Erstellt am: 18. 3. 2011 - 18:15 Uhr
Melodien für Millionen
"Dein Ti amo, aaa-mo! Dein schönes Ti amo, aaa-mo!, war nur Begleitmusik, für Sommertage,
mehr kam nicht in Frage.."
Seit einem Jahr beschlagert das DJ-Duo Katharina Oberegger und Daniela Böhm mit ihren Melodien für Millionen die Kombüse in Graz. Doch die 29 Quadratmeter des Lokals am Stadtpark reichen für schwungvolle Drehungen nicht mehr aus. "Melodien für Millionen" erklingen daher nun auch in der Niesenberger. Und bereits an ein- und demselben Abend wie Dorian Concept ein Gastspiel gab.
Am ersten Melodien-Abend war mir meine bloße Anwesenheit peinlich. "Du willst es so, ich weiß, du willst es so!" tönt es lautstark aus Boxen, die scheppern, als würde es sie schon würgen. "Schlager weckt Erinnerungen und Emotionen in jedem. Davon kann sich niemand ausnehmen. Selbst, wenn man Schlager nicht mag, kennt man die Nummern von irgendwo und hat sie gespeichert." Daniela Böhm begeistert es, dass sie so mit Musik Erinnerungen wieder hervorbringen kann.
Kurzzeitig sind sich auch andere Umstehende unsicher, wie sie mit diesen Klängen umgehen sollen. "Alle Macht den Trääääumen!" Ich sehe es ihnen an, nahe am Ausgang die Gläser festhaltend, und schaue wohl ähnlich drein. Aber je näher man an die Schallquelle dringt, umso mehr Menschen tanzen, als wäre Limahl niemals beim Friseur gewesen und dieser seltsame Hund aus der unendlichen Geschichte flöge noch in der Umlaufbahn. Sie tanzen. Mit einer Hingabe, die LeistungssportlerInnen in nichts nachsteht. Und das ist gefährlich ansteckend.
Hochdramatisch
Oft werde Schlager völlig falsch definiert, findet Katharina Oberegger. Im 19. Jahrhundert waren Operetten Schlager. Die Schenkelklopfer, die in Schihütten gespielt werden, kommen bei Melodien für Millionen nicht auf den Plattenteller. Bei der Definition von gutem Schlager machen es sich Daniela Böhm und sie allerdings leicht: "wenn es uns gefällt". Die Beiden selektieren. Ausschlusskriterien sind gegenwärtiger und volkstümlicher Schlager. Und "Pumpe-Schlager", mit elektronischer Musik untermalte Nummern.
Die Sixties. Die Siebziger, Achtziger Jahre. In diesen Jahrzehnten spielt es sich bei „Melodien für Millionen“ ab. Spezialität der DJanes, die wie Etepetete gerne während des eigenen Sets das Tanzbein schwingen, sind deutsche Coverversionen internationaler Originale. Auf Englisch käme man noch glimpflich davon. Doch man muss nicht einmal die Lyrics der aktuellen FM4 Charts durch die Übersetzungsmaschine jagen. Liebe, Liebe, Liebelei.
"Ich steh total darauf. Das ist das Nette: die haben Partysongs gemacht, mit total melancholischen Texten. Deswegen muss aber das Lied nicht melancholisch sein", sagt Daniela Böhm. Peinlich werde es ihr nie, maximal lustig. Wenn eine Nummer hochdramatisch ist, sei das noch besser.

Lupi Spuma
"Ersatz für Gefühle überhaupt"
Gecovert wurde viel im Schlagerbereich. Eine Große dieses eigenwilligen Genres ist Gilla. Die gebürtige Linzerin sang von Frank Farian produzierte, deutsche Versionen bereits bekannter Schlager. Bob Marleys "No Woman No Cry" übersetzte sie mit "Kein Mann weit und breit". Zur Melodie des 1966er Hits "Reach out I'll be there", im Original von Four Tops und bei Motown erschienen, singt Gilla "Du bist da". "Sie singt so einen schwülstigen Text - großartig!", kommentiert Böhm. "Die spielst und sie gefällt." Karel Gott nahm sich "Paint It Black" von den Rolling Stones vor, und machte es zu "Schwarz und Rot".
"Das ist ja alles auf Deutsch! Warum spielt's ihr das alles auf Deutsch?", empörte sich ein Besucher entsetzt bei den Beiden hinter dem DJ-Pult. Wer jetzt auch nicht mehr weiterlesen möchte, weil die Schmerzgrenze des Geschmacks erreicht ist: eine kurze Analyse: "Schlager beliefern die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal sagt, sie müssten sie haben.“ So sieht zumindest Theodor W. Adorno die Causa.
Peter Absenger
Rosi, Manuela und die Niese
"Ich liebe es, in die diversen Tanzcafés Mariannes und Espresso Rosi und Manuela und wie sie nicht alle heißen zu gehen. Dort sind die Jukeboxen daheim, die Menschen und die Musik. Da hat alles angefangen", schwärmt Böhm. Aber junge Leute sind dort exotische BesucherInnen, und die Discokugeln wie viele Jukeboxen lange ausgesteckt. Aus dem antiquierten, angetrunkenen Umfeld holt das DJ-Duo die Schlagernummern und macht sie in einem anderen Metier salonfähig.

Melodien für Millionen
Melodien für Millionen spielt einmal im Monat in der Kombüse in Graz, ab und an auch in der "Lila Eule", dem Club in der ehemaligen Thalia Bar mit sich drehender Tanzfläche. Die Beschlagerung des Forum Stadtpark erfolgt am 19. März: Bei "Tripledecker" spielt u.a. auch Sir Tralala.
Vorprogrammiert ist nichts. Welche Nummer sie als nächste hören möchten, entscheiden sie spontan. Oberegger ist ein "Gasthaus-Kind". Die Platten, die damals in der Gaststube liefen, hat sie noch heute. Kriminaltango vom Hazy Osterwald Sextett etwa. Etliche neue alte Nummern haben sie zufällig entdeckt. Auf deutschen Flohmärkten kostet eine Platte einen Euro, und unter zehn Stück ist eine Platte mit einer Nummer dabei, die gefällt.
Wie viele französische, britische und deutschsprachige Schlager ihre Sammlung umfasst? "Wir haben Nummern für gute zwei Tage". Eine Nacht und einen Tag hielt die erste Melodien für Millionen-Auflegerei in der Niesenberger die jungen Frauen an den Plattenspielern.
"Wenn du Elektro auflegst, kannst du die Musik immer und immer wieder hören. Aber Schlager, das sind 'eingängige Gesangsstücke'", sagt Böhm und es klingt wie eine Warnung. Wenn noch Stunden später, längst zuhause, Howard Carpendales Ti amo auf Endloswiedergabe im Kopf singt, muss man sich geschlagen geben? Als Gegenmittel empfiehlt Katharina Oberegger: Andere Musik hören!