Erstellt am: 24. 11. 2010 - 16:01 Uhr
Der Tod steht ihm gut
Das Schönste an diesem Popjournalistenzirkus ist eindeutig die Begegnung mit Menschen, die eine ganz spezielle Energie verstrahlen. Die in sich ruhen und gleichzeitig von einer Leidenschaftlichkeit getrieben sind, die den schnöden Alltag aus den Angeln zu heben scheint.
Plötzlich tun sich da für Momente Türen in einen anderen Bereich auf. Ich habe das sogar schon bei Fließband-Roundtables oder ansatzweise in bestimmten Telefoninterviews erlebt. Aber natürlich am intensivsten in etwas persönlicheren Gesprächssituationen.
Man merkt, dass die wackelige Welt der Unentschlossenheit und des stetigen Dahinwurstelns, die man von Freunden oder sich selber kennt, keinesfalls das Maß aller Dinge ist. Weil das Gegenüber fest auf dem Boden steht und mit Bestimmtheit und einer fast schon spürbaren Kraft eine außergewöhnliche Vision verfolgt.
Mir kommen Musiker, Regisseure, Schauspieler in diesem Zusammenhang in den Sinn. Ich denke an einen Schriftsteller wie Chuck Palahniuk, der sein Hotelzimmer mit dem ausfüllte, was ich mangels Begriffen jetzt einfach mal "Aura" nenne. Oder an den Extrem-Radfahrer Franz Preihs, der regelmäßig am unfassbaren Race Across America teilnimmt und sich dabei mit knochenhartem Metal wachhält. Letzteren Ausnahmesportler brachte vor Jahren mein Moderationskollege Paul Kraker ins House of Pain mit und sorgte damit für eine ausgedehnte Interview-Sternstunde.
Unlängst sorgte mein hochgeschätzter Co-Host wieder für einen Gast im FM4-Haus der süßen Schmerzen, der uns ein Gänsehauterlebnis vor dem Mikrofon bescherte.
Dr. Mark Benecke gehört zu Deutschlands führenden forensischen Entomologen, der aufgrund der Leichenbesiedlung durch Insekten Hinweise auf die Todesursache und Todesumstände einer Person geben kann. Benecke ist aber noch viel mehr: Er ist ein Rock'n'Roller unter den Wissenschaftlern, ein gefragter TV-Kolumnist, ein charismatischer Medienstar der Aufklärung, eine Art Gothic-Ikone, ein Spezialist für stockdunkle Electronic Body Music.
Mark Benecke
Wer Mark Benecke zuhört, betritt ein Reich der Verwesung, der Fäulnis, des Verfalls. Wenn er etwa über verschiedene Leichengerüche doziert, klingt das fast wie ein Küchenchef, der die Duftnoten seiner Gerichte anpreist. Gerät er über das schöne Wimmeln der Maden ins Schwärmen, wird es für zartbesaitete Seelen gespenstisch.
Bestattungszeremonien in Nepal, Beerdigungs-Unternehmen in Harlem, ein Wiener Künstler, der Verstorbene porträtiert, ein Unternehmen in Arizona, das Leichen einfriert, um sie in der Zukunft wiederzubeleben. Acht verschiedene Blickwinkel auf den Tod reiht Andrea Morgenthaler in ihrem Dokumentarfilm "Rest in Peace" aneinander, in dem Mark Benecke einen wichtigen Platz einnimmt.
"Rest in Peace" geht stellenweise ganz nahe ran an die Objekte der Verdrängung. Aber auch wenn die Kamera Leichen umkreist, bleibt der Film respektvoll und leistet sich keine reißerischen Momente. Schön an dieser schaurigen Dokumentation ist auch, dass der Film auf jeden Kommentar verzichtet. Morgenthaler zeigt auf verstörende, elegische und manchmal sogar komische Weise, wie paradox unsere Haltung zum eigenen Ende ist. Nachdenken müssen wir dann selbst nach dem Kinobesuch.
Dazu noch der Auftritt der wissenschaftlichen Koryphäe. Ganz in Schwarz, mit Lederhose und Kapuzenpulli stiefelt Benecke in die FM4-Redaktion. Seine unzähligen Tätowierungen kann man an dem herbstlichen Nachmittag nur erahnen, am Gürtel baumeln und klirren Schmuck und Werkzeuge, die man "unterwegs immer wieder mal brauchen kann".
Die fetten Kakerlaken, die Mark Benecke angeblich stets in einem Schächtelchen mit sich trägt, werden uns glücklichweise erspart. Aber Musik hat er mitgebracht, von Bands wie Straftanz, Blut Royal, Rammstein oder den Einstürzenden Neubauten. Und er sprudelt über vor Geschichten makabrer, grausiger oder einfach nur bizarrer Natur. Wobei das natürlich alles Ansichtssache ist, betont Benecke.
Denn auch wenn der Kriminalbiologe im Interview ganz gerne mit dem Ekel kokettiert, den Durchschnittsbürger beim Thema Tod empfinden, selbst wenn er regelmäßig Festivals der Dark-Wave-Gemeinde besucht und Experte in Sachen Graf Dracula ist, geht es ihm um alles andere als morbide Posen. Benecke verfügt nicht nur über einen fantastischen Humor und jede Menge Selbstironie. Der Mann hat eine ernsthafte Mission.
Dem Herrn Doktor geht es um Wissensvermittlung, um klare Blickwinkel. Er spricht, auch im derzeit laufenden Kinofilm "Rest in Peace", höchst illusionslos über die letzten Dinge, bewegt sich bewusst streng im naturwissenschaftlichen Rahmen. Nicht umsonst gehört Benecke auch zur Gesellschaft der Skeptiker, die parapsychologische oder esoterische Phänome kritisch durchleuchten.
Mark Benecke
Nun sind deklarierte Vernunftmenschen oft keine guten Werbeträger für ihre Botschaften, weil sie nicht selten verbohrt und spröde wirken. Das Beeindruckende an Mark Benecke ist, dass er sich wie der ihm wohl geistesverwandte Sherlock Holmes seine Widersprüchlichkeit bewahrt, bis hin zu einer kultivierten Exzentrizität.
Ein deutscher Mad Scientist also, der zumindest nichts Böses plant? Auch das wäre wieder ein Klischee. Wenn Benecke mit seinen Assistentinnen zu Tatorten anreist und auch bei den jungen Frauen Tattoos und Piercings ins Auge fallen, wenn sie dann gemeinsam Tierchen aus Körperöffnungen picken, dann mag das filmische Qualitäten haben. Im Endeffekt dreht sich alles um nüchterne detektivische Spurensuche.
Natürlich bedient der "Herr der Maden" bei seinen Erzählungen über kolumbianische Serienmörder oder Hitlers Schädel eine Sensationslust, die auch durch Serien wie "CSI" geschürt wird. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Richtig spannend wird es, wenn Benecke mit einer beruhigenden Gelassenheit über Grundsatzfragen des Nicht-mehr-Seins spricht.
Das FM4 House of Pain widmet sich am 1.12. ab 22 Uhr zwei Stunden lang Mark Benecke, der Herr Doktor wird selbst die Musik zusammenstellen
Was passiert mit der sterblichen Hülle nach dem Tod? Wie verändert sich ein Körper? Die Mutigeren unter uns nähern sich noch via Horror- oder Fantasykino an die radikale Endgültigkeit heran. Aber das reale Sterben wollen wir einfach nicht wahrhaben. Mark Benecke, der uns schlicht als Teil der Nahrungskette begreift, scheint mit seinen nüchternen Todesstatements letztlich auf eine Forcierung und Feier des Lebens zu zielen. Er nimmt der Vergänglichkeit ein wenig von ihrem Schrecken, konfrontiert uns beinahe therapeutisch mit dem Untergang.
Mark Benecke
Als der Doktor mit seiner Frau Lydia, übrigens eine Psychologin, das Studio verlässt, nachdem er mit gruseliger Stimme ein "House of Pain!" ins Mikrofon flüsterte, sind Paul Kraker und meine Wenigkeit euphorisiert. Nur wenige reden so gescheit, charmant, so witzig und aufgeklärt über den Tod. Achtung, eine Begegnung mit Mark Benecke kann das Weltbild verändern.