Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Du bist ein Knoten, Komplize!"

Lukas Tagwerker

Beobachtungen beim Knüpfen des Teppichs, unter den ihr eure Ungereimtheiten kehrt.

26. 11. 2010 - 15:22

Du bist ein Knoten, Komplize!

Wenn kritische Distanz im mafiösen Kunstbiotop, in der korrumpierend verstrickten Netzwerk-Welt keinen Sinn mehr macht, was wäre kritische Nähe? Komplizenschaft.

Weil der Link zur Club2 Diskussion "Wie mächtig ist die Mafia in Österreich?" nicht mehr geht, ziehe ich mir die jüngste Ausgabe des ORF-Primetime-Machwerks "Helden von heute" rein - upps - kurze Unaufmerksamkeit meinerseits, das Zeug heißt "Helden von morgen".

Wenn der Gelsenkirchner Rapper in seinem Text erzählt, dass er die Leute dazu aufrufen würde, den Fernseher auszuschalten und auf die Straße "endlich rebellieren" zu gehen, wenn man ihn ins Fernsehen lassen würde - "Bitte, Bitte, lasst mich bloß nicht ins Fernsehen!" der Chorus - und wenn daraufhin ein ehemaliger Sängerknabe mit Gitarre zur Revolution aufruft und "Do you know your enemy?" singt, dann mache ich statt einem Mafia-Einstieg eben einen Pop-Einstieg ins Thema Komplizenschaft.

Als Komplizen eines tendenziell herrschaftsstabilisierenden Hauptabend-Spektakels, das die Verherrlichung von zugespitztem Konkurrenzkampf betreibt, haben der Rapper und der Ex-Sängerknabe vielleicht gerade die Dosis kritischer "Dissidenz" eingebracht, die den Rahmen dieser Gesten, nämlich die Show selbst legitimiert. Das Dilemma der Kritik: Ist sie zu nahe am Kritisierten, kann sie vereinnahmt werden, ist sie zu weit weg, verhallt sie ungehört. Ein Weg sich dazwischen zu bewegen ist der letzte Schrei der Diskursindustrie: Komplizenschaft.

Kritische Komplizenschaft

Eine Gruppe Halbnackter auf einem Floß am Ufer des Hudson Rivers in New York.

The Bruce High Quality Foundation

The Bruce High Quality Foundation, Raft of the Medusa, 2007

"Das Subjekt lässt sich durchaus so denken, dass es seine Handlungsfähigkeit von ebender Macht bezieht, gegen die es sich wendet, so unangenehm und beschämend das insbesondere für jene sein mag, die glauben, Komplizenschaft und Ambivalenz ließen sich ein für allemal ausrotten." Judith Butler,
Psyche der Macht

Seit Günther Anders den US Air Force-Wetteraufklärer Claude Eatherly als schuldig Unschuldigen zur paradigmatischen Figur der technisch-anonymen Moderne erklärt hat - Eatherly erkundete am Tag des Atombombenabwurfs die Wetterbedingungen in Hiroshima und litt sein restliches Leben daran, am Massenmord kollaboriert zu haben - und spätestens seit Harun Farocki in seinen Filmen die Verquickung von Industrie und Militär mit der Frage der individuellen Verantwortung verbunden hat, ist bewusste Teilnahme am gesellschaftlichen Konsens nicht ohne korrumpierende Integritätsverluste denkbar.

Jüngere Entwicklungen, die mit Schlagworten wie der Ökonomisierung des Sozialen oder Networking (not working?) benannt werden können, begünstigen eine Flexibilisierung des eigenen Charakters, Opportunismus wird zur "unverzichtbaren" Ressource, die Mafia zum Organisationsmodell.

Die Möglichkeiten widerständigen Handelns innerhalb einer Welt, in der Produktion und Konsum mit Katastrophen verstrickt sind, reichen von Verweigerung bis Komplizenschaft, wobei erstere durch bewusstes Unterlassen eine gewisse Gewissensbequemlichkeit erlaubt, und zweitere in jeder Hinsicht angreifbar, gefährlich und fragwürdig bleibt. Verweigerte Komplizenschaft und komplizenhafte Verweigerung verkomplizieren die jeweiligen Kampfbegriffe und eröffnen ein weites Feld von Strategie und Taktik.

Galería Chilena mit chilenischem Präsidenten

Galería Chilena

Galería Chilena, Diego Fernández, Felipe Mujica, and Joe Villablanca, with the president of Chile, Eduardo Frei, in his office

"Ein Blick, eine Geste, ein Code: Wir alle agieren - mehr oder weniger bewusst - als Komplizen."
Gesa Ziemer, Komplizenschaft - Eine Taktik und Ästhetik der Kritik?

2006 bis 2007 finanzierte die Schweizer Förderagentur Kommission für Technologie und Innovation das Forschungsprojekt Komplizenschaft, Arbeit in Zukunft, bei dem Wirtschaftsbetriebe und universitäre Wissenschaftsabteilungen das Theorie-Institut der Züricher Kunsthochschule für transdisziplinäre Standortförderung nutzten und ein etwas abstruses Regelwerk für Komplizenschaft erstellten.

Leistet sich das an Selbstbefragungsritualen reiche und höchst kapitalistische Kunstfeld einen eigenen Komplizenschaftdiskurs, um die Korrumpierung durch "rein" wirtschaftliche Interessen im Zaum zu halten oder diese gar zu bekämpfen? Oder um von ihr besser profitieren zu können? Oder ist der Kunstkontext hier einfach der seriöseste Ort, von dem aus trickreich verschwörerisches Agieren in Grauzonen erprobt und zur Norm für die Arbeitswelt gemacht werden kann?

Die soft skills von KünstlerInnen, die seit langem sowohl verinnerlichte Ich-AGs als auch verführerische Selbstentgrenzer mit Hang zum Kollektiv spielen müssen, stellen offensichtlich das Anforderungsprofil für individuelles Unternehmertum im offenen Mafiakrieg der Netzwerke.

Tanja Ostojic an der Seite von Harald Szeemann

Tanja Ostojic

Tanja Ostojic, I´ll be Your Angel, 2001

War die Kunsthalle Exnergasse im Wiener WUK letztes Jahr noch Schauplatz einer Ausstellung über "Freundschaft als Produktionsform" mit dem aufdringlich intimen Titel SMELL IT! so eröffnete nun - eine Woche nach der Ausstellung Wir Manager! im Privatmuseum eines schweizer Wäschekonzerns - im WUK die Ausstellung Kritische Komplizenschaft, seit deren Besuch ich mein zweifelhaftes soziales Umfeld mit dem Komplizen-Begriff zu interpretieren versuche.

Kritische Komplizenschaft ist bis 18. Dezember bei freiem Eintritt in der Kunsthalle Exnergasse im WUK in Wien zu sehen. Im Kunstraum Lungomare und in diversen Locations im südtiroler Bozen finden bis Sonntag 28. November u.a. diverse Performances statt. Im Januar wandert das Projekt nach Ljubljana.

Im Katalog zu diesem Projekt, das neben der Station in Wien auch im Südtiroler Bozen und demnächst in Ljubljana Halt macht, schreiben die KuratorInnen Lisa Mazza und Julia Moritz: "Eine Person wird zum/zur KomplizIn, wenn sie das Handeln einer anderen Person ermöglicht, indem sie es nicht verhindert, obwohl sie um die Fragwürdigkeit dieser Handlung weiß."

Der Text der Galeriedirektorin Barbara Steiner "Korruption, Korrumpierbarkeit und Komplizenschaft" beschreibt Auswüchse der Korruption von und mit Kunst und fordert in der Folge ein gewisses transparentes Position-Beziehen: "Weil (...) Grenzen und Rollen fließend, Beziehungen kontingent und prekär geworden sind, erscheint es heute umso notwendiger, danach zu fragen, wer in wessen Auftrag agiert und wessen Interessen bedient."

Zum einen lassen sich diese Fragen freilich postwendend rückadressieren. Und dann ergibt sich das Rätsel, was aus dem Mitwissen über Interessen und Aufträge gemacht werden könnte.

Glasspinnenarte Gebilde hängen im Ausstellungsraum

FM4 / Lukas Tagwerker

Galería Chilena, Kunsthalle Exnergasse