Erstellt am: 28. 11. 2010 - 02:19 Uhr
Dobryj Vetcher, Klagenfurt!
So. Zeit für ein Gedankenexperiment.
27. November 2010: Das FM4 Überraschungskonzert mit Russkaja im Stereo Club in Klagenfurt.
Am 1. Dezember sind Russkaja dann im Wiener OST Klub zu sehen.
Was wäre, wenn nicht das Amerikanische deine Leitkultur wäre? Was wäre, wenn du zu Mittag nicht einen Hamburger sondern Borschtsch als Fast Food zu dir nehmen würdest? Was wäre, wenn aus dem Gaga-Radio ein Artist namens Lady Olga dröhnen würde? Was wäre, wenn die 2010er-Adaption von Folk nicht Devendra Banhart heißen würde, sondern Pelzmützen tragen würde und die Fidel spielen?
Ja eh. So sehr wir die US of A für das hassen, was sie sind, so sehr können wir uns ihrer Macht nicht entziehen. Weil alles das, was wir für selbstverständlich erachten, irgendwie der US-amerikanischen Leitkultur geschuldet ist.
Das FM4 Überraschungskonzert hat uns vor Augen geführt, was wäre, wenn Billy Joel in Leningrad falsch gelegen wäre: Haven't They Heard We Won The War?
radio fm4 / arthur einöder
Meine Damen und Cherren
Nach den Billy Joel Widergängern Bonaparte (hast du schon bemerkt, wie sehr sich Anti Anti und We Didn't Start The Fire ähneln?) waren diesmal Russkaja an der Reihe. Als Teil der Willkommen Österreich Familie ist es für die Showband von Stermann und Grissemann eine besondere Ehre im Süden der Republik zu spielen. Das machen sie uns vom ersten Takt an klar. Schon zum Einzug der Band offenbart sich, was ein Konzert in der Welt von Russkaja bedeutet. Show und Spaß mit der Auflage, dass keine Stirn und keine Kehle trocken bleiben darf.
Feuer auf der Bühne, Feuer im Publikum und Feuerwasser in der Gurgel. Da kann schon nichts mehr schief gehen.
radio fm4 / arthur einöder
Die Band mit dem Hammer
Schlagzeuger Titus heizt das Publikum an und verspricht Erlösung via Live-Konzert. Dann betritt Sänger Georgij die Bühne. Ein Auftritt, der den Undertaker (um beim US-Trash-Bild zu bleiben) vor Neid erblassen lassen würde. Mit zwei HiHats bewaffnet gongt er anderthalb Stunden Ekstase ein, bevor er beginnt, den Russkaja-Hammer zu schwingen. Ein Hammer, auf den das Auge of Dollar-Noten-Fame gezeichnet ist. Wir spielen noch ein Mal das "Was-wäre-wenn-Spiel" und stellen uns vor, statt Hummer-Geländewägen wären in gängigen shake-that-ass-HipHop-Videos alte sowjetische Traktoren das Objekt der Begierde, und statt housigen Allerweltstunes wäre ein russisch inspirierter Ska-Beat die Grundlage des Musikvideos.
radio fm4 / arthur einöder
Zugabe
Russkaja on Tour:
01.12 Wien Club Ost
03.12 Bern - Dachstock
04.12 St.Gallen - Festival
10.12. Melk Kulturwerkstatt Tischlerei
16.12. Linz - Posthof
17.12. Konstanz - Kulturladen
18.12. Timelkam - Mosquito
I Changed My Olga For The Britney grölt Sänger Georgij ins Mikrofon. Diese Band kann feiern. Menschen hängen ihre Ellbogen ineinander und hüpfen unter lautem Oyoyoyoy durch den Stereo Club. Das ist Musik, die auf russischen Hochzeiten genauso funktioniert wie in Rockclubs. Auf Provinzfesten und im Fernsehen. So schön kann feiern sein. Und wenn Feuer auf der Bühne an Rammstein erinnert, das Deutsch des Sängers an Laibach und die Liveband an madness von Madness, dann lässt das die Fans in den ersten Reihen vollkommen kalt. Denn wer braucht westpopkulturelle Referenzen, wenn aus losen östlichen Musikversatzstücken und einem Klangexperiment von Russen, Ukrainern, Österreichern, Deutschen und Briten eine komplett neue Form von Party entsteht. Sobald die Instrumente auf der Bühne verstummen (auch wenn das eventuell nach dem dritten Lied der Fall sein sollte), tönt es aus Hunderten Kehlen Zu! Ga! Be!. Und sobald irgendjemand auf der Bühne Anstalten macht, in die Hände zu klatschen, reckt ein kompletter Stereo Club die Arme in die Luft.
radio fm4 / arthur einöder
Irgendwie, irgendwo, irgendwann. Die FM4 Überraschungskonzerte sind gratis. Wer, wo und wann, das erfährst du wenn du dich registrierst: fm4.orf.at/ueberraschungskonzert
Rus! Ska! Ja!
Russkaja erfinden die Popmusik nicht neu. Russkaja kennen möglicherweise auch nur einen einzigen Trick. Den beherrschen sie aber dermaßen virtuos und bestimmt, dass selbst die beiden Fortysomethings in der letzten Reihe, die nur deswegen gekommen sind, weil sie gehört haben, es wäre gratis, sich dem Kasatschok anschließen, der kurz vor der Zugabe geprobt wird. Diese Band kann Generationen verbinden, Wildfremde zu besten Freunden machen und - so eigenartig das auch klingen mag, Völker verbinden. Um Russkaja zu mögen, reicht eine vage Vorstellung von Russland - ungefähr so fundiert, wie Karl Mays Vorstellung von Amerika. Auf diese Schablone projizieren die Musikanten deine Sehnsucht und dein Verlangen. Vor allem aber gibt sie dir eines zu verstehen: Und wenn es dich sticht im Bein, dann willst du es tanzen.
radio fm4 / arthur einöder