Erstellt am: 26. 11. 2010 - 23:00 Uhr
Selbstreferenzialität und andere Torheiten.
Heute Vormittag hab ich, im Rahmen eines offiziellen Meinungs-Austausches, einen bemerkenswerten Beleg von übersteigerter und völlig unkritischer Selbstreferenzialität erlebt; und zwar tief drin im Herz des Qualitäts-Journalismus, der in solchen Momenten dann schon einmal auf Schul-Niveau absinken kann.
twentytwenty
twenty.twenty ist eine Plattform, die sich als Diskussionsbeförderer und -beheizer sieht. Am kommenden Dienstag, den 30.11.2010, findet im Wiener Hub eine Podiumsdiskussion zum Thema "We ProdUSE. Medienproduktion und Mediennutzung in 2020" statt, die mit Leuten wie Anton Waldt, Robert Misik oder Richie Pettauer gut besetzt sein wird.
Und jetzt, ein paar Stunden später, mühe ich mich mit einem Text ab, der sich zu etwas ganz Ähnlichem äußern will: Am Dienstag wird im Rahmen der Diskussions-Reihe twenty.twenty eine der zentralen Fragen der Blogosphäre gestellt: Die Frage nach der Selbstsicht, nach dem Selbstverständnis. Titel: We ProdUSE. Medienproduktion und Mediennutzung 2020.
Dazu gibt's im Vorfeld einen Aufruf zur Blog-Parade. Frage dort: "Wir sind Medium! Shameless Self Promotion oder Beitrag zu einer pluralistischen Informationsgesellschaft?".
Und da ist sie wieder, das Ärgernis vom Vormittag, diesmal in einem nur unwesentlich anderen Gewand: die unkritische Selbstreferenzialität. Als ob sie verpflichtend da sein müsse, wenn es um Medien-Produktions-Fragen geht.
Ich habe ja nichts gegen Verortungs-Diskussionen, im Gegenteil. Allerdings nur dann, wenn hinter der Frage "Wo stehen wir?" auch ein Grund befindet, es also drum geht sich zu definieren, um damit etwas zu bewirken.
Die klassische Podiumsdiskussion im Medien-Bereich jedoch hat das aus den Augen verloren: Es geht, wie ein Professor unlängst an Rande einer solchen sarkastisch anmerkte, längst eher um Beschäftigungs-Therapie, also um Ablenkung.
Wenn sich nun die Old Media-Szene mit solchen Späßen selber lähmt, dann entspricht das ihrem Gesamtzustand.
Wenn sich eine neue, frische, junge Reihe aus dem Web/New Media-Umfeld derselben Mechanismen bedient, werde ich ganz hellhörig vor lauter Ärger.
Die Fluch oder Segen-Falle
Denn neben dem Steckenbleiben im Selbstreferentiellen und dem Grundgefühl, dass es sich bei der nämlichen Fragestellung auch ein bisserl um eine Ablenkungs-Debatte handelt, die man führt um sich und seinesgleichen zu beschäftigen, kommt auch noch etwas anderes dazu, was mir seit jeher die Nackenhaare aufstellt: der Fluch-oder-Segen-Ansatz.
Wenn nämlich Menschen (nicht nur Medien-Menschen, sondern alle und überhaupt) nichts Relevantes zu sagen haben, kommt die Fluch-oder-Segen-Titelgebung zum Zug. Das geht mit allem und immer. Und es bedeutet auch immer: Nichts.
So würde etwa die richtige Antwort auf die Blog-Paraden-Fluch/Segen-Frage "Shameless Self Promotion oder Beitrag zu einer pluralistischen Informationsgesellschaft?" so lauten: beides, selbstverständlich; wie jede mediale, letztlich jede Lebensäußerung. Und: wenn du etwas wirklich Substanzielles wissen willst, dann quatsch nicht drum herum, sondern: get specific!
WTF!?!
Jede mediale Äußerung ist letztlich Selbstdarstellung! Es gibt keinen Unterschied zwischen einer Facebook-Statusmeldung und einem Fleischhacker-Leitartikel; ein Tweet hat denselben egoistischen Background wie jeder noch so pseudo-objektive Artikel oder das klugscheißerischste Essay. Alle Medienmacher sind eitel; jede Äußerung soll beeindrucken (das Publikum, die Beschriebenen, potentielle Sexualpartner, einfach alle...); jedes veröffentlichte Wort ringt um Distinktion, um Anerkennung, um Bedeutung.
Alles ist schamlos und alles ist Selbst-Promotion. Seit Gutenberg und auch schon davor.
Partizipativer Pluralismus
Und gleichzeitig ist jede dieser Äußerungen all ihrer Eitelkeit zum Trotz auch Ausdruck eines partizipativen Pluralismus, eines nicht mehr in die Box zurückzukriegenden Pandorismus, einer bis an den Rand mit Information vollgestopften Unterhaltungs- und Konsum-Gesellschaft; im Guten wie im Schlechten.
Und das alles weiß doch jeder, seit jeher. Und trotzdem wird das alles alibimäßig wieder und wieder diskutiert, jetzt in der Phase der Machtübernahme einer neuen Kulturtechnik stärker als sonst. Wider besseres Wissen, aus reiner Wichtigtuerei, wieder einmal voll in die Falle der unkritischen Selbstreferenzialität gegangen.
Das sind Mechanismen, die wir von Old Media kennen und gewohnt sind - warum allerdings derlei Strukturen so naiv und unkritisch übernehmen?
Ist nicht die Web 2.0-Welt mit ihren medienkritischen Ansätzen, mit ihren infrage stellenden Blogs zu wesentlich mehr fähig als zur Repetition von Altbackenem?
Ist es nicht der Produzent gewordene User, der es besser wissen müsste und auch entsprechend handeln könnte?
Warum zum Teufel bloggt der/die/das Blogger? In Österreich, wo das genau gar kein Geschäftsmodell darstellt, kann man diese Frage noch abseits der Ökonomie, also rein moralisch stellen.
Antwort: Weil das, was die Blogisten interessiert von den Professionals nicht erbracht wird. Tät es eine intelligente und pfiffige Politik-Berichterstattung geben in den vielen selbsternannten "Qualitätsmedien" dieses Landes würden die Misiks und Schaffers dieses Landes dort gastkommentieren oder leserbriefschreiben oder schlicht und ergreifend nur konsumieren. Weil aber fast allerorten nur fader Müll zu lesen/sehen ist, tun sie, was sie tun.
Bloggen kommt von müssen, nicht von können
Glaubt ihr im Ernst, dass ich mir sowas anstrengendes, zeitaufwendiges und Mühsames wie ein Fußball-Journal antun würde, wenn ich mit dem hiesigen Angebot zufrieden wäre?
Also: Das was es abseits des Medien-Mainstreams gibt, was im Netz außerhalb der Copypaste-Fadesse der Verlagsangebote stattfindet, entsteht aus der Schwäche des herkömmlichen Journalismus. User werden Produzenten, weil sie nicht anders können.
Bloggen kommt von müssen, nicht von können.
Und das ist nur Ausdruck der Zeit.
Und ein kleiner Vorgeschmack auf künftige Selbstverständlichkeiten.
Viel Spaß am Dienstag bei We ProdUSE im neuen Veranstaltungsort the hub vienna, bei dem ich immer an Magnolia denken muss. Ich bin zeitgleich beim M.I.A.-Konzert.
Denn die Mediennutzung der Digital Natives wird heute bereits vom Prinzip der aus sich selbst herausgeschöpften Info-Suche dominiert, die pure Berieselung, die die Älteren noch als normal empfinden, hört sich über kurz oder lang auf. Der Konsument wird Produzent wird Konsument, inmitten einer neuen Plurakratie. Und nein, ich habe keine Ahnung, ob das toll oder furchtbar werden wird - wie auch? Es ist davon abhängig, was man draus macht, so wie immer und mit allen Medien, diesen leeren und unschuldigen Flächen, die erst dann determiniert werden, wenn die Schamlosen (egal ob Amateure oder Profis) sie beschmieren.