Erstellt am: 18. 11. 2010 - 10:51 Uhr
Mauernschläue
Es war zweifelsfrei sein größter, dreistester Stunt: In Anbetracht des chronisch auf Alarmstufe Rot erhöhten Sicherheitsbewusstseins auf Flughäfen mitsamt der lückenlosen Erfassung durch Überwachungskameras und hunderten Securities ist es schier unvorstellbar, wie er die Aktion deichseln konnte - und dass ihm nach all den Jahren noch immer niemand auf die Schliche gekommen ist! Seit knapp einem Jahrzehnt prangert einem nämlich als erster Eindruck, wenn man in Wien-Schwechat von einem innereuropäischen Flug ankommt, ein grafischer Verweis auf ein Puff entgegen. Wie also hat er das geschafft? Die Antwort: Gar nicht.
Banksy
Das Werbeplakat für das benannte Etablissement ist kein Banksy, sondern "echt", und also nur ein weiteres in einem Meer von plumpen, rückwärtsgewandten Aushangen, die uns den öffentlichen Raum zumüllen. Nur, dass sich darüber niemand das Maul zerreißt. Also, kaum. Aber in Wien war er tatsächlich schon mal, so um 2003 herum. Sagen Künstlerinnen, Journalistinnen und -listen, die ihn damals getroffen haben. Sollen.
Manipulation
Inzwischen ist der umtriebigste, profilierteste und anonymste aller Street-Art-SchöpferInnen den meisten Menschen, die nicht vollkommen hermetisch abgeschottet die Zebrastreifen ihrer jeweiligen Metropolen überqueren, ein Begriff. Schwule Polizisten trauen sich nicht, einander coram publico zu küssen, Hooligans schmeißen lieber mit Brandgeschoßen statt mit Bouquets, und an der Grenze zwischen dem Westjordanland und Israel hat man keinen Blick auf eine pittoreske Gebirgskette, sondern einen dumpfen Schutzw... äh, Absperr....also, die Mauer halt. Deswegen muss Banksy all diese Sachen malen, sprayen, meißeln. Damit man sich solche alternativen Realitäten zumindest mal ansatzweise vorzustellen beginnen kann. Viele Bewunderer seiner Spuren in Städten wie London, Barcelona und New York halten den Briten daher für den Mann, der die künstlerische Subversion im Alleingang popularisiert und demokratisiert hat, und damit für den bahnbrechendsten kreativen Geist unserer Zeit. Vergleiche mit Leonardo da Vinci sind jedoch weit überzogen. Immerhin hat Leonardo zeit seines Lebens niemals auf Stanley-Messer, Lötkolben und elektrische Fräsemaschinen zurückgreifen können.
Unbestreitbar aber ist es, dass Banksy das Zärtliche und Poetische ins Grobe und Schnöde implantieren kann wie kein Anderer, und eine großzügige Ladung sanfter Hintersinnigkeit findet sich auch im ersten abendfüllenden Film "Exit Through The Gift Shop" von oder über....oder von ihm. Dessen Vision ich an dieser Stelle gerecht werden möchte, auch, wenn die Datteln, die ich mir unmittelbar vor der Viennale-Vorführung reingeschoben habe, offenbar schon zu gären begonnen hatten, und meine Wahrnehmung und mein Erinnerungsvermögen dadurch vielleicht ein wenig beeinträchtigt sein mögen.
Manipulation
Das ganze ist eine Doku. Also, jedenfalls besteht das verwendete Material zu fast 100% aus den Amateuraufnahmen eines nach Los Angeles ausgewanderten Franzosen namens Teddy Danie....äh, Thierry Guetta.
Banksy
Dieser mittlerweile ehemalige Besitzer eines Fashion-Shops wird uns von der von Rhys Ifans gespendeten Erzählerstimme als sehr aufdringlicher Zeitgenosse vorgestellt, der zwanghaft alles und jeden mit seiner Videokamera abfilmen muss. Aha. Jedenfalls entwickelt er vor ca. 10 Jahren eine Besessenheit mit illegaler Straßenkunst, als er die Bekanntschaft mit seinem Cousin Space Invader erneuert. Über viele Jahre hinweg begleitet er ihn, später auch andere bedeutende öffentliche Ikonen-Schöpfer wie Shepard Fairey bei deren nächtlicher Arbeit und hält alles auf Video fest.
Nur das Phänomen Banksy entzieht sich beharrlich seinen Nachforschungen. Schließlich aber lernt Tyler Durd-....Thierry Guetta ihn durch einen Zufall persönlich kennen, und weicht ihm von da an nicht mehr von der Seite. Und da kriegt man Banksy dann tatsächlich höchstselbst zu Gesicht. Also. Nicht direkt zu Gesicht. Aber vor eine Kameralinse. Wie von einem Nazgûl türmt sich in den Interview-Sequenzen seine von einem Hoodie-Kragen umrahmte, abgedunkelte Miene in der Mitte des Bildes in die Höhe.
Banksy
Zuerst einmal ist man als Zuschauerin aber doch vielleicht ein wenig davon überrascht, dass Banksy entgegen mancher Erwartungen doch nicht der Typ Mann zu sein scheint, der seine gesamte Werkstätte mit Stroh ausgepolstert hat. Dafür hat er Geld wie Heu: In einer der bemerkenswertesten Einstellungen kramt der Künstler ein corpus delicti hervor, das ihn gut und gerne für ein paar Jahre hinter Gitter bringen könnte: Banknoten im Gesamtwert von mehreren Tausend Pfund, die er zwar alle mit dem Konterfei von Lady Di drucken lassen hat, aber dennoch schon erfolgreich unters Volk jubeln konnte. Und dann aus Muffensausen doch bei sich zu Hause eingesperrt hat.
Manipulation
Dank Kapla-...Guetta, dem Banksy nach einer brenzligen Episode in Disneyland sein unumschränktes Vertrauen ausspricht, ist es zum ersten Mal nicht dem Zufall überlassen, ob Banksys Schaffen irgendwelche bleibende Zeugnisse hinterlässt, oder schon eine halbe Stunde später vom Reinigungsdient entfernt ist. Aha.
Banksy
Der ganze Film ist gepfeffert mit waghalsigen Aufnahmen von Kletterpartien über Dächer und dann wieder von Quetschtouren durch unterirdische Korridor, und schön langsam muss man sich beim Sehen konzentrieren, um den ganzen unterschiedlichen Ebenen folgen zu können. Im letzten Drittel legt "Exit Through The Gift Shop" einen gänzlich anderen Gang ein, als Horst Schlä-....Thierry Guetta beschließt, nun endlich auch selbst Kunst produzieren zu wollen, und gibt sich von nun an das Pseudonym Mr Brainwash. Der Output des Franzosen ist aber haarsträubend derivativ und banal, und seine Versuche, in Los Angeles die größte individuelle Kunstausstellung des Jahrzehnts hinzubekommen, so inkompetent, dass wohl selbst ein unbedarfter kasachischer TV-Reporter einen überzeugenderen Eindruck bei dem Unterfangen machen würde. Am Ende können sich die meisten Mitglieder des Publikums angesichts so viel Tollpatschigkeit vor Lachen schon kaum mehr auf den Sitzen halten; manche liegen bisweilen auch schon auf ihrem Kreuz.
Banksy
Banksy zeigt mit "Exit Through The Gift Shop", wie man am sinnvollsten und nachdrücklichsten ein Zeichen gegen den ungwollten, um die eigene Person entstandenen Hype und die kommerzielle Ausbeutung setzt, wenn man nicht gerade mit dem Motorrad gegen einen Baum krachen möchte. Am Ende aber bleibt der Genius angesichts der peinlichen Mätzchen seines Schützlings als gebrochenes Phantom zurück, dem man in der rauhen, oberflächlichen Welt da draußen keine größeren Überlebenschancen einräumt als Verbal Kint.
AHA!!!!!!
22x2 Tickets zu gewinnen!
FM4 zeigt "Banksy - Exit Through The Gift Shop" in einer exklusiven Premiere am Montag, den 22.11.2010 um 20 Uhr in den Wiener Village Cinemas Wien 3.
Wer an der Kartenverlosung teilnehmen möchte, muss nur folgende Frage richtig beantworten: In "Exit Through The Gift Shop" ist es die Aufgabe eines kameraschwingenden Franzosen, dafür zu sorgen, dass die Werke von Banksy nicht so rasch der Vergänglichkeit anheim fallen wie sonst. Hier war er aber offensichtlich schon zu spät! Welcher von Banksy kreierte - nun verdeckte Slogan - war hier mal zu lesen? Die richtige Antwort und euren ganzen Namen bitte an game.fm4@orf.at schicken.
Die richtige Antwort: This is not a photo opportunity.
Die GewinnerInnen wurden bereits via E-Mail verständigt!
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