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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

27. 3. 2011 - 11:57

China

Into the great wide unkown, lost without translation

Im Radio:
Natalie Brunners Serie über Shanghai gibt es ab Montag, 28.3. in FM4 Connected (15 - 19) und Homebase (19 - 22) zu hören.

Es ist keine gute Idee, Sonntag früh, unausgeschlafen und mit latentem Kopfweh zu größeren Missionen aufzubrechen. Es ist keine gute Idee, sich im Flugzeug erstmals mittels uraltem und von Freunden ausgeborgten Reiseführer mit dem Ort auseinanderzusetzen, an den man reist: China bzw. erster Stop Shanghai mit einem Zwischenstop in Moskau.

Moskkauer Flufhafen Sheremetyevo

flickr.com/davidorban

Moskau - Flughafen Sheremetyevo

Der Flughafen Sheremetyevo ist für sich schon einen Ausflug wert. Man landet in den 70er Jahren. Der Security-Checkpoint für die nicht mit Visa ausgerüsteten Transitpassagiere ist zwischen zwei Wänden. Die Röntgenmaschine ist ebenfalls aus den 70er Jahren, die Guards sind alle weiblich und posen ab wie russische Versionen von Missy Elliott. Viel Bling Bling, Kaugummi und Dauerwelle-Zöpfchen-Kombinationen. Sie amüsieren sich blendend über die verwirrten Passagiere, die nicht durchschauen, dass die blauen Plastikwannen, die ich bisher nur als Schmutzwäschebehälter kannte, für die Jacken sind und die grünen und unglaublich verdreckten für die Schuhe. Die Röntgenmaschine ist entweder nur ein Dummy oder es ist jedem egal, dass ich sowohl Flüssigkeiten als auch einen Laptop in meinem Handgepäck habe. Durch eine Minitür kommt man aus dem Durchgang mit extrem versifftem Boden, auf dem alle in Socken stehen, hinaus ins gleißende Neonlicht.

Jetzt bin ich geblendet. Scheinwerfer, polierter Marmor, Tom Ford Sonnenbrillen, Ledercouchen und parfümierte Luft. Der Flughafen-übliche Einkaufsparcours erstreckt sich vor mir. Nach Gate 47 Terminal F ist der Zauber auch schon wieder vorbei. Im ersten Stock des Transitalbtraums, ums Eck vom Irish Pub, hat eine Gruppe von Afrikanerinnen eine Kartonstadt errichtet. Es liegen Matratzen am Boden, ein Wasserkocher steht zwischen Taschen und Strohmatten. Drei Männer haben auf ein Stück Karton ein Spielfeld aufgezeichnet. Sie spielen ein Würfelspiel. Eine junge Frau, die auf den Matratzen döst, sieht mich, erschrickt, als ich auf der Suche nach einen Wifi-Point durch die improvisierte Siedlung latsche. Das sieht nach tagelangem, wenn nicht wochenlangem Transit im Non-Visa-Holder-Niemandsland aus. Wovon leben diese Menschen? Woher bekommen sie ihr Essen? Die 5 Euro Sandwiches scheiden wohl aus. Ein Flughafen gewordener Albtraum.

Ankunft in Shanghai

Ein ganz anderer Film bei der Ankunft in Shanghai. Beim Zoll riesige Ipod-artige Dinger, auf denen meine Daten und mein zerknautschtes Passfoto auftauchen. Ich bin sehr begeistert über ein kleines Service Evaluationkästchen "How do you like my service" und fünf Knöpfe daneben mit denen man das Verhalten des Zollbeamten benoten kann. Ich finde man sollte so ein Kästchen neben oder auf jedem Repräsentanten staatlicher Autorität installieren.

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Auf dem Weg von Flughafen fährt der Bus die ganze Zeit auf einem Overpass. Gruppenformationen scheinen immer noch schwer angesagt zu sein. Drei Mal sehe ich Militärs oder Kinder, die mit oder ohne Fähnchen Formationsübungen machen.

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Das Expogelände liegt als Brachland unter mir.

natalie brunner

Nach dem Moskauer Flughafen fühle mich von Chanel-, Gucci-, Prada- und Dior-Werbeschildern verfolgt. Das Zentrum Shanghais besteht nur aus guciisierten Hochhausfassaden. Können diese Multis vierzig Jahre nach der Kulturrevolution soviel von ihrem Kram hier absetzen, dass sich eine derartige Präsenz im öffentlichen Raum der Volksrepublik auszahlt?

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Zu meiner Verwunderung finde ich tatsächlich das Hotel. Es ist finster wie etwas das Jabba the Hutt für Gäste hinstellen würde. Ich checke ein, lege mich schlafen und schlafe sofort ein. Werde von einer hyperventilierenden Rezeptionistin geweckt, die verzweifelt ist, weil ein zweiter Typ mit der gleichen Reservierungsnummer auftaucht. Welch Wunder! Auf die Idee das wir zusammengehören und er einem anderen Flug genommen kommt sie nicht. Auch als wir zu zweit ins Zimmer eingecheckt sind kommt ihnen das immer noch seltsam vor. Fürsorglich, obwohl oder gerade weil Prostitution in China illegal ist, werden uns Visitenkarten von Callgirls unter der Tür durchgeschoben.

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Ich beginne mich darauf einzustellen, dass verbale Kommunikation in den nächsten Wochen wahrscheinlich nicht mein Hauptausdrucksmittel sein wird. Die vegane Nahrungssuche ist kompliziert.

axel stockburger

DJ Beware hat mir einen Zettel mit chinesischen Schriftzeichen mitgegeben auf dem steht: "Ich esse nur Pflanzen bitte geben Sie mir Nahrung." Schon beim Schreiben hat er gezweifelt, ob es funktionieren wird.

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Viele Restaurants haben die Hälfte ihrer Karte nicht im Kühlhaus sondern lebend auf der Straße, in Aquarien, Kisten und Käfigen. Ich überlege mir, ob es Sinn macht Schildkröten und Frösche zu kaufen und im Park auszusetzen. Ich finde einen Suppenmaestro, der versteht und akzeptiert, dass ich keine Schweinebällchen in meiner Tofusuppe will.

axel stockburger

Mein einziger Ort zum Futterfassen in der Millionenstadt.

axel stockburger

Immens hohe Dichte von amerikanischen Fastfood-Ketten, die ungefähr das sieben- bis zehnfache verlangen, wie die lokalen Straßenküchen. Der Gipfel der sadistischen Erlebnisgastronomie ist Papa Johns. Es gibt Pizza mit Wurstrand und es ist das ganze Jahr Weihnachten. Die Menschen die dort arbeiten, müssen Weihnachtskostüme tragen und der ehrenwerte Founder heisst John Schnack. Mein brutaler Jetlag macht es mir nicht leicht: Bin ich tatsächlich in Shanghai oder doch in einer Simpsons-Folge gelandet?

axel stockburger

Nächstes Problem: Um bei Wifi-Points online zu gehen, braucht man eine chinesische Handynummer und eine handvoll Autorisierungscodes. Es gibt keinen Net-Zugang, ohne sich in irgendeiner Form zu registrieren.

axel stockburger

Ich zwinge einen netten Menschen, der bei der alle Innenstädte der Welt übernehmenden Kaffekette arbeitet, mich über seinen Code einzuloggen. Ich muss schwören, ja keinen Scheiß zu machen und Voilà ich bin zurück im globalen Informationsflow und versuche Facebook aufzumachen und meine Verbindung ist auch schon wieder Geschichte. Eine Mischung aus Zensur und dem Versuch Marktdominanz für chineische Seiten zu sichern, verhindert den Zugriff auf große englischsprachige Newsseiten, Videoportale und Social Networks. Einer der Gründe dafür, erzählt mir ein in China unterrichtender Freund, dass die Bilder vom Tian’anmen Platz in der Ikonographie seiner Studentinnen nicht präsent sind.

axel stockburger

In der Stadt gibt tausende Mopeds die meistens von Pensionisten, die unter keinen Umständen anhalten, gelenkt werden.

axel stockburger

Ich verstehe, dass ich in dieser Stadt nichts verstehe.

axel stockburger

Als totale Analphabetin wanke ich durch die Gegend und irgendwelche über China kolportierten Gemeinplätze reichen so ganz und gar nicht aus, um in einer Stadt, in der man mindestens viertausend Schriftzeichen können muss, um die Zeitung zu lesen, zu operieren. Vielleicht können meine Interviewpartner und ihre Geschichten über die Stadt das irgendwie ändern.

Ab Morgen: Homebase Serie

Natalie Brunner liefert in dieser vierteiligen Serie einen etwas anderen Reisebericht über China. Sie trifft dort DJs, Produzenten, Künstlerinnen, plagt sich mit der ständigen Zensur beim Internetzugang und verzweifelt bei der Suche nach veganem Essen, findet tolle Clubs und besucht eine Universität in Chengdu.