagzeug, Bongos und Bass begleiten. Frànçois wechselt in seinem Set zwischen englischer und französischer Sprache, unterlegt seine Stimme mit Samples aus einem Synthesizer, den er wie viele seiner Utensilien vielleicht vom Flohmarkt hat, und hüpft dazu allzu drollig auf der Bühne herum. Am stärksten ist Frànçois allerdings, wenn er von seinen Atlas Mountains unterstützt wird. Die letzte Nummer ist ein wahrer Soundhurricane mit mehreren Vocals, den Thom Yorke oder Trouble Over Tokyo nicht besser hingekriegt hätten. Und Frànçois bekommt sogar seine Liebeserklärung. Mehrere Minuten funktioniert seine Gitarre nicht, das Publikum überbrückt die Pause mit leisem aber respektvollem Mitsummen. Merci beaucoup.

Francois and the Atlas Mountains

Hanna Pribitzer

Die großartigen Atlas Mountains

Eine gehörige Brise Respekt hat sich auch Pieter Gabriel verdient. Er zählt meiner Meinung nach zu den fünf besten Songwritern, die dieses Land hat und dementsprechend hoch sind meine Erwartungen an einen Auftritt, bei dem sich Gabriel von vier Kollegen unterstützen lassen will. Pieter Gabriel schafft es immer wieder einen düsteren Americana-Flair in die dunkle Stadt Wien zu bringen: Ein populärkulturelles Versatzstück, mit dem diese Stadt allzu selten beschrieben wird. Umso mehr besteht sein Debüt "City Of Last Things" aus tiefgehenden, melancholischen Herzensbrechern, wie sie in einer Großstadt häufig untergehen können. Wer dabei an die romantische Wanderschaft des Revolvermannes aus Stephen Kings "The Dark Tower" denkt, der durch die Ruinen unserer zerstörten Großstädte wandert, liegt damit vielleicht gar nicht so falsch.

Pieter Gabriel

Hanna Pribitzer

Eine Wanderschaft bringt jedoch Tücken mit sich. Und wenn ein Musiker mit den Worten "Das fängt ja gut an" beginnt, weil das Mikro falsch eingestellt ist, dann riecht das nach schlechter Stimmung. Dabei starten Pieter Gabriel & Band ihr Set mit einer großartigen, atmosphärischen Klangwolke Marke Radiohead: Eine düstere, zerbrechliche Stimmung baut sich auf. Immer wieder knien sich die beteiligten Herren hin, spielen an den Reglern ihrer Effektgeräte, positionieren wummernde Beats in den Vordergrund, die Gabriel mit seiner lieblichen Gitarre wie ein Spinnennetz durchdringt. Ein Hauch von Post-Apokalypse liegt in der Luft und wer hätte das von einem Songwriter-Festival erwartet?

Pieter Gabriel gelingt es nach zwei oder drei Stücken eine wahre Stadion-Atmosphäre aufzubauen, die Stücke dauern teilweise bis zu acht Minuten, langsam kippe ich rein in diesen Trip. Doch nach knappen fünf, sechs Songs entschließt sich Gabriel das Experiment zu beenden: "Danke fürs Zuhören" ist sein trockener Kommentar. Wenn das wirklich so kurz geplant war, hätte man gern mehr gehört.

Pieter Gabriel

Hanna Pribitzer

The Future of Folk Music

Was danach kommt, könnte man unter die Kategorie "großes Geschenk" einordnen. Man muss sich das so vorstellen: In den Pausen des Blue Bird wird noch mehr herum gewuselt als während der einzelnen Auftritte, und das Geschehen auf der Bühne rückt verständlicherweise in den Hintergrund. Während also das nächste Bier oder Glas Rotwein bestellt wird, schleicht sich ein bäriger Typ mit Bart auf die Bühne, setzt seine Brille auf und stimmt seine Gitarre. Nach seiner offiziellen Vorstellung, er sei ein Mann mit dem Allerweltsnamen John Smith, einem Namen, den man nicht einmal mehr verwenden sollte, um inkognito in ein Hotel einzuchecken, beginnt dieser John Smith a cappella zu singen. Er brüllt wie ein Löwe, verwendet dabei nicht einmal das Mikrofon. Jetzt erst beginnt das Publikum zuzuhören, das sichtlich verstört ist von einem, der tatsächlich glaubt, alleine gegen die natürliche Unruhe einer großen Masse ankommen zu können. Und das anfangs sogar ohne Mikro.

John Smith

Hanna Pribitzer

Doch irgendetwas passiert da auf einmal. Vielleicht liegt es an der intensiven Stimme von Smith, von der man Gänsehaut bekommt oder an seiner ungewöhnlichen Fingerfertigkeit an der Gitarre, die er abwechselnd wie eine Harfe zupft, dann wie eine Klapperschlange schlägt und würgt. Aber es wird still rund um den Mann aus Devon, dessen Karriere bei einem Gitarrenfestival in Liverpool beginnt, als er als Mitarbeiter des Festivals die antretende Konkurrenz in den Schatten stellt. Seit diesem Zeitpunkt wird er geschätzt und verehrt: von Größen wie John Martyn, Eddie Vedder oder John Renbourn, der Smith "the future of folk music" nennt. Smith singt und spielt Songs seiner Alben "The Fox & The Monk" und "Map or Direction", das Publikum kennt keinen einzigen davon. Egal, denn hier passiert Großes. Smith entpuppt sich sogar als kleiner Komiker: CDs habe er keine dabei, man solle sich seine Alben aufs Handy runterladen, er unterschreibe dann auf dem Display. Für seinen Namen könne John Smith auch nichts, wenn man ihn google, käme man aber bestimmt auf ein paar interessante Seiten. Auf Deutsch heiße er aber Johann Schmidt. Ein schöner Satz, den Smith auch sagt: "Im Folk geht es oft darum, einer bekannten Person eine Liebesbotschaft zu überbringen. In den meisten Fällen endet es aber damit, dass man diese Botschaft stattdessen einem Haufen unbekannter Leute in einem Konzert überbringt."

John Smith

Hanna Pribitzer

Vielleicht hat Smith das Mädchen, von dem er singt, nie bekommen, das Wiener Publikum aber schon. Denn Smith spielt schneller an der Gitarre als andere tippen können und verzaubert uns alle mit Coverversionen von "No One Knows" der Queens of the Stone Age und als krönende Zugabe "Sign your Name" von Terence Trent D'Arby. Vor und nach der Zugabe gibt es vom Publikum stehenden Applaus, eine Sympathiebekundung, die nicht einmal Smith erwartet hätte. Auch ich stehe auf, denn als ich diesen Mann kürzlich empfohlen habe, habe ich nicht einmal annähernd ahnen können, welchen Zauber, welche Kraft, welche unglaubliche shit load an menschlichen Gefühlen er alleine mit seiner Gitarre transportieren kann. Ich habe noch nie gesehen, dass ein Publikum einen zuvor unbekannten Mann so umarmend aufnimmt. Das war ein großer Moment. Was für die Enkelkinder. Danke, Johann Schmidt.

Smells like Happiness

Die Band danach hat es nach John Smith wirklich schwer, und wer hätte das im Vorfeld gedacht? Zum Glück handelt es sich um das kanadische Kollektiv um Sänger Joel Gibb: die Hidden Cameras. Ob gay, queer-folk oder bi-curious: Wir sind uns einig, dass diese Band diese plakative Einordnung, mit der sie immer wieder gebetsmühlenartig umschrieben wird, nicht braucht. Vor allem, wenn sie sich entschließt, ihre ausgelassene und oft tanzbare Melancholie beim Blue Bird akustisch vorzutragen.

Nun gut, sagen wir semi-akustisch. Denn so ganz ohne Strom funktioniert es doch nicht, und auch im Vorfeld dürfte man an den Arrangements einiges gefeilt haben, denn der Soundcheck der Hidden Cameras verzögert sogar den Einlass des Publikums. Aber hier soll alles perfekt laufen, denn die kernige Tremolo-Stimme Gibbs schmiegt sich an die lieblichen Melodien der Cameras, die sich heute Abend aus Cello, Klarinette und Klavier zusammensetzen. Ein von vielen erwartetes Experiment.

The Hidden Cameras

Hanna Pribitzer

Schon auf ihrem letzten Album "Origin:Orphan" findet man Pop-Folklore mit Geigen, Klavier und pompösen Bläsern. Doch was man hier auf die Bühne gezaubert hat, ist aus einer anderen Welt. Songs wie "Death of a Tune", "He is the Boss" oder "The Man that I am with my Man" klingen so magisch, so hemmungslos und verliebt, dass es schon fast kitschig wird. Jeden Moment erwartet man, dass Zuckerwatte im Publikum verteilt wird. Dabei übertrifft sich das 7-köpfige Kollektiv sogar selbst: der Song "Fee Fie" aus ihrem Album "Awoo" klingt besser als auf CD.

The Hidden Cameras

Hanna Pribitzer

Der Sound ist einmalig, fast aber schon zu durchkomponiert. Denn viel Platz für Spontanität bleibt bei so einem Experiment nicht, und daher scheitern Versuche, das Publikum zum Mitsingen oder gar Mithüpfen (!) zu bewegen, leider im Ansatz. Diese orchestrale Adaption der eigenen Songs verlangt stilles Zuhören, das leise Mitsummen, das ja, wie wir wissen, eine ganz große Liebeserklärung ist. Die bekommen die Hidden Cameras zahlreich: bei "Music is my Boyfriend", "Boys of Melody" und dem abschließenden "Smells like Happiness", bei dem sich auch John Smith und Frànçois & The Atlas Mountains zum Mitsingen auf der Bühne einfinden. Dazu gab es dann auch passenderweise wieder Torte vom Blue Bird-Team. Ein wunderbarer Abschluss eines Festivals, das wie jedes Jahr nicht nur für die Zukunft des Folk, sondern auch für seine Gegenwart steht. Ein großes Geschenk an uns alle: The Present of Folk Music eben.