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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 11. 2010 - 17:01

Fußball-Journal '10-65.

Raubbau im Edelstein-Revier. Warum die hochgelobte Jugendarbeit des ÖFB in eine Strukturkrise zu schlittern droht. Teil 2 des ÖFB-Jahres-Fazits.

Meisterschaft und Cup, das europäische Geschäft, das Nationalteam, der Nachwuchs, aber vor allem auch das hiesige Medienverhalten und die Wahnsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '10 begleitet die Saison ungeschönt.

Heute mit Teil 2 der Jahresbilanz des ÖFB, nämlich der Strukturkrise im ÖFB-Nachwuchs.

Gestern in Teil 1: Etikettenschwindel. Warum die Constantini-Bilanz des ÖFB-Teams so wenig wert ist.

Österreichs Fußball-Nachwuchs ist auffällig. Nicht nur verhaltensauffällig wie Marko Arnautovic, 21, (dessen Marktwert den der zehn besten heimischen Liga-Stürmer deutlich übersteigt), sondern ein Augenbrauen-Hochheber im besten Sinn (auch im Gegensatz zu früheren Zeiten). Vor allem in Deutschland, vor allem seit die Junioren-Abteilung der Bayern Gefallen an hiesigem Nachwuchs gefunden hat.

Das hat mit den Reformen der letzten Jahre zu tun, mit der Installierung von Leistungszentren und Akademien, die diesen Namen auch verdienen, mit konzentrierter Arbeit der Nachwuchs-Abteilungen der Landesverbände und vor allem mit dem dahinterstehenden Masterplan einiger ÖFB-Verantwortlicher. Die, im vollen Bewusstsein niemals die flächendeckende Qualität der großen Fußball-Nationen erreichen zu können, eine neuartige Elite-Förderung eingeführt hatten.

Diese Früchte werden gerade geerntet. Nicht nur von Bayern München, sondern auch von den heimischen Clubs (die aktuell auf erstaunlich wenige abgetakelte Auslands-Profis zuückgreifen) und natürlich auch beim ÖFB selber - Stichwort verjüngte Nationalmannschaft.

Dieses kleine, aber umso erfreulichere Zwischenhoch ist jetzt aber in Gefahr. Weil in den letzten Monaten grobe Fehler auf allen Ebenen die Struktur, auf der diese Aufbauarbeit ansetzt, aushöhlen und teilweise bereits zerstört haben. Sowohl bei den Vereinen, den Ausbildungszentren als auch, vor allem, bei der ÖFB-Jugendabteilung selbst. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt droht ein Rückfall aufs Level der 90er.

Furchenläufer

Ein prototypisches Beispiel für das, was auf Vereinsebene schiefläuft:
Einer der Konstrukteure des aktuellen Booms ist Gerhard Hitzel, langjähriger ÖFB-Nachwuchs-Direktor, der seine Erfahrungen zuletzt für zwei Jahre als Nachwuchskoordinator bei Lokomotiv Moskau abrunden konnte. Der Burgenländer Hitzel, mittlerweile 63, wollte - ehrenamtlich - die Nachwuchs-Abteilung des SV Mattersburg neu aufstellen. Nach fünf Monaten gab er auf.
Der Grund: es war vereinsintern nicht durchzusetzen, dass sich der ihm nominell unterstellte Amateur-Coach, ein Mann ohne A-Trainer-Lizenz aber mit guter Seilschaft, in sein Konzept eingliedert. Im Gegenteil: die Vereinsführung rund um Bankdirektor Martin Pucher schlug sich auf die Seite des Homies und ließ den Erneuerer auflaufen.

Ein Klassiker des "So hammas scho immer gmocht!"-Ansatzes, der die meisten heimischen Vereine daran hindert über die allerengsten Furchen drüberschauen zu können.

Derlei lokalpolitische Handlungen wirken sich natürlich auch auf die Leistungszentren und die 12 Akademien aus. Die vor einem Jahr eröffnete Akademie Burgenland etwa, die von Hitzel aufgestellt hätte werden sollen/können. Die Schließung der Stronach-Akademie im Vorjahr - offiziell aus Standort-Gründen: auch kein Ruhmesblatt.

Die Nachwuchs-Arbeit an der Basis steht also auf schwachen Beinen; und braucht gezielte Leitung aus der Zentrale - was den sportlichen Aspekt betrifft. Und hier kommt der ÖFB - und sein schlimmstes Versagen - ins Spiel.

Jahrgangs-Kuddelmuddel

Um das Grund-Problem zu erklären muss ich kurz auf zwei Positiv-Beispiele rüberblenden. Nach Deutschland, zum diesbezüglich bestmöglichen Vorbild, und in die viel eher vergleichbare Schweiz.

Die Stichtage für die ÖFB-Jugendteams:
Der Jahrgang 90 stellt die U21 (Herzog & neu Markus Schopp statt Pfeifenberger als Co), der Jahrgang 91 die U20 (Heraf), der Jahrgang 92 die U19 (Stadler), der Jahrgang 93 die U18 (Ernst Weber), der Jahrgang 94 die U17 (Janeschitz), der Jahrgang 95 die U16 (Heraf).

Sowohl beim DFB als auch beim SFV werden an allen vom FIFA-Kalender als Länderspiel-Termin gekennzeichneten Möglichkeiten alle Junioren-Nationalteams zusammengerufen und mit Trainings- und Spielpraxis versorgt; den jeweiligen Jahrgängen entsprechend. Denn da gibt es, logischerweise, ganz konkrete Stichtage (siehe nebenan). An diese Stichtage hält man sich, im Normalfall. Beim DFB wird sehr genau abgesprochen, welche Spieler frühzeitig "hochgezogen" werden, also in eine Mannschaft übersiedeln, für die sie (alterstechnisch) noch gar nicht qualifiziert wären. Weil die U-Teams an jedem der möglichen Spieltage einen Einsatz haben, ist das auch nötig.

So hat die (willkürlich rausgegriffene) deutsche U18 im Frühjahr sieben, im Herbst vier, also elf Spiele ansolviert, fürs erste Quartal 2011 stehen drei (!) = Lehrgänge an. Die Schweizer U17 hat acht Frühjahrs- und sechs Herbstspiele (also 14!) Matches aufzuweisen.

Die jeweiligen ÖFB-Nachwuchs-Auswahlen haben fünf (die U18) und neun (die EM-Quali spielende U17) Spiele absolviert - einen Bruchteil. Weil der ÖFB an jedem Spieltag nur einen Teil seiner Jahrgänge einberuft, kommt es zu einem unnötigen Jahrgangs-Kuddelmuddel - was weder der über die Jahre gewachsenen Aufbauarbeit noch einem mittelfristigen Teambuilding gutut - weshalb es in Deutschland oder der Schweiz nur in aller Vorsicht, als Ausnahme, nach Absprache passiert. Dort stehen allerdings die jungen Spieler im Zentrum des Verbands-Interesse, nicht wie hierzulande die Jugend-Coaches.

Trainer-Egos und Entwertung

Wer allerdings nicht die Interessen der jungen Spieler in den Fokus stellt, sondern seine eigenen, ist eigentlich ungeeignet für Nachwuchs-Arbeit. Deshalb sind die Trainer-Egos im ÖFB auch das größte Problem. Und zwar funktioniert das (wie so oft) Top down.

Zunächst war es Teamchef Constantini (aus den bekannten, Ego-Marketing-Gründen) nicht möglich die simpelsten Kommunikations-Wege aufrecht zu erhalten: er plünderte, gänzlich ohne Absprache, die Jugendnationalteams um sich seine (in zahllosen, viel zu lange dauernden und oft fruchtlosen Experimenten zusammengestellte) A-Mannschaft zurechtzubasteln.

Das wiederum brachte U21-Coach Andreas Herzog dazu desgleichen zu tun und in den unteren Jahrgängen zu wildern (Unrecht kompensieren indem man es weitergibt, wie erwachsen...), und als diese Reihe das inhaltlich schwächste Glied der Nachwuchs-Trainerkette, Andreas Heraf erreichte, war bereits Hopfen und Malz verloren. Trainer wie Heraf und in weiterer Folge Hermann Stadler, die, vorsichtig gesagt, nicht die fleißigsten Sichter sind und gerade einmal innerhalb des ihnen zugewiesenen Jahrgangs halbwegs manövrieren konnten, verloren zunehmend den Überblick und nahmen einander laufend Spieler weg.

Die Ich-AG-Philosophie von Constantini war vor allem für die im Dauer-Medien-Einsatz stehenden Herzog und Heraf (beide sind Experten bei Sky, Herzog sogar beim großen deutschen Bruder) nachvollziehbar - und plötzlich war es wichtiger intern und extern gut dazustehen als für kontinbuierlichen Aufbau zu sorgen. Die Dauerwechselwilligkeit signalisierenden Assistenten ("Mei Traum warat scho an Bundesliga-Verein zum trainieren!") und Jugend-Coaches trugen deutlich zur Demontage eines in den Jahren davor brauchbar funktionierenden Work-Ethic bei.

Die Destabilisierung der Nachwuchs-Arbeit

Die Destabilisierung des ÖFB-Nachwuchs-Systems nimmt also an allen Ecken und Enden zu.

Und dort, wo mühsam ein Loch gestopft wird - wie aktuell bei der anstehenden U20-WM - wird ohne Not sofort ein Neues aufgerissen.
Beispiel: weil der ÖFB nach dem Coaching-Debakel bei der U19-EM im Frühjahr weiß, dass es mit Andreas Heraf als Alleinbverantwortlichem in Kolumbien keinen Stich machen wird, hat man ihm kürzlich einen echten Trainer und Strategen, den Chef der angesehenen Akademie Linz, zur Seite gestellt.
Zudem war immer die Rede davon, dass auch Andreas Herzog der WM-TaskForce angehört. Nun lässt Herzog mit folgender Aussage aufhorchen: "Ich glaube eher nicht, dass ich in Kolumbien dabei bin." Der Grund ist ein Nobler: ein U21-Testspiel.

Dass die U20-WM in Kolumbien, die einen ähnliche Boost bringen kann wie die von 2007 in Kanada, nicht nur sportlich ein Stiefkind ist, sondern auf der ÖFB-Site auch nicht vorkommt, sei nur am Rande bemerkt.

Natürlich ist nicht alles schlecht: so hat man jüngst im Bereich Mentalcoaching einen interessanten Schwerpunkt gesetzt.

Allerdings zeigt sein "Ich glaube nicht...", dass es aktuell weder einen Masterplan für Kolumbien und die U20-WM gibt, noch wirkliches Interesse der Ego-Vermarkter im ÖFB sich dort bloß als "Berater" zur Verfügung zu stellen, wohl weil das zuwenig Aufmerksamkeit bringt.
Auch hier steht also das Ego vor der Teamleistung und vor allem der Nachwuchs-Stärkung.

Und auch die Planlosigkeit des ÖFB wird wieder einmal deutlich sichtbar.
Der DFB hat (siehe oben) selbst die Trainingslager für seine U18 bereits ausgetüfelt. Der ÖFB hat das mögliche Wintertrainingslager des A-Teams (wegen Druck der Vereine) abgesagt und bis auf die Rahmentermine für A-Team und U21 noch rein gar nichts auf der Agenda.

Die Krise was Philosophie und Struktur der Nachwuchs- und Ausbildungs-Arbeit betrifft, hat also bereits erste praktische Auswirkungen.