Erstellt am: 26. 11. 2010 - 13:17 Uhr
Thank You For Waiting
"I can see, I can see, I can see it all with my one good eye
For a start take two grant harts and call me when you die"
(The Posies - "Grant Hart")
Bei einem wirklich guten Festival ist nicht nur die Musik auf der Bühne exzellent, sondern auch die Songs, die zwischen den Acts die Pausen füllen. Am ersten Tag des Blue Bird Festivals 2010 kam diese Ehre Jesy Fortino alias Tiny Vipers aus Seattle zu, deren Stück "Dreamer" während jeder Umbaupause sanft aus den Lautsprechern hauchte. Das ist eine ungewöhnliche Wahl, ist der Song doch ein tragisches Lullaby und kaum dazu geeignet, ein wartendes Publikum bei Laune zu halten. Aber Tiny Vipers gehören zu jenen kaum beachteten KünstlerInnen, die beim Blue Bird, dank der Vienna Songwriting Association, einen Platz bekommen.
Und so ist das Blue Bird 2010 im Porgy & Bess wie jedes Jahr ein Ort, um Neues zu entdecken, während man gepolsterte Sitze besetzt und in der ersten Reihe Gulaschsuppe löffelt. Welch Hohn ist diese Aussage aber, denkt man an den Mann, der an diesem Tag auftreten sollte. Die Legende - der, der die Hölle überlebt und dabei Musikgeschichte geschrieben hat. Einen, den man kennen und verehren muss. Aber dazu später mehr.
Hear the Noise that moves so soft and low
Ich mache kein Geheimnis daraus, dass mich an diesem Abend ein Künstler ganz besonders interessiert. Zugegeben, er hat einen schweren Stand neben der Legende, die nach ihm die Bühne betritt, aber seit ich sein Debütalbum "Early In The Morning" hören durfte, halte ich den irischen Songwriter James Vincent McMorrow für die Entdeckung des Jahres. Da ist doch tatsächlich einem jungen Mann aus Dublin ein Album gelungen, das es problemlos mit Kanon-Alben wie "For Emma, Forever Ago" oder "Funeral" aufnehmen kann. Dass er nebenbei noch stimmlich mit Justin Vernon oder sogar Mark Kozelek alias Sun Kil Moon mithalten kann, ist ein weiteres Plus. Lange Rede, kurzer Sinn: Wer "Early In The Morning" noch nicht gehört hat, dem sei das Album dringend ans Herz gelegt. Dementsprechend hoch sind meine Erwartungen Mcmorrow live zu sehen.
Hanna Pribitzer
So vielschichtig ein Album ist, so schwierig wird es zumeist für eine einzelne Person diese Vielschichtigkeit live zu transportieren. Und so kämpft McMorrow bei seinem ersten Wien-Gig mit seiner eigenen Unbekanntheit. Da das Blue Bird-Publikum aber auch KünstlerInnen wie Tiny Vipers in der Pause duldet, fällt es leicht der brüchig anmutenden Stimme McMorrows zu verfallen. Er spielt hauptsächlich Songs seines Debütalbums: "If I Had A Boat", "Breaking Hearts", "Hear the Noise that moves so soft and low", "From the Woods!!!". Dabei schließt er die Augen, schwebt auf seiner eigens konstruierten Klangwolke, erzählt von Booten, die planlos auf dem Styx schwimmen und der Herrschaft des Patriarchats: "That we don't eat until your father's at the table/we don't drink until the devil's turned to dust" ("We Don't Eat"). Mir bleibt ein Kloß im Hals stecken, als McMorrow zwei völlig neue Songs vorstellt, die auf seinem zweiten Album erscheinen sollen: "We Are Ghosts" und "Red Dust", den wohl besten Track, den McMorrow bis dato geschrieben hat. Auch wenn es pathetisch klingt: This man can fix what's broken in thousand pieces.
Hanna Pribitzer
Meine erste Bekanntschaft mit Matthias Frey alias Sweet Sweet Moon passiert über Umwege. Der virtuose Teufelsgeiger sendet Demos an einen weiteren Multi-Instrumentalisten namens Ben Martin, der wiederum Sweet Sweet Moon in sein Ben Martin Ensemble aufnimmt, um eigene Stücke orchestral zu unterlegen. Auf diesem Wege mache ich die Bekanntschaft mit einem Mann, der Genie und Wahnsinn wie kaum ein anderer Songwriter aus Niederösterreich vereinigt.
Schon allein die Bühnenpräsenz an diesem Abend ist bezaubernd. Sweet Sweet Moon kommt nicht allein, sondern in Begleitung von Cello und Harfe. Und er trägt keine Schuhe. Lediglich mit Socken an seinen Füßen zupft er an seiner Geige, entlockt ihr teils melancholische, teils heitere Töne, erzählt von Prostituierten in Marseille und seiner Debüt-EP "Pompidou". Was plakativ gerne als die "österreichische Antwort auf Owen Pallett" bezeichnet wird, entwickelt sich mit Fortdauer des Sets zu einem akustisch-elektronischen Klangexperiment. Immer wieder dekonstruiert Sweet Sweet Moon seine eigenen Pop-Perlen, lässt minutenlang nur das Feedback atmosphärischer Samples erklingen und erzeugt auf diese Weise eine fast schon avantgardistische Mischung aus organischen und technischen Sounds. Als Hilfsmittel dient ihm dazu eine kleine Clowns-Büste, die er auf die Mitte der Bühne positioniert. John Cage wäre stolz.
hanna pribitzer
Hüsker Dü, anyone?
Bis jetzt ist der erste Tag des Blue Bird Festivals eine Zeit, um Neues zu entdecken. Das alles soll sich beim nächsten Act ändern. Denn schon vor der Tür, während den dringenden Rauchpausen, wird heftig diskutiert und in alten Erinnerungen gekramt. Und hier finden sie auch alle ihren Platz, die Diskursler und Pop-Fetischisten. Was war nun pophistorisch gesehen wichtiger: "Everything Falls Apart" oder "Candy Apple Grey"? Und wer hat noch das Live-Album "The Living End" gehört, als der Break-Up bereits unvermeidlich schien? Und seien wir ehrlich: Ohne die Replacements und Hüsker Dü hätte es solche Bands wie R.E.M. nie gegeben. Und von Nirvana und den Posies rede ich gar nicht erst. Wer während solcher Diskussionen überlegt, was Hüsker Dü auf Deutsch heißen könnte, verzieht sich besser schleunigst und vor allem lautlos auf die Toilette.
hanna pribitzer
Gottseidank sind Legenden meist weniger von sich überzeugt als ihre Pilger. Und so punktet Grant Hart bei seinem langersehnten Auftritt mit der Frage: "Be honest: Who has heard that song before?" Ein paar Leute zeigen auf. "Alright and who of you has heard this song now for the first time?" Viel mehr Leute zeigen auf. "Wow, and I thought 30 copies of that album were shipped to Europe". Egal, ob man sich vor Grant Harts Auftritt näher mit seiner Biografie beschäftigt hat oder nicht, der Mann versteht es mit einer Stromgitarre die Hölle zum Einfrieren zu bringen. Derzeit tourt Hart gerade mit seinem Programm "Oeuvrevue" durch Europa, sprich: einer Werkschau und Raritätensammlung mit Schwerpunkt auf die Nova Mob-Ära. Und so lässt Grant Hart bei seinem Auftritt großteils seine Fans entscheiden, der Mann im schneidigen Wollpulli spielt was gewünscht wird: "Big Windows to Let in the Sun", "The Last Days of Pompeji", "Sorry Somehow" und "My Regrets". Aber das soll lieber Kollegin Ondrusova erzählen, denn die könnte all die Hüsker Dü-Archivisten mit ihrem Raritäten-Wissen locker in die Tasche stecken:
"Who was that guy?" fragt mich ein Kollege aus der Nachrichtenredaktion, als ich wie ein Huhn durch die Redaktion zum Schnittplatz renne. Besagter Kollege hat gehört, wie "that guy" Grant Hart seine Kamera nach Fotos seiner in einer Waschmaschinentrommel befindlichen Katze durchforstet. Bitte schön, hier ist es. Grant Hart war also hier und hat vorbeigeschaut.
ondrusova
Ich möchte mich eigentlich wehren mit Händen und Füßen, aber ich hab mir sowas schon gedacht, ein Grant Hart-Solokonzert wird ein schwieriges Unterfangen. Einerseits, weil dieses aktuelle Album "Hot Wax" extrem durch orchestriert ist und das andere, nämlich die alten Hüsker Sachen, extrem mit einer Energie und Wucht daherkommen, die sich auf eine Person mit Gitarre einfach nicht übertragen lässt.
Auch Grant Hart weiß, dass seine Vergangenheit und Legacy mitunter ein Grund ist, warum sich viele auf seiner aktuellen Tour einfinden. Im Interview spricht er über ein jüngeres Publikum, das sich ohne "Hüsker Baggage" auf seinen Konzerten einfindet und von älteren Fans, die sich meist laut Zeitrechnung in einer Midlifecrisis befinden und sich auf einem Grant Hart-Konzert eine nostalgische Reise in ihre Jugend erwarten. Dann kommt der Satz: "The most interesting thing about a Hüsker Dü concert was that we were playing songs that weren´t even recorded yet and if they would bring that spirit to a concert today. Like Ezra Pound says: the love for the new. That´s where I am at. I wanna make new music for new days. I am no wrinkle cream. I am not gonna make you young again."
Aber Neues zu machen gelingt Grant Hart nicht wirklich. Das Konzert ist eine höchst sympathische, aber auch verschrobene Darbietung von alten Hüsker-Songs, Nova Mob-Materialien und eben eingestreuten Hot Wax Songs. Wir waren dort, um mit einem Ohr zuzuhören und mit dem anderen Ohr das Original als Phantomschmerz wahrzunehmen. Es war furchtbar und wunderbar zu gleich. Es war irre und gut.
Übrigens: Am Ende noch eine herzallerliebste Szene zwischen Legende und Fan. Er stimmt seine Gitarre, das dauert. Er entschuldigt sich: "Thank you for waiting". Antwort: "Don't worry, we've waited already 10 years".
Vor dem letzten Act gibt es übrigens noch Torte. Denn es gehört zur Blue Bird-Tradition, dass alle Künstler vor dem letzten Auftritt auf die Bühne kommen und Torte an die Zuschauer verteilen. Auf die Frage wer denn ein Messer zum Schneiden dabei hätte, meldet sich Grant Hart. Ha.
The Calcination of Scout Niblett
Harper Lees Roman "To Kill a Mockingbird" haben wir es zu verdanken, dass Emma Louise Niblett sich für den Künstlernamen Scout entscheidet. Im Laufe ihrer Karriere hat Scout Niblett schon einige Stationen der eigenen Entdeckung durchgemacht. Die blonde Wischmop-Perücke, mit der sie auf dem Cover von "Kidnapped By Neptune" in der Dunkelheit verschwindet, hat sie allerdings längst entsorgt. Die orangene Warnweste, die Niblett ebenfalls auf dem Cover trägt, feiert beim abschließenden Set dieses Abends aber ein unerwartetes Comeback.
Hanna Pribitzer
Das Cover von "Kidnapped By Nepture" hat sich mir ins Gehirn gebrannt. So stelle ich mir Scout Niblett immer vor. Eine etwas verwirrte Seele, die in der Dunkelheit durch die Straßen wandert, an Türen klopft und mit ihren schüchternen Augen Wunden aufreißt, nur um sie wieder zu schließen. Wie ein verspieltes Kind, das nicht aufhören kann, an dem Schorf einer Verletzung zu kratzen. Mit dieser Hartnäckigkeit hält sich Niblett beachtlich im Universum der trauernden Folksängerinnen mit Hang zu aufbegehrenden Songs, die von Trauer, Verletzlichkeit und Sehnsucht erzählen. Mit wem wird sie nicht aller verglichen, von Cat Power bis PJ Harvey, aber Scout Niblett ist ähnlich wie Tiny Vipers eine düstere Chirurgin der Seele, die auch bei ihrem Blue Bird-Auftritt mit Schlagzeug den Abschluss eines Abends zu einer fast schon spirituellen Reise macht. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf den Songs ihres aktuellen Albums "The Calcination of Scout Niblett", aber wie schon bei ihren Vorgängern gilt: Beim Blue Bird darf man Neues entdecken. Das gilt sogar für Legenden.
"Come meet me on this path of wonder.
Take my hand I'd like to share with you"
(Tiny Vipers - "Dreamer")