Erstellt am: 25. 11. 2010 - 18:02 Uhr
Schreiben gegen die Schreibblockade
Dicht unter meiner Haut beginnt das sprachlose Gebiet. Bis hierher dringt kein Wort. Es wird weder gesprochen noch geschrieben. Knapp unter meiner Haut ist es still. Keine Silbe, kein Satz, keine grammatikalische Spitzfindigkeit gelangt durch diese Poren.
Heute in FM4 Connected (15-19)
Andreas Gstettner trifft Hanno Millesi zum Interview
Gleich mit diesen ersten Sätzen unter die Haut des Erzählers. Bei angenehmer Körpertemperatur wird uns gleich klar: Die Sprachlosigkeit dieses sich selbt regulierenden Systems ist nicht nur kein Problem, sondern sogar überlebensnotwendig. Problematisch kann es nur dann werden, wenn diese innere stille Übereinkunft der Organe, Zellen und Moleküle sich auch in der Außenwelt manifestiert. Besonders, wenn die an Sprachlosigkeit leidende Person Schriftsteller ist, wie der Erzähler in Hanno Millesis "Das innere und das äußere Sonnensystem". So macht sich der von Inspirationsnot geplagte Schreiber auf, um in allen nur erdenklichen Winkeln unserer literarischen Hoch- und Popkultur nach Methoden zu suchen, um seine Blockade zu überwinden. Er stolpert dabei nicht nur einmal über die historischen Zeitachse.
Stefan Buchberger
Die Geister, die ich rief
Wo holt sich ein Autor Tipps und Tricks, um eine Schaffenskrise zu überwinden? Ganz logisch, bei Kolleginnen und Kollegen. An deren Geburts- und Todestagen huldigt Hanno Millesis literarischer Antiheld seinen großen Vorbildern mit adäquaten, meist alkoholgetränkten Ritualen, um dem kolportierten Lebenswandel dieser Schriftsteller nachzuspüren und daraus neue Inspiration zu beziehen."
Nachdem davon lediglich elendigliche Katerstimmung übrig bleibt, macht sich der Erzähler auf die Suche nach Künstlern in seinem unmittelbaren Umfeld. Mit einem Katalog über die Wohnverhältnisse berühmter Kulturschaffender bewaffnet unternimmt er eine zeitparadoxe Schnitzeljagd durch Wien.
Luftschacht Verlag
Im oberen Stockwerk sind die Fensterläden geschlossen. Man könnte glauben, bei Arthur Schnitzler handle es sich um ein Wesen, das jegliches Tageslicht scheut. Möglicherweise verlässt er nur noch nachts sein klappriges Domizil, um der Welt und ihren schlafenden Bewohnern tief in die Seele zu schaun.
Als auch diese Methode in eine Sackgasse führt, wird ein alter, verstaubter Kassettenrekorder aus dem Keller geholt, um dem mysteriösen Phänomen von Stimmen aus dem Jenseits nachzugehen und sie im Glücksfall aufzuzeichnen. Tatsächlich meldet sich der französosche Dichter und Theoretiker des Surrealismus, André Breton, aus dem Jenseits. Nach und nach wird jedoch klar, dass seine Absichten alles andere als gutgemeinte Ratschläge für das Überwinden einer Schaffenskrise sind.
Doch Hanno Millesis Alter Ego wird nicht müde, sich immer wieder neue Methoden einfallen zu lassen, die vielleicht doch noch seinen inspirativen Sprachfluss zum Sprudeln bringen könnten. Dafür muss nicht nur eine Blind Date Plattform für Literaten herhalten, sondern auch der kleine niedliche Zwerghase Joschi des Nachbarn, der über die Tasten einer angerosteten Schreibmaschine gejagt wird. Ob das helfen wird?
Hanno Millesi war gerade auf Lesetour in China unterwegs und liest am Donnerstag 25. November in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, in der Herrengasse 5 in Wien.
Literatur wortwörtlich genommen
"Das innere und das äußere Sonnensystem" ist nicht nur sprachlich ein Geniestreich. Es funktioniert auf vielen Ebenen, verwirrt, verstört und bringt einen vor allem zum Lachen, ob zuhause auf der Couch oder inmitten kreidebleicher Aktenkofferträger in der morgendlichen Strassenbahn. Auf erfrischende und unprätentiöse Weise verknüpft der Wiener Autor Hanno Millesi Referenzen auf klassische Literatur mit markanten Momenten der Popkultur. So verabschiedet sich zeitgleich zu autobiographischen Erlebnissen der Kindheit und Jugend des Erzählers an einem anderen Ort ein Rock- oder Popstar von unserem Planeten oder die aktuellen Beziehungskonstellationen unserer krisengebeutelten Schriftstellerfigur werden mit prekären Bandsituationen von Nirvana und Co. gleichgesetzt. Das alles dient jedoch eigentlich nur dem Zweck, irgendwo in dieser verwirrenden Welt der Kunst und Literatur Halt oder zumindest einen Anknüpfpunkt zu finden, und damit den Sprachfluss zu aktivieren.
Stefan Sandner
Insofern wird die Erzählung darüber, wie eine Erzählung ensteht, entstehen sollte oder entstehen könnte, zur eigentlichen Erzählung. Das Spiel mit der andauernden Selbstreferenzialität wird, bevor es Millesi auf die Spitze treibt, durch befremdende Wendungen gebrochen. Überhaupt zieht sich der von dem Wiener Autor geliebte Surrealismus wie ein roter Faden durch die zwölf Erzählungen und ist vielleicht auch jene mentale Zufluchtsebene, die einer Schreibhemmung durchaus ein Schnippchen schlagen könnte.
- Weitere Buchempfehlungen auf FM4
Hanno Millesis neuestes Buch besticht vor allem durch seinen Witz, seine latent ironische Färbung, die jedoch nie in Boshaftigkeit oder Zynismus übergeht. Vielmehr schmunzeln wir mit Millesi gemeinsam über die sowohl stereotypen als auch wahrhaftigen Unzulänglichkeiten des Schriftstellerdaseins, die wie wir alle ja auch nur Menschen sind. So kann man es dem Erzähler in Millesis Werk auch nicht übel nehmen, wenn er die essentiellen Tipps des amerikanischen Schriftstellers und Beat Generation Vertreters Jack Kerouac wortwörtlich nimmt und dessen inspirativ-literarische Anleitung eins zu eins in sein Leben überträgt. Vielleicht sind genau dieses Chaos und diese Komik, die durch eine solche ironische Transformation von Kunst in den Alltag entstehen, die geeigeneten Waffen, um dem Scheckgespenst Schreibblockade entgegenzutreten. Auf alle Fällte tragen sie wesentlich zur Unterhaltung bei und machen "Das innere und das äußere Sonnensyystem zu einem wahnwitzigen page-turner der anderen Art.