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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

20. 11. 2010 - 19:26

Potterland ist abgebrannt

Alles hat ein Ende, Harry Potter hat gleich zwei. Jedenfalls im Kino: „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“, der finale Band der erfolgreichsten Buchreihe überhaupt kommt in zwei Teilen auf die Leinwand. Den Anfang vom Ende, den kann man sich bereits ab diesem Wochenende ansehen.

Das Erkennen, wohin Joanne K. Rowling mit ihrer epochalen Buch-Reihe gehen will, hat bei mir zuallererst einen Unwillen ausgelöst, mitzugehen. Die Heimeligkeit von englischen Cottages, zauberhaften Schlössern und prasselnden Kaminfeuern, der Farbfächer von Bordeauxrot bis Rubingrün, all das rinnt langsam aus ihrer Zaubererwelt. Unsicherheiten kriechen in das vormals trotz aller natürlicher und übernatürlicher Gefahren so überschaubare Universum: ein Kurrikulum zwischen „Potion Making“ und „Defense Against the Dark Arts“; Pennälerschmähs, ein wenig Turteln hier, ein bisschen Streiten dort; im Hintergrund das beständige Grollen der großen, körperlosen Potter-Nemesis Voldemort, die sich in immer neuen Aufzügen wiederbelebt und ihre Schergen kommandiert, im Schlussakt aber immer gegen die weißen Magier versagt.

Und dann das: immer weiter rückt Rowling ihre Geschichten ab von wiedererkennbaren Story-Elementen, immer mehr Vertrautes sägt sie ab, bis die Verunsicherung im letzten Akt von Band 6, Harry Potter und der Halbblutprinz, im Tod von Hogwarts-Direktor und Potter-Mentor Albus Dumbledore kulminiert. Ab diesem Moment wusste man, jetzt ist alles möglich. Vom Triumph des Guten über die Unterwerfung der Welt durch Voldemort ist alles drin: Rowlings Erfolg sichert ihr größtmögliche Freiheiten im Entwerfen ihrer Saga zu. Und irgendwie habe ich dieser Frau auch immer radikale Einschnitte zugetraut.

Harry Potter

Warner

Wie ein Licht in dunkler Nacht: vor allem Halb-Muggel Hermine Granger (Emma Watson) geht es an den Kragen, nachdem die Voldemort-Faschisten mit ihrer Reinblut-Politik an die Macht gekommen sind.

Radikal (ökonomisch) ist jetzt auch der Entscheid des produzierenden Warner-Studios – getroffen offenbar nach Konsultation von Frau Rowling – den finalen Band Harry Potter und die Heiligtümer des Todes in zwei Teilen in die Kinos zu bringen. Heißt es offiziell, dass die schiere Materialfülle dafür verantwortlich ist, sind kommerzielle Gründe dennoch die wahrscheinlicheren: weit über fünf Milliarden US-Dollar haben die Filme bisher eingespielt, das abschließende Duo muss schon allein aufgrund des popkulturellen Einschlags der Potter-Reihen insgesamt als essenzieller Event eingestuft werden. Die Mitternachtspremieren in den USA haben jedenfalls den bisherigen Franchise-Rekord schon eingestellt. Es wirkt der „Avatar“-Effekt: Selbst wer mit Fantasy an sich nichts anfangen kann, will dabei sein, um mitreden zu können. Und Gesprächsstoff liefert der jetzt anlaufende Anfang vom Ende reichlich.

Vom Boy Wizard zum Dark Knight

Die Schuld lastet jedenfalls schwer auf Harry Potter: jener Junge, der sich bis vor wenigen Jahren noch Bertie Bott’s Geleebohnen im Dutzend rein gepfeffert hat, muss sich mittlerweile als Erlöserfigur im größten Magierkrieg der Geschichte beweisen. Die Düsternis ist eingezogen ins Potterland: mit großer Macht kommt große Verantwortung, wusste schon Spider-Man. Eigentlich aber geht es um mehr: nämlich darum, die eigenen Unsicherheiten zuzulassen, darum, den Helden zum Menschen zu machen. Anti-Helden sind zum letzten Mal in den Siebzigern groß in Mode gewesen: nach Nixons Watergate-Skandal, dem Vietnamkriegs-Trauma und dem Zerfall der gegenkulturellen Utopien bleibt im Kino nur mehr Ernüchterung übrig. Clint Eastwood gibt der Epoche ein zorniges Gesicht: das des einsamen Rächers, der schlussendlich an seinen eigenen Psychopathologien zu zerbrechen droht. 2008 kehrt genau diese Figur ins Mainstream-Kino zurück.

The Dark Knight hat einen Paradigmenwechsel im Hollywood-System eingeläutet: ab jetzt dürfen Fantasy-Filme nicht nur dunkler sein, die Helden dürfen auch wieder Macken haben. Die Twilight-Reihe potenziert Gefühle von Weltverlorenheit und Melancholie und serviert Emo-Kids den offiziellen Soundtrack zu ihren Leben. Thom Yorke unkt auf der Tonspur, der Dauerregen prasselt auf den dunklen Wald herab und in der Mitte lieben sich zwei, die sich nicht lieben dürfen. Es ist das Scheitern, das die neuen Teenie-Blockbuster in vorher nicht bekanntem Ausmaß mitdenken: das Happy-End ist immer noch wahrscheinlich, aber längst nicht mehr garantiert. Perfektes Entertainment für eine Generation, die gelernt hat, dass man zwar scheitern und Angst haben darf, aber nicht darüber sprechen soll.

Harry Potter

Warner

Einer der wenigen hoffnungsvollen Momente im neuen Twili-, erm, Potter-Film: Harry mit Freundin Ginny Weasley.

Die Potter- und Twilight-Filme stellen den Zweifel ins Zentrum: keiner weiß, wohin es als nächstes geht oder was als nächstes passieren soll. Ein Gefühl, das viele Teenager teilen. Das entscheidende Element in all diesen Geschichten ist gerade nicht mehr der finale Triumph: den nimmt man mit dem Schulterzucken der Selbstverständlichkeit hin. Es ist vielmehr die long winding road, die dort hin führt, angefüllt mit Stirnrunzeln, Abwarten, Nervosität, Angstattacken, Unsicherheiten. Teenager-Alltag eben, ausgewalzt zu großen Fantasieepen vom Kampf Gut gegen Böse, wo es doch eigentlich immer zuerst um den Feind in sich selbst geht, um das Zwielicht des Erwachsenwerdens.

Potter

Warner

Allein im Wald, allein mit seiner Angst: Harry Potter auf der Suche nach den Heiligtümern des Todes.

Horkrux noch einmal!

Aber zurück zum aktuellen Film. In Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 1 geht es um die Rettung der Zauberwelt. Nicht mehr. Nicht weniger. Das bordeauxrot schimmernde Hogwarts mit seinen schrulligen Charakteren ist endgültig Geschichte. Die Vasallen Voldemorts haben sich in der Zauberschule breit gemacht und das Zaubereiministerium infiltriert. Potter und seine Freunde Hermine und Ron flüchten vor den Tyrannen, suchen fieberhaft nach einer Lösung, das Terror-Regime von Voldemort zu beenden. Und finden sie auch: Horkruxe, das sind Gegenstände oder auch Lebewesen, in die mächtige Magier Teilstücke ihrer zerrissenen Seele legen können. Wenn Potter Voldemorts sieben Horkruxe rechtzeitig finden und zerstören kann, dann kann das Schlimmste noch verhindert werden. Vielleicht, denn auch die Freundschaft der Jungmagier steht auf der Kippe.

Potter

Warner

Hermine Granger übernimmt die Rolle der Streitschlichterin

Es gibt keine Sicherheiten mehr in diesem Harry Potter-Film. Kein Hogwarts, keinen Fuchsbau, keinen Orden des Phönix. Nichts davon bietet mehr Zuflucht, Potter und seine Freunde sind „on the road“, ohne Heimstätte, ohne Zukunftsperspektiven. Dementsprechend verzweifelt und hoffnungslos ist auch der Tonfall: Regisseur David Yates inszeniert ein fatalistisches Schattenspiel wie aus einem schauergotischen Roman. Nichts ist mehr heimelig, nichts ist mehr gemütlich an dieser Welt: der Tod ist überall, während sich die Welt auf einen Krieg vorbereitet – und auf massive Verluste einstellt. „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1“ mag erzählerisch für alle jene, die mit der Romanvorlage und deren Vor- und Nachgeschichte nicht vertraut sind, auf der Stelle treten. Die Handlung lässt sich mit „Abschied“ und „Abwarten“ umschreiben: denn ein Generalrezept gegen den dunklen Lord finden Potter und seine Freunde erst, als sie von den geheimnisvollen Heiligtümern aus dem Titel erfahren.

Dunkle Magie

Yates und seine Kameramänner verwenden atemberaubende Landschaften aus Regen getränkten Wiesen und zerklüfteten Kalkformationen zur Illustration des Seinszustands der Helden: in einem kleinen Zelt campieren sie - sehr unmagisch - in dunklen Wäldern, gehen sich gegenseitig an die Gurgel, umarmen schließlich sich selbst und ihr grausames Schicksal, während Nick Cave & The Bad Seeds von den „O Children“ singen. Eine großartige Sequenz. Überhaupt gibt sich dieser Potter-Film bildmächtig wie kaum einer zuvor: Es scheint, als sei Yates in seinem Element angekommen, als habe er seine vorherigen Regiearbeiten für den fünften und sechsten Film der Reihe als Trockentraining gebraucht, um hier und jetzt zur großen Form aufzulaufen.

dunkle Magier

Warner

Lord Voldemort (Ralph Fiennes) und seine Todesser laufen zur Höchstform auf

Keine der größeren Konfrontationen ist ein Krachbummtschack-Event, kraft des makellosen Sounddesigns surren die Surround-Zaubersprüche durch den Kinosaal, die Bilder sind glatt, geschmeidig und kalt. Darstellerisch mausert sich vor allem Rupert Grint in der Rolle des tollpatschig-sympathischen Ron Weasley zum Helden aus der zweiten Reihe, dem man lieber zusieht, als demjenigen aus der ersten, während Emma Watson und Daniel Radcliffe Dienste nach Vorschrift verrichten.

Yates und dem Drehbuchautoren Steve Kloves gelingt es jedenfalls, einen fantastischen ersten Akt aus Rowlings wucherndem Roman zu extrahieren. Das Ergebnis ist ein elegant inszenierter Horrorthriller, der nie zu viel und nie zu wenig will. Und mittendrin sogar mit einer albtraumhaften Animationssequenz überrascht, die im besten Sinn an die expressionistischen Schauer von Neil Gaimans „The Sandman“-Comicbüchern erinnert.