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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

18. 11. 2010 - 10:19

Ratternde Endlosschleife mit System

Ratatat haben ein ausverkauftes Flex bespielt, Queen gedisst und viele Videos mit kopfnickenden Vögeln mitgebracht. Und alle waren zufrieden.

Minute 2:36, da ist das Solo.

"We LOVE the guitar solo in "Keep Yourself Alive". We hate the song, but the solo is great", meinen Ratatat im Interview am Nachmittag im Wiener Flex vor der Show, als sie ganz freundlich einen Queen-Diss von der Seite einwerfen. Nein, eigentlich finden sie Queen-Songs generell eigentlich mühsam und langweilig. Ob man ihnen das wirklich glauben kann, ob das nun lustig oder ernst gemeint, nur so dahergesagt ist oder schon an Arroganz grenzt, weiß man nicht so genau. Ratatat erklären einfach gar nicht gerne irgendwas.

Ratatat im Flex

Alexandra Augustin

Ratatat im Wiener Flex

Frechheit muss man sich aber bekanntlich erst einmal leisten können. Und das können Ratatat. Wer von Björk höchstpersönlich den Ritterschlag erteilt bekommen hat, weil er ganz offiziell - und nicht nur nebenbei - einen Song von ihr zerfleddern und remixen durfte, der darf den Mund durchaus zu voll nehmen, sich in musikalischer Immunität wälzen und ordentlich austeilen.

Ratatat haben in den letzten Jahren jedenfalls alles richtig gemacht. Mit den richtigen Leuten Parties gefeiert zum Beispiel. Mit Kanye West, Jay-Z, Missy Elliot, Dizzee Rascal und sogar 50 Cent. Carlos Dengler (Ex-Interpol) und Paul Banks (immernoch Interpol) sind laut eigener Aussage auch dabei gewesen. Für eben diejenigen haben sie ebenfalls Remixe basteln dürfen und im Vorprogramm von Interpol, Franz Ferdinand und Tortoise auftreten dürfen - damals noch mit dem fruchtigen Bandnamen "Cherry" am Revers. (Zitat im Interview wie es dazu kam: "The best way is to go to parties and to have a lot of important friends. Just be really popular!")

Als erste Band überhaupt haben Ratatat in den heiligen Kunsthallen des New Yorker Guggenheim Museums auftreten dürfen. Und das mit einer handvoll Platten im Gepäck, deren thematische Mixtur auf den ersten Blick nicht unbedingt fiebererregende Innovation vermuten lassen würde. Harte Gitarrenriffs mit Hip Hop zu kombinieren und eine Portion Frickel-Tronic darüber zu streuen, das alles ohne eine Spur Gesang, würde bei niemanden groben Schabernack vermuten lassen. Und trotzdem rauschte in den letzten paar Jahren eine Welle der Begeisterung durch das Netz, denn genau das, was Ratatat im Schlafzimmer alles so eingespielt haben, hatte man bis Dato dann eben doch noch nicht gehört.

Wie der Rattenfänger von Hameln im Doppelpack waren sie also gestern endlich angekommen. Und alle waren dem Ruf ins restlos ausverkaufte, zum Bersten gefüllte Flex gefolgt. Zwischen hippen Teenagern und immer noch hippen Thirty-Somethings hat sich die ganze, breite Fanpalette eingefunden.

Menschen, Flex

pfeifferphoto.at

Es ist dunkel. Es ist heiß. Die sonst so einfache Tätigkeit, sich an der Bar ein Bier zu holen, wird zu einer Odysee, die gefühlte zwei Dekaden dauert. Denn die Menschenmasse lauert schon gegen 20.30 vor der Bühne auf, um einen Blick auf das ratternde Brooklyn-Soundmonstrum erhaschen zu können. Freilich, sehen tut man nicht einmal den Vordermann wirklich gut, als dann eine Stunde später Ratatat endlich die Bühne betreten. Versteckt in Dunkelheit, ohne auch nur ein Wort zu sagen, wird losgespielt. Zwischendurch blitzt es ab und an kurz hell auf und der Beamer, das inoffizielle dritte Bandmitglied, nimmt seine Funktion auf und bestrahlt die Leinwand hinter Ratatat mit dem, was man sonst nur dann sieht, wenn man zwei Spiegel direkt gegenüber platziert. Unendlichkeitsbilder. Die Visualisierung dessen, was Ratatat mit ihren Gitarren so anstellen. Ins Nirvana geschichtete Gitarrenmelodien.

Ratatat Im Wiener Flex

Alexandra Augustin

Ein extrahiertes Rockgitarrenriff wird auf ein Podest gestellt, wie eine Skulptur geformt. Dreistimming, vierstimmig. Vielstimmig. Will man jemanden erklären, welcher Schwanz an Referenzen sich hier versteckt, kann man Namen wie Queen, AC/DC und Van Halen aus dem Hut zaubern. Und kriegt die ganze Geschichte trotzdem nicht auf einen Punkt gebracht.

Doch von der Haarspray-geschwängerten Schwere in der Luft alter Tage sind Ratatat sowieso immer sehr, sehr weit entfernt gewesen. Auf der Bühne wirken Mike Stroud und Evan Mast mit ihren zerfledderten T-Shirts und Hosen am Leib wie zwei Lausbuben, die sich mal eben des Nächtens in eine Musikinstrumentefabrik eingeschlichen haben um das Equipment in Beschlag zu nehmen und darauf nach Lust und Laune akrobatisch herumzutoben.

Und ein jeder starrt gespannt auf die Bühne. Wie heißt denn der Track gerade? Keine Ahnung. Ist das überhaupt wichtig? Nein. Die Party ist gut und der Abend funktioniert. Manch einem huscht ein leises "genial" über die Lippen, manch anderer meint nach einer guten halben Stunde, der Witz hätte sich schon etwas abgeschliffen und jedes Lied würde eigentlich klingen wie das zuvor. Tut es vielleicht auch in vielen Momenten. Aber ist das wichtig? Nein. Ratatat extrahieren die Essenz einer kollektiven, musikalischen Jugenderinnerung - aus welchen Jugendtagen auch immer, ob man die nun mit den Gitarrenriffs von Queen, Iron Maiden, Daft Punk oder mit Remmidemmi verbracht hat - und pumpen ihr anständig neues Leben ein.

Ratatat

Alexandra Augustin

Ratatat funktionieren auf der Bühne wie zwei DJs und werden bejubelt wie eine Band. Zwischen jedem Track wird das Duo lautstark beklatscht, es wird getobt und lautstark gepfiffen. Welcher DJ kann dieses Erlebnis schon teilen? Beim rausgehen meint Lisa jedenfalls, sie hat eigentlich keine Ahnung wer Ratatat sind, aber sie hört die Musik gerne beim Aufräumen zu Hause. Max ist verschwitzt und meint, er hat in seinem Leben noch nie so etwas Geiles erlebt, auch wenn er die Band eigentlich gar nicht gesehen hat, sondern nur die Videoprojektionen dahinter. Und du so? Ich weiß jedenfalls, wer die kommenden Nächte von einer kopfnickenden Vogelinvasion träumen wird.