Erstellt am: 22. 11. 2010 - 17:14 Uhr
Fußball-Journal '10-64.
Meisterschaft und Cup, das europäische Geschäft, das Nationalteam, der Nachwuchs, aber vor allem auch das hiesige Medienverhalten und die Wahnsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '10 begleitet die Saison ungeschönt.
Heute mit Teil 1 der Jahresbilanz des ÖFB, nämlich der von Team Constantini verantworteten A-Nationalmannschaft.
Morgen in Teil 2: Raubbau im Edelstein-Revier. Warum die hochgelobte Jugendarbeit des ÖFB in eine Strukturkrise zu schlittern droht. Teil 2 des ÖFB-Jahres-Fazits.
Warum soll es im Fußball anders sein als in den anderen Bereichen?
Geil sind: kurze und substanzlose Skandalisierung und Empörung. Out ist: jegliche Nachhaltigkeit. Wichtig ist: der Verweis auf simpel nachzuvollziehende Zahlen und Fakten, mit denen man Diskurse abwürgt. It's all about the stats, wie überall im Politik/Ökonomie/Bildungs/Medien-Bereich.
Und Dietmar Constantini ist genau der Trainer-Typus, der Österreich exakt auf den Punkt bringt, der Typ der all diese Kurzzeit-Anforderungen erfüllt. Wenn jemand "Austria's Next Teamchef" ausrichten würde, DiCo wäre der strahlende Sieger.
Bestes Beispiel: die Bilanz des Länderspieljahres 2010. Die wurde als große Erfolgsgeschichte präsentiert: erstmals seit dem Jahre Schnee wäre sie nämlich nicht negativ.
Und wie im dumpfesten und anzeigenheischendsten Wirtschaftsjournalismus beten alle diese Bilanz nach, ohne auch nur einen einzigen Blick auf ihr Zustandekommen zu werfen.
Dabei ist es so augenfällig wie nur was: die sieben Spiele von 2010 sind durchaus 3-1-3 (TD 12:9) ausgegangen. Allerdings: 6 der 7 Matches waren Heimspiele.
Bilanz-Schummelei
Dass das eine Bilanz, vorsichtig gesagt, günstiger erscheinen lässt, liegt in der Natur der Sache. Und dass Fußball an sich auf einen Home/Away-Prinzip basiert, hat sich zum ÖFB-Teamchef noch nicht herumgesprochen.
Dietmar Constantini hat deshalb freiwillig noch kein einziges Auswärtsspiel bestritten hat. Neverever.
2010 nur das Pflichtspiel gegen Belgien. 2009 auch nur die drei Quali-Spiele, die vorgeschrieben sind. Its all about the stats. Und die wird er sich doch nicht durch ein Auswärts-Risiko nehmen lassen, wo kommen wir da hin?
Das ÖFB-Team einmal auswärts testen lassen - auch weil in den Qualis genau die Hälfte der Matches eben auswärts stattfindet? Nicht nötig, in der Ära Constantini. Nativismus pur.
Da sind ja selbst die Spionage-Fahrten ausgesourct; und die Besuche der Legionäre überlässt er auch liebend gern den Assis.
Wo kommen wir da hin, wenn man sich auf sowas einlässt?
Und, ehrlich, was ist wichtiger?
Dass eine (international nicht ganz so erfahrene) Mannschaft sinnhafte Erfahrungen sammelt oder dass die Bilanz für einen Teamchef, der weiß wie wichtig die Statistik für ihn ist (weil er sonst ja eh nichts aufzuweisen hat)?
Eben.
Statistisches Geschiebe
Die Statistik der ÖFB-Länderspiele für jedermann/frau nachlesbar.
Im übrigen: die jämmerliche Tatsache, dass Österreich heuer ganze sieben Spiele bestritten hat, kommentiert sich hoffentlich von selber. In einem WM-Jahr (Teilnehmer kommen da locker auf die doppelte Anzahl), wo das ganze Frühjahr über willige Testspiel-Gegner zu haben sind, drauf zu verzichten, war dümmer als tiefste Gaga im Musikantenstadl; noch dazu wo etliche WM-Mannschaften in Österreich ihre Trainingslager abgehalten hatten. Unser reisefauler Chefchecker hätte die Gegner also eh vor der eigenen Tür gehabt...
Selbst in der Kurzzeit-Ära Bruckner gab es ein Testspiel auf fremdem Boden.
Selbst in der Phase der Euro-Vorbereitung, als Hickersberger fix davon ausgehen konnte das kommende Turnier ausschließlich on home soil zu bestreiten, gab es (freiwillig) vier Tests abroad. Weil das ja auch Sinn macht, sich und seine Stärken/Schwächen abzutesten unter Auswärts-Bedingungen; die spätetens in der nächsten Qualifikation ja wieder auftreten werden.
Constantini schönt und linkt also, gaukelt gute Bilanzen nur vor, indem er ein reines Heimspiel-Team ins Rennen um (seine) Image-Punkte wirft.
Und, nicht mit der Ausrede kommen, es würde sich "nur um eine Statistik" handeln. Die erste Reaktion nach der einerseits überflüssigen, andererseits völlig gerechtfertigten Griechenland-Heimniederlage lautete genau so: jetzt hams mir die Bilanz versaut... Da brach es aus dem Tiroler raus, da hat er sich verraten, da war dann endlich klar, welchem Ziel er alles unterordnet.
Aber, ich garantiere: auch das Wissen um diese Nötigung würde/wird nichts ändern.
Bei wem denn? Der ÖFB will Jubel-Meldungen. Die Liga und der Rest der Branche hat eigene Sorgen. Die Medien sind, wie ihre Kreatur Constantini nur an genau so hingetrimmten Statistiken interessiert. Und die Fans/Medien-Konsumenten sind durch jahrzehntelange Miß-Berichterstattung so sehr auf eine rein personell gestrickte Problemsicht konditioniert, dass sie derlei System-Schummelei großteils gar nicht mehr versteht.
Insofern hat Österreich genau den Teamchef den es verdient.
Fazit, ernsthaft jetzt:
Nachdem er und seine Vorgänger alles, was halbwegs spielintelligent ist, ausprobiert haben, hat sich ein Spieler.Kader rauskristallisiert, an dem ohnehin niemand vorbeikommt. Durch das beharrliche Schüssel-Style-Aussitzen der Konflikte mit Stranzl (zu laut), Manninger (zu leise), Garics (zu schlimm), Ivanschitz (zu brav), Ibertsberger (zu vielseitig) und zuletzt Korkmaz (zu einseitig) oder Leitgeb hat sich ein Team ergeben.
Das hätte man auch besser (managementtechnisch und vor allem menschlich) schneller und effektiver haben können, aber bitte. Jeder Baumschüler in Österreich würde, wenn er eine Gruppe von 30, 40 Kandidaten nominieren müsste, die letztlich selben aufstellen. Das ist keine Kunst.
Der in den Medien gerne zum Hauptarbeit aufgeblasene Qautsch des Kontakts mit den Vereinstrainern, was die Formkurve der Spieler betrifft - eine selbstverständliche Kleinigkeit.
Die tatsächliche Arbeit eines Nationalteam-Verantwortlichen setzt an diesen Selbstverständlichkeiten an. Man entwirft eine Spiel-Philosophie, die mit Mentalität, Spielermaterial und dem aktuellen Standing korreliert (siehe SFV); man richtet einen dementsprechenden Trainingsplan aus, auch für die Zeit zwischen den Länderspiel-Terminen (siehe DFB); überlegt sich für die kurzen Einheiten ebenso wie für die längeren Trainingslager spezielle Taktik-Schulungen; man beschäftigt sich ernsthaft, seriös und umfassend mit der Gegnerschaft und entwickelt für jedes Spiel einen individualisierten Matchplan; und vieles andere mehr.
Constantini kapiert seinen eigenen Austausch nicht
Unnötig zu sagen, dass das Team Constantini nichts davon erfüllt; auch weil es nichts davon erfüllen kann. Weil es (siehe oben) Angst vor dem Ausland hat, also weder Dinge übernehmen noch seriös nachforschen will. Und weil auf Taktik, auf Matchpläne und Systeme schlicht und ergreifend geschissen wird. Das sei gar nicht sooo wichtig, lautet das Credo, wichtig wäre das "Gehtsausseundspütseuchaschpü!", die Motivation der Marke Krankl, also das pure Nichts.
Bester Beleg dafür, und das ist alles, was ich zum, Griechenland-Spiel zu sagen habe: Constantini stellt in der 2. Halbzeit sein System um (was das Spiel verlieren hilft) und weiß gar nicht, dass er es tut.
Wie zuletzt immer hervorragend: die Ballverliebt-Spielanalyse.
Die formidable laola1-Taktikanalyse beschreibt das schön. Nachdem die erste Halbzeit mit einem irgendwie schiefen 4-2-3-1 (die Rolle von Alaba war nicht einmal ansatzweise ausdefiniert; weshalb der junge, noch nicht wirklich fitte Mann auch Probleme hatte) so halbwegs gelungen war, wechselte er Maierhofer für Kavlak ein und stellte so auf ein 4-4-2 um.
Stimmt gar nicht, sagt der Mann, der Taktik für überschätzt hält: Maierhofer habe im Defensiv-Fall eh hinter Janko gespielt, er habe nur im System gewechselt. Sowohl die Laola-Grafik als auch der Video-Beweis entlarven das als unwahr.
Es ist also so, dass Constantini gar nicht begreift, was seine Wechsel auslösen, so egal ist ihm alles/ so wenig versteht er mittlerweile vom Spiel.
Die Falle der Kurzfristigkeit
Nun könnte man meinen: wurscht, was der Typ draußen an der Linie für Mist baut - spielen tun immer noch die jeweils elf auf dem Feld.
Stimmt schon.
Nur wird im Fall von ungefährer Gleichwertigkeit eine ungecoachte Mannschaft ohne Matchplan und Idee einer gecoachten Mannschaft mit Matchplan und Idee immer unterlegen sein. Gegen Belgien ist das noch irgendwie, eher zufällig, gutgegangen - gegen Griechenland kehrte der Normalzustand zurück: die von ihrem Nicht-Coach im Stich gelassene Mannschaft verliert.
Aber auch das interessierte irgendwie keinen.
Mittlerweile hat man sich dran gewöhnt, nimmt das wirre Durcheinander als gegeben hin; auch weil es durchaus österreichische Tradition ist sich drauf zu verlassen, dass es einzelne Aktionen oder Spieler immer wieder einmal zufällig richten; anstatt sich, wie Schweizer oder Deutsche, einmal des Systems dahinter anzunehmen um aus dieser Falle der Kurzfristigkeit rauszukommen. Einer Kurzsichtigkeit, die nur auf boulevardeske Zurufe reagiet. Einer Kurzatmigkeit, die den Weg in eine bessere Zukunft verstellt.
Morgen in Teil 2: die Strukturkrise im ÖFB-Nachwuchs.
Dort nämlich hält das System Constantini das A-Nationalteam in Geiselhaft, mit allen Mitteln, mit getrixten Bilanzen und Arbeits-Verweigerung.