Erstellt am: 25. 11. 2010 - 15:02 Uhr
Sichtbare und unsichtbare Gewalt
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Cosima (Name geändert) ist 26 Jahre alt, hat einen eineinhalbjährigen Sohn und in Kürze einen Scheidungstermin. Dann wird sie den endgültigen Schlussstrich unter ihre Ehe ziehen, und sich von ihrem Mann trennen. Von jenem Mann, der ihr die Bankomatkarte weggenommen und das Geld, das sie selbst verdient hat, vorenthalten hat, der sie vernachlässigt hat, als sie schwer krank war, und der sie mehrfach vergewaltigt hat.
16 Tage gegen Gewalt an Frauen ist eine internationale Kampagne, die jedes Jahr zwischen 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, bis 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, stattfindet. In Österreich macht der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser auf das Thema aufmerksam.
"Ich habe gedacht, das muss ich aushalten", sagt Cosima im Interview, "vielleicht liegt's ja nur an mir" - und sie erzählt von Liebe auf den ersten Blick, einer Bilderbuchbeziehung und gemeinsamer Lebensplanung. Unvorstellbar, dass er, der sie auf Händen getragen hat, dieselben Hände jemals gegen sie richten könnte.
Dass Gewaltopfer ihre Peiniger in Schutz nehmen, die Schuld bei sich selbst suchen und Schlag für Schlag das Gefühl für ihre eigenen Grenzen verlieren, sei eine typische Reaktion, erklärt Andrea Brem, Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser. Wie im Lehrbuch hat auch Cosima nicht mehr gewusst, was richtig und was falsch ist. Die letzten Eskalationen haben schließlich aber auch ihre Schmerzgrenze überschritten, und sie ist gegangen.
Sichtbare und unsichtbare Gewalt
Gewaltschutzgesetz
Jede Person, die in ihrem Wohnbereich und unmittelbarem Lebensumfeld von Gewalt betroffen oder bedroht ist, hat das Recht, die Person, von der die Gewalt ausgeht, von der Polizei wegweisen zu lassen und ein Betretungsverbot zu erwirken. Das Betretungsverbot gilt für 14 Tage. Wenn danach weiterer Schutz benötigt wird, kann eine einstweilige Verfügung beantragt werden.
Jetzt lebt sie gemeinsam mit ihrem Sohn seit etwa zwei Monaten in einem der 30 österreichischen Frauenhäuser. Dort kann jede Frau, die von Gewalt betroffen ist, Schutz und Sicherheit finden. Dazu muss sie nicht erst wie Cosima sexuell missbraucht oder geprügelt worden sein. Die Türen stehen auch jenen Frauen offen, die psychisch oder finanziell unter Druck gesetzt oder "nur" mit Gewalt bedroht werden. Beschimpfungen, Erniedrigungen, Verfolgung, Erpressung, Einsperren, Isolierung von Freunden und Familie und ähnliche Übergriffe sind ebenso Formen von Gewalt wie blau geschlagene Augen oder gebrochene Rippen. Die seelischen Wunden, die dadurch entstehen, verheilen viel langsamer.
Sobald daher die Situation mit dem Ehemann, Freund, Ex-Partner, Vater oder sonst einer nahe stehenden Person unerträglich wird, sollte man sich an die Frauenhelpline, eine Gewaltinterventionsstelle oder schlimmstenfalls die Polizei wenden.
Hochsicherheitstrakt mit WG-Charakter
Im Frauenhaus finden die Betroffenen dann langsam wieder zu einem geregelten Alltag zurück. "Das Leben hier spielt sich ab wie in einer großen Wohngemeinschaft", sagt Monika Hajek, Leiterin eines Frauenhauses in Wien. "Die Frauen kochen gemeinsam, kümmern sich um ihre Kinder, gehen zum Teil arbeiten und haben Beratungstermine innerhalb und außerhalb des Hauses." Ein ausschließlich weibliches Team aus Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen steht ihnen rund um die Uhr zur Seite - egal, ob es sich um akute Krisenintervention oder Fragen zu Scheidung, Obsorgerecht und Unterhaltspflichten, Arbeits- oder Wohnungssuche handelt. Jede Klientin wird dabei von ihrer persönlichen Betreuerin unterstützt.
"Für mich war es sehr hilfreich, dass sich einmal jemand darum kümmert, wie es mir geht", erzählt Cosima, "dass es Menschen gibt, die einem wirklich zuhören. Ich konnte endlich über Dinge reden, die ich vorher für meine eigenen Spinnereien und Einbildung gehalten hatte. Den anderen Frauen hier ist es aber genauso oder ganz ähnlich ergangen. So ist mir erst klar geworden, dass all das, was mir passiert ist, berechtigterweise Aufruhr in mir verursacht."

Verein Wiener Frauenhäuser
Notrufnummern:
Polizei
- 133 oder 112
Frauenhelpline
- 0800 222 555
Wiener Frauenhäuser
- 05 77 22
Um die Sicherheit der Frauen zu gewährleisten, sind die Adressen der Frauenhäuser geheim. Männer dürfen das Gelände nur in Ausnahmefällen betreten, etwa, wenn die Polizei oder Handwerker gebraucht werden.
Überwachungskameras, massive Metalltüren, Sicherheitsschleusen, Alarmanlagen mit Direktverbindung zur Polizei und vergitterte oder bruchsichere Fenster sorgen dafür, dass niemand unbemerkt eindringt. Raus können die Frauen allerdings jederzeit. "Ein Frauenhaus ist ja keine geschlossene Anstalt", sagt Andrea Brem. Die Klientinnen sollen jederzeit die Möglichkeit haben, Freundinnen oder Familie zu treffen, einkaufen oder ins Kino zu gehen. "Auch außer Haus übernachten ist kein Problem", so Brem, "wir möchten lediglich Bescheid wissen, damit wir uns keine Sorgen machen."
Selbstbestimmt leben
Nur wenn die Frauen ihr Leben wieder völlig autonom gestalten können, erlangen sie das Selbstbewusstsein zurück, das ihnen gefehlt hat. So schafft es der Großteil der Klientinnen bereits nach dem ersten Aufenthalt im Frauenhaus, sich endgültig von ihrem gewalttätigen Partner zu lösen. Viele finden eine Übergangswohnung und einen Job, oder erhalten endlich die Sozialleistungen, die ihnen oder ihren Kindern zustehen.
Fast ein Drittel der Frauen kehrt allerdings zu den Tätern zurück, meistens aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit. Das bedeutet nicht zwangsläufig weitere Misshandlungen, erklärt Brem, weil die Frauen durch die kurzfristige Trennung zumindest ihre Position gestärkt haben - wünschenswert sei es natürlich trotzdem nicht.

Bundesjugendvertretung
FM4 unterstützt Unschlagbar - eine Kampagne der Bundesjugendvertretung für die Frauenhelpline.
Frauen können erst dann ein wirklich selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben führen, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, meint Brem. Am wichtigsten ist die finanzielle Eigenständigkeit. Nur, wer sein eigenes Geld verdient, kann für sich und seine Kinder sorgen. Außerdem müssen Frauen in Beziehungen von Anfang an klare Grenzen setzen. Falls es zu ersten Übergriffen kommt, müssen die sehr ernst genommen werden. Eine Ohrfeige ist kein Kavaliersdelikt, sondern oft der Anfang einer Gewaltspirale, die sich immer weiter dreht. Vor allem, so Brem, müsse Frauen, aber besonders auch Männern und Jugendlichen klar gemacht werden, "dass Liebe mit Respekt und Achtung zu tun hat, und nicht mit Macht und Dominanz. Streit und Auseinandersetzungen in Beziehungen sind wichtig und passieren einfach, aber man muss moderate Mittel finden, damit umzugehen. Schläge oder Psychoterror sind jedenfalls keine Lösung".