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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

27. 11. 2010 - 11:55

Schüttel dein Haar für mich

Optimale Trendverwertung: Die Crystal Fighters kreuzen hippieske Folk-Forschung und neonfarbenen Bubblegum Rave. Dass sie auch eine sehr gute Live-Band sind, hat am Donnerstag das Salzburger Rockhouse gesehen.

Die ganze Angelegenheit mit dem Baskenland sollte man nicht allzu sehr über die Proportionen hinaus aufblasen.
Presseaussendungen und Reklamemails zum Thema Crystal Fighters wird nicht selten ein knackiger Slogan zur Freshness-Verdeutlichung der Band vorrausgeschickt: "We are Crystal Fighters. We make fast dance music with Basque instruments, synthesizers and our voices. From somewhere high above the old hills of our home, the love will come to conquer." Wenig bis kaum etwas war bislang zu erfahren gewesen aus Interviews und Internet über die Band bzw. die biografischen Eckdaten der Mitglieder. Einzig die Catchphrase mit den baskischen Instrumenten schien hängenzubleiben. Auf Stücken der Crystal Fighters waren zudem teilweise Stimmen und Akzente zu hören, die wohl ansatzweise Spanisch sein mussten, und so war man sich blogweit schnell einig, dass das hier sicherlich "irgendwie Basken" seien. Gibt's nicht täglich. Tatsächlich stammen die drei Herren mit den Vornamen Sebastian, Gilbert und Graham - sie bilden den Kern der Crystal Fighters, um den Gastsängerinnen und instrumentale Zuarbeiter kreisen - aus den USA und dem UK, nicht allzu tief vergrabene familiäre Wurzeln liegen in Deutschland und Italien.

Crystal Figthers

Philipp L'heritier

Expressiver Frontmann Sebastian, a-jingle-janglin the tamburine
Crystal Fighters

Philipp L'heritier

Gilbert: Elektronik und Klopfen

Txalaparta und Trikitixa

Den Weg in die Herzen der drei jungen Männer hat die musikalische Folklore aus dem Baskenland über den Umweg einer Freundin - mittlerweile gelegentliche Gastsängerin - der Band gefunden. Die hatte nämlich in den Hinterlassenschaften ihres nun wirklich aus dem Baskenland stammenden Großvaters ein halbfertiges Manuskript für eine baskische Oper entdeckt. Mysteriöses Geschreibsel, noch nie gehörte Musiken, neue Welten. Nun verwenden also die Crystal Fighters neben dem im westlichen Rock und Pop gut erprobten und etablierten Instrumentarium zur Klangherstellung diverses baskisches Flöt- und Blasgerät, das Holzklotzklopf-Instrument Txalaparta oder die Akkordeon-Variante Trikitixa. Immerhin auf Platte. Was nun ein wenig gimmickhaft anmuten mag, ja, gar als affig herausgestelltes Alleinstellungsmerkmal aufblinkt, führt dann doch zu einer Musik, der fast durchgehend betörend gelingt, was sich die Crystal Fighters als Losung ins Fahrtenbuch geschrieben haben: Die Verknüpfung von verstaubten Singweisen aus dem Vorgestern mit den magischen Wundern der Maschine, von Traditionalismus und Disco, von Roots und Rave. Sicherlich: Sie sind nicht die Ersten, die derlei erproben, die Zusammenführung von "x" mit "y" ist oberste Kulturtechnik, das Ergebnis aber ist hier eine einzige wunderbare überschwappende Turbulenz, ein Nebeneinanderexistieren - oft auf gute Weise nicht zusammenpassend - von Styles und Posen, die man in dieser Kombination noch eher selten gehört hat, außer vielleicht letztens, als wieder Mal auf einem Ohr Animal Collective gelaufen ist, und auf dem anderen die Klaxons.

Crystal Fighters

Philipp L'heritier

Crystal Fighters

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Gastsängerin?

Die aktuelle Tour hat die Crystal Fighters am Donnerstag im Rahmen der Veranstaltungsreihe Yeah!Club für ihr einziges Österreich-Konzert ins Salzburger Rockhouse gebracht. Outfit-technisch hat die Band die Variante Hipster-Hippie gewählt: Reich an Ornament und Geschmeide, Schals, Tücher, Glitzersteine, Stirnbänder, bestickte Westen über blanker Brust, wallende Gewänder oder gleich nackter Oberkörper. Langes Haar weht im Wind der Erregung. Das Eröffnungsstück ist gewissermaßen die Durchbruchsnummer der Band: "I Love London", eines der schlechtesten Stücke der Band, dessen - freilich, hihi, augenzwinkernd bewusst gewählte - Naivität im Titel sich auch im Sound fortpflanzt. Qietschbunter, vor Euphorie und Selbst-Geilheit komplett explodierender Synthie-Pop mit hyper-hysterischem Beat, Kuhglocke auch, und Lyrics, die man schlicht nennen könnte: "I wanna go to the friends' party/ i wanna go to the friends party/ i wanna go to the friends party/ i ...etc /I LOVE LONDON!" Das Stück ist passenderweise wie schon die erste, subtiler gestrickte Single "Xtatic Truth" bei den französischen Style-Füchsen von Kitsuné erschienen, denen man - bei allem Verdienst um die Weiterentwicklung der Indie-Disco und die Hebung nicht weniger Pop-Schätze - nicht zuletzt das glitzernde Abarbeiten von simplen Oberflächenschauwerten und einem Primärinteresse an der krassen Dröhnung vorwerfen kann.

Psychedelik und benebelter Rock

Die Crystal Fighters auf Platte und die Crystal Fighters auf Bühne sind jedoch - wie die Band selbst gerne betont - doch zwei recht unterschiedliche Paar Latschen.
Das Stück "I Love London" zuckt live eher als Psychedelik-Nummer, wird stärker Richtung benebeltem Rock interpretiert und scheint überhaupt von einer ganz anderen Band eingespielt worden zu sein. Der Rest von "Star Of Love", dem sehr guten Debütalbum der Crystal Fighters, das im UK und im "Internet" zwar schon erschienen ist, in Zentraleuropa aber erst kommenden Jänner regulär und haptisch erfahrbar sein wird (es wird an dieser Stelle noch davon zu lesen sein), bedarf derlei grobschlächtiger kreativer Umgestaltung nicht.

Crystal fighters

Philipp L'heritier

Tour-Drummer, unbekannt, und Graham, Gitarre und Klopfen
Crystal Fighters

Philipp L'heritier

An Gitarren, Drums, Synthie und Elektronik entsteht Musik, in der immer wieder Tendenzen aktuellerer experimentellerer Popmusik zum Vorschein kommen: Weird folkiges Gezwitscher und Geklöppel, Hochglanz-Dancing, Afropop-Anleihen wie etwa in der herausragenden Nummer "In The Summer" oder dem wie aus dem "König der Löwen" abgehörten "At Home" - ein Stück, das kommendes Jahr, wenn nicht alles mit unrechten Dingen zugeht, ein sehr großer Hit werden wird. Der aktuelle Hit "Follow" ist nur ein Höhepunkt unter vielen, ein Konzert, das das Material der Band insgesamt über den Rock'n'Roll-Kamm bürstet, ab und zu hupt die Rave-Sirene. Sänger Sebastian lässt mit affektierter Selbstherrlichkeit und den dazugehörigen erratischen Ausdruckstänzen Jim Morrison kurzzeitig in Vergessenheit geraten und vielleicht auch Ozzy erblassen. Vom baskischen Instrumentarium bleibt nur das Holzgeklopfe.

Ein - das kann man ohne Übertreibung so sagen - großartiges Konzert einer Band, die auch nicht so recht weiß, was sie zwischen Image, Coolness und richtig guter Musik eigentlich so bedeuten soll. Eine Band, die zwar vor Albernheiten und Modisch-Sein nicht ganz gefeit ist, auf Platte aber ein herrliches Puzzle an nicht immer zusammengehenden Popmusiken entwickelt, und sich vor allem Live als ein vor Macken strotzender Haufen sympathischer Selbstinszenierung in die Auslage stellt. Dreamcatcher sagt: Schnell die Gänseblümchen in die Haare flechten und den Glowstick abstauben, bevor der Hype von Gestern der Hype von Vorgestern gewesen sein wird, und wir haben's wieder überm Diabolo-Spielen verpasst.

Crystal Fighters

Philipp L'heriter