Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Tradition von Schutzhäusern"

Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

24. 11. 2010 - 19:08

Tradition von Schutzhäusern

Das Freunde Schützen Haus stellt sich mit dem Schutz und der Versorgung von Fremden in eine Tradition von Schutzhäusern, die es vor der staatlichen Betreuung von Flüchtlingen gegeben hat.

Seit zwei Monaten gibt es mit dem Freunde Schützen Haus eine private Initiativen zum Schutz von Flüchtlingen. Hier sind Flüchtlinge untergebracht, für die sich der Staat entweder nicht zuständig fühlt, oder denen er kein Anrecht auf Schutz zuerkennt. Das Freunde Schützen Haus reiht sich ein in eine lange geschichtliche Entwicklung des Umgangs mit Schutzsuchenden.

Antike

Wer überhaupt das Recht auf Asyl hatte, war lokal verschieden: es konnten alle, oder aber nur freien Bürgern gewährt werden.

Wer im antiken Griechenland verfolgt wurde, konnte sich in das "asylon" (von gr. ἀσῦλος, unberaubt), einen freien, unverletzlichen Bereich flüchten, wo nichts und niemand mit Gewalt entfernt werden durfte. Flüchtlinge wurden so vor spontanen Racheakten oder Selbstjustiz beschützt. Eine Polis konnte den Status eines Asylon haben, häufiger jedoch waren es Tempel und heilige Stätten. Die Flüchtlinge stellten sich also unter den Schutz der Gottheiten und die PriesterInnen sorgten dafür, dass ihnen ein geordnetes Rechtsverfahren ermöglicht wurde.
Über Jahrtausende hinweg waren religiöse Häuser die wichtigeste Form der Schutzhäuser.
Auch im antiken Rom gab es eine Form des Heiligtumasyls. Als sich das Christentum im Römischen Reich ausbreitete wurden christliche Kirchen faktisch als Asylorte anerkannt, im 5. Jahrhundert nach Christus auch rechtlich. Menschen, die sich in Kirchen flüchteten, durften wegen der Heiligkeit der Stätten nicht mit Gewalt heraus geholt werden. Sie konnten darum bitten, dass der Bischof sich für ihre Begnadigung einsetzte, ihre Verfolgung war durch das kirchliche Asyl nämlich nur aufgeschoben. Diesen Aufschub konnten aber auch nicht alle genießen, ausdrücklich vom Kirchenasyl ausgenommen waren MörderInnen, HeidInnen, HäretikerInnen und JüdInnen.

Keine Ausnahme bei der Aufnahme von Schutzsuchenden gab es zum Beispiel in der beduinisch-orientalischen Kultur, was auch mit dem Ursprung auf der arabischen Halbinsel zu tun hat. In der lebens- und existenzfeindlichen Wüste sind sowohl Reisende als auch Flüchtlinge auf Hilfe und Aufnahme durch NomadInnen und BeduinInnen angewiesen.
Wenn die Aufgenommen verfolgt wurden, hatte der aufnehmende Beduine sogar die Pflicht, sie zu beschützen, unabhängig davon, was passiert war oder woher sie gekommen waren. Erst nachdem ihr Leben gerettet war, konnte man sich um die Hintergründe ihrer Verfolgung kümmern.

Mittelalter

Im Hochmittelalter setzte die katholische Kirche auch in Europa eine Beistandspflicht ihrer Kleriker für Verfolgte fest. Das Kirchenasyl wurde auf HeidInnen, HäretikerInnen und JüdInnen ausgedehnt, was durch eine Emanzipation von weltlicher Rechtsprechung möglich war. Oft kam es allerdings zu Konfrontationen mit der weltlichen Gerichtsbarkeit über die Auslieferung von Menschen im Kirchenasyl, bei denen sich die weltlichen Institutionen immer häufiger durchsetzten.

Diese Aufhebung des Kirchenasyls wurde von der katholischen Kirche freilich nie anerkannt. Sie ist immer noch der Meinung, dass der Staat ohne die Zustimmung der kirchlichen Autorität niemanden aus einer Kirche holen darf.

In allen europäischen Ländern wurde im Laufe der Neuzeit das kirchliche Asylrecht immer weiter beschnitten, im 19. Jahrhundert war es formell überall abgeschafft. Der rechtsfreie Raum, den das kirchliche Asyl geboten hat, stand dem Souveränitätsverständins der Staaten entgegen. Asyl wurde zu einem weltlichem Prinzip, das in der französichen Verfassung von 1793, also während der Koalitionskriege, zum ersten Mal formuliert wurde. Den Staaten ging es aber mehr um die Kontrolle von Menschen auf ihrem Staatsgebiet.

Die volle Verantwortung für Leben, Schutz und Verpflegung der Flüchtlinge übernahmen die Staaten erst nach den großen Vertreibungswellen und Verfolgungen im 20. Jahrhundert: Die Russische Revolution, der Spanische Bürgerkrieg und die beiden Weltkriege. In der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 verpflichteten sich 141 Staaten, Menschen, die aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden, zu schützen.

Die Flüchtlingswelle, die durch die "Ungarnkrise" 1954 ausgelöst wurde, war die erste Probe für die Genfer Flüchtlingskonvention und die Staaten erfüllten ihre Aufgaben rasch und ohne Einschränkungen. Auch nach dem "Prager Frühling" 1968 und dem Zerfall Jugoslawiens Anfang der 1990er war die Hilfsbereitschaft für die tausenden Flüchtlinge groß.

Gegenwart

Mit dem Anwachsen der weltweiten Flüchtlingszahlen in den letzten Jahrzehnten ist die Akzeptanz von Asylsuchenden in der Bevölkerung und der Politik allerdings gesunken. Asylsuchende wurden oft als "ScheinasylantInnen" oder "Wirtschaftsflüchtlinge" bezeichnet. In ganz Europa wurden die Asylgesetzgebungen verschärft und immer mehr Menschen abgeschoben.

Auch in Österreich gab es mit Arigona Zogaj einen prominenten Fall von Kirchenasyl.

Vor diesem Hintergrund kam es in mehreren europäischen Staaten, in den Niederlanden, in Frankreich oder in Deutschland wieder zu einer Renaissance des Kirchenasyls. Das Prinzip des Rechts auf Asyl hat zwar nichts mehr mit dem Kirchenasyl zu tun, dennoch spielen die Kirchen beim Schutz von Flüchtlingen und Asylwerbern wieder eine große Rolle. In Deutschland befinden sich schätzungsweise 100-400 Menschen pro Jahr in kirchlichem Asyl und in der Schweiz kam es mehrmals zu Besetzungen von Kirchen durch "Sans papier", illegal Eingewanderte, um der Abschiebung zu entgehen. Vor dem Gesetz ist Kirchenasyl nicht mehr als eine Form zivilen Ungehorsams, dennoch wagt sich die Polizei nicht immer in Kirchen.

Einige europäische Staaten wollen nur Menschen aufnehmen, die in der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannt werden, die anderen Schutzsuchenden werden abgewiesen, auch wenn sie bereits integriert sind und eine Bereicherung für die Gesellschaft darstellen. Kirchen und private Institutionen wie das Freunde Schützen Haus wollen mit ihren Initiativen gegen Abschiebungen den Staat darauf hinweisen, dass er seine Zuständigkeit für Flüchtlinge nicht nur auf Verfolgte beschränkt, sondern sie auch auf diejenigen ausdehnt, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich geflohen sind. Denn freiwillige Flüchtlinge gibt es nicht. Menschen flüchten nur, weil sie flüchten müssen.