Erstellt am: 19. 11. 2010 - 16:47 Uhr
Voll. Toll. Interpol.
Interpol, Wien, Gasometer, 18. November 2010:
Setlist (ohne Gewähr):
- Success (Album: Interpol)
- Say Hello To The Angels (Turn On The Bright Lights)
- Narc (Antics)
- Length Of Love (Antics)
- Summer Well (Interpol)
- Chemistry (Our Love To Admire)
- Slow Hands (Antics)
- C'mere (Antics)
- Untitled (Turn On...)
- Barricade (Interpol)
- Take You On A Cruise (Antics)
- Lights (Interpol)
- PDA (Turn On...)
- Memory Serves (Interpol)
- Not Even Jail (Antics)
Zugabe:
- Lighthouse (Our Love To Admire)
- Evil (Antics)
- The Heinrich Maneuver (Our Love To Admire)
So ähnlich muss sich die ewige Liebe anfühlen. Ungefähr mein halbes Leben lang begleitet mich diese unglaubliche Band schon. Dann steh ich im Konzert und es ist einfach nur schön.
Wahrscheinlich war es bei einem Deutschland-Konzert 2004, als ich mir meinen Interpol-Hoodie gekauft habe. Eines dieser Kleidungsstücke, die du nur zum Waschen ausziehst. Keine Ahnung, auf wievielen Abenteuern mich das Teil begleitet hat. An wievielen Orten ich mit dem Hoodie als Polster unterm dröhnenden Kopf aufgewacht bin. Wieviel Kilo Schmerztabletten ich beim Zivildienst gewissenhaft in Plastikspender geschlichtet habe, die Kapuze überm Kopf. Wie oft ich das Teil bei Sperrstunde im Morgengrauen aus einem versifften Eck eines Clubs gefischt habe.
Irgendwann war das Stück dann nur noch für Tätigkeiten wie Ausmalen oder Chlor-Reiniger-Verwenden zu gebrauchen, und bei meinem letzten Umzug vor ein paar Wochen hab ich das Teil weggeworfen.
Natürlich ist Band-Merchandising irgendwie albern, aber der alte Pulli ist dann doch ein schönes Bild. Weil genau wie der Pulli haben mich auch die Songs der Band begleitet. Die sich von besagtem Kleidungsstück durch zeitlose Eleganz unterschieden. Auch nach 300 Mal Hören sind Stella und Heinrich und wie sie alle heißen, noch nicht ausgewaschen.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum Interpol gestern ein Best-Of-Konzert gespielt haben. Okay, Stella war nicht dabei. Aber gerade einmal fünf aus achtzehn Songs vom aktuellen Album Interpol - das ist doch eher ungewöhnlich.
Niko Ostermann
Interpol 2010
Ungefähr zehn Jahre hat es gedauert, bis Interpol zum ersten Mal in Wien gespielt haben. Der Festivalauftritt am FM4 Frequency Festival (damals noch in Salzburg) war das bislang einzige Österreich-Konzert der New Yorker. Mit einem pochenden Geräusch im Hintergrund betreten fünf Interpols die Bühne. Dann gehts - wie auf dem aktuellen Album Interpol - mit Success los.
Interpol sind damals, 1998/99/2000, aus der Ursuppe entstanden. Innerhalb weniger Monate hat sich in New York die Rockmusik neu erfunden. The Strokes haben die Lo-Fi-Ästhetik zurück gebracht. Die Yeah Yeah Yeahs haben der brav gewordenen Indieszene Punk-Attitude zurückgebracht. The Rapture/DFA haben den Weg für die Erfolgsgeschichte von funky LCD Soundsystem erahnen lassen. Und Interpol haben mit schlichter Eleganz und schwarzen Anzügen minimalistisch-romantische Atmosphären gezeichnet.
Fünf Interpols? Ja, fünf. Drei davon bestens bekannt. In der Mitte Sänger Paul Banks, für seine wirren Texte gefürchtet und neuerdings auch solo als Julian Plenti aktiv. Links daneben Daniel Kessler, der tatsächlich für jeden Song eine andere Gitarre verwendet und der das Bewegungsdefizit des Sängers mit ausgedehnten Bühnenwanderungen ausgleicht. Hinter dem Sänger, immer mal wieder mit Zigarette im Mundwinkel, Sam Fogarino, 42.
So weit, so bekannt. Doch derjenige, der mit seinen düster-melodiösen Bassläufen Interpol so unvergleichlich gemacht hat, fehlt. Nachdem das aktuelle Album im Kasten war, hat sich Carlos D. vertschüsst. Die Lücke, die Herr D. hinterlässt, wird live von David Pajo alias Papa M. gefüllt. Ein brillianter Livemusiker, dessen Name (wie bei brillianten Livemusikern nur allzu oft üblich) weitestgehend unbekannt ist. Obwohl er bereits für Slint, Royal Trux oder die Yeah Yeah Yeahs auf der Bühne gestanden ist.
Dann gibts noch die Nummer 5, ebenfalls neu, Brendon Curtis. Den hab ich zwar kaum gesehen, weil der seine Rolands am anderen Ende der Bühne aufgebaut hat. Aber: Endlich ein echter Keyboarder für Interpol. Normalerweise hat den Job ja immer irgendjemand gemacht, der gerade zufällig Zeit hatte, oder in der Gegend war. Jetzt, mit dem Secret Machines Soundtüftler, könnten sich die Herren die Nebelmaschinen auf der Bühne schon beinahe schenken, so dicht klingt der Sound.
Niko Ostermann
Unterwegs mit Graf Zeppelin
Vorband waren übrigens die hoch gelobten Surfer Blood. Drei Möglichkeiten:
1. der Soundmann hat sich erst aufwärmen müssen,
2. ich bin bei der Vorband noch an einem schlechten Platz gestanden,
3. das klingt live einfach grauenvoll.
Ich weiß nicht, was davon richtig ist.
Minimalistisch und elegant sind die Interpolen auf der Bühne. Edler Zwirn, Gitarrist Daniel Kessler sogar mit Krawatte. Präzise und konzentriert legen sie mit Success und Say Hello To The Angels los. Wer sich angesichts der acht Jahre, die Say Hello schon auf dem Buckel hat, eine Neuinterpretation erwartet hat, hat sich getäuscht. Ein Song kommt bei Interpol erst dann auf ein Album wenn er fertig ist. Und fertig meint bei Interpol fertig. Da wird dann auch live nur ganz selten dran gebastelt oder verändert.
Dann aber, bei Narc, sagt David Pajo erstmals hallo. (Also nicht wörtlich, weil sprechen tut nur Paul Banks, und das auch nur, wenn es sein muss.) Dem Zwischenteil im 2004er-Hit verleiht er druckvoll und unaufdringlich einen beinahe dubbigen Rhythmus. Wunderschön. You should be in my space.
Für Length Of Love wird dann die Bühne schwarz und gelb. Interpol sind Minimalisten. Es wird wenig gesprochen, die Songs erzielen mit einem Minimum an Anstrengung ein Maximum an Effekt. Und die Lichtshow besteht aus ein paar Scheinwerfer, die zumeist in einer einzigen Farbe die Stimmung zeichnen. Die Band ist in dichten Nebel gehüllt (was den Nebeneffekt hat, dass ich mir den neuen Bassisten ungefähr wie Blixa Bargeld vorstelle, einfach weil ich ihn nie richtig gesehen habe, so ganz am anderen Ende der Bühne) und irgendwie wirkt die ganze Szenerie, als wär sie von der Außenbordkamera des Luftfahrzeugs D-LZ127 "Graf Zeppelin" aufgenommen worden:
Wolken ziehen vorbei; mal tönt von näher, mal von ferner die Stimme des Sängers; du überfliegst bekannte Sehenswürdigkeiten, erlebst Naturphänomene und staunst;
Niko Ostermann
Thou Shalt Not Make Some Noise For Detroit
Das Publikum ist angesichts der Perfektion, in der Interpol da performen, offensichtlich paralysiert. Rundherum offene Münder, gebannte Blicke. Aber wo ist die Ekstase, die sonst bei Konzerten dieser Größenordnung gern raumfüllend um sich greift?
Da! Jetzt kommt Slow Hands und das Publikum wacht auf, streckt die Hände in die Luft und hüpft auf und ab. (Für Bewegungen entlang der X-Achse war leider einfach zu wenig Platz.) Aber dann verklingt das Lied und gebanntes Schauen ist wieder angesagt.
Vielleicht ist das aber die Kehrseite der Medaille. Dass Interpol eine Band ist, wo keine aufblasbaren Boote durchs Publikum wandern. Wo der Sänger nicht nach jedem Song darauf hinweisen muss, wie sehr er jeden und jede einzelne aus ganzem Herzen liebt. Wo die Band keine Schnurren und keine Bubenwitze auf der Bühne erzählt. Wo sich auch jede Interaktion, die nicht zur Inszenierung der Kunst gehört, wie von selbst erübrigt.
Zwei, vielleicht drei Mal, sagt Paul Banks Thank You ins Publikum. Immer wieder einmal lässt er seinen Blick fast verunsichert im Publikum kreisen, was angesichts der Performance rund um ihn fast schon wie eine liderliche Unkonzentriertheit wirkt.
Niko Ostermann
Gesamtkkonzept
Zum aktuellen Album Interpol gab es gemischte Kritiken. Während die einen die stark zurück genommenen und vorsichtigen Songs wohlwollend beklatschen, hat sich im Jahr 12 nach der Bandgründung andernorts ein Schulterzucken more of the same eingestellt. Scheint so, als würde man Interpol nach so langer Zeit im Geschäft eine Neuerfindung nahelegen.
Aber die Inszenierung war zu Zeiten von Turn On The Bright Lights schon perfekt und die Band sieht keinen Grund, daran von heute auf morgen etwas zu ändern.
Wie zum Beweis spielen Interpol dann einen 2-in-1-Song. Anstatt geduldig nach dem Ende von Untitled den Applaus abzuwarten, gibts Sturmgeräusche ("I'll come around"), die langsam in den Lärm eines Düsenflugzeugs übergehen. Auf zur Flughafenkontrolle an der Barricade. Als wären die beiden Songs - der erste Song des ersten Albums und die brandneue Single - zwei Lieder, die zusammen gehören.
Der berühmte und berüchtigte Gasometersound lässt mich allerdings an den Qualitäten von Memory Serves zweifeln. Klar, der Song ist als Instrumentaloverkill ausgelegt, aber wieso die Stimme und die Instrumente so dermaßen undefinierbar blechern und daneben klingen, war mir nicht komplett klar.
Niko Ostermann
Die ewigen Interpol
Dankeschön an Niko Ostermann für die schönen Fotos.
Zu Ende geht die Best Of Show dann mit den Zugaben. Nach dem nervösen Lighthouse ist dann noch ein letztes Mal Zeit zum gemeinsamen, mittlerweile stark verschwitzten, Rumspringen. Evil (der Grund, warum sich das Wort halberotisch hartnäckig im Wortschatz hält) sorgt im letzten Refrain für ein spätes Highlight im Konzert, bevor sich eine ganze Gasometerhalle dann mit dem Heinrich Maneuver im Ohr nach Hause verabschiedet.
Und sich die Frage stellt, ob ein Konzert, in dem eigentlich gar nichts passiert, außer dass eine Band auf der Bühne steht, und ihre sehr schönen Lieder spielt, nun langweilig ist oder nicht.
Aber so oder so ähnlich muss sich das Zweifeln und das Fragen wohl auch mit der ewigen Liebe verhalten, vermute ich.