Erstellt am: 17. 11. 2010 - 18:44 Uhr
Militär: Google Maps in Echtzeit und 3-D
Google Kartographie und politische Verantwortung
Nicaragua und Costa Rica streiten seit 200 Jahren um ihre Landesgrenze. Dank "Google Maps" und der dort vorhandenen Grenzziehung bekommt der Kampf nun eine neue Dimension. Der Fall zeigt die politische Verantwortung des kalifornischen IT-Riesen. (Simon Welebil) Zu hören am 18.11. in Connected (15-19 Uhr )
Was vor einem Jahrzehnt noch als militärisches Geheіmnis galt, steht heute der gesamten vernetzten Weltöffentlichkeit nahezu flächendeckend zur Verfügung: Kartografisches Material in hoher Auflösung, das von Satellitenbildern stammt.
Auseinandersetzungen zwischen Nachbarstaaten um Grenzverläufe, die ehedem in diplomatischen Gremien ausgetragen wurden - wobei letztlich die Militärs das Sagen hatten - schwappen so in die Zivilgesellschaft über. Google kann ein Lied davon singen, gerät doch der Kartografiedienst Google Maps regelmäßig zwischen die Fronten, ob es nun Grenzstreitigkeiten in Mittelamerika oder zuletzt zwischen Spanien und Marokko sind.
Die Militärs, deren GPS-System als erste Geo-Technologie in die Zivilgesellschaft vorgedrungen war, sind naturgemäß schon weiter. Die eigene Verortung oder die umliegenden Geländeformen stellen für eine kämpfende Truppe nur das Geo-Basiswissen dar. Interessanter sind aktuelle Bilder, mit denen es möglich wird, Feindbewegungen auf große Entfernung zu erkennen. Weiters ist es für Soldaten lebenswichtig - besonders im urbanen Raum - das Gelände viel detaillierter zu sehen, als etwa zivile Kartographiebenutzer, die mit ihren Smartphones auf dem Weg in eine Pizzeria sind.
Fünf Zentimeter Auflösung
Dazu setzt man seitens der US-Armee zunehmend auf eine Technologie namens Lidar, was für "Light Detection and Ranging" steht. Ähnlich wie Radar, das mit elektromagnetischen Wellen arbeitet - also eine Art Funkgerät ist - sendet LIDAR Laserimpulse aus und misst deren Laufzeiten und Abweichungen so genau, dass sich daraus 3-D-Aufnahmen generieren lassen.
Im "Zielmodus" seien Auflösungen von bis zu fünf Zentimeter möglich sagte eine Direktorin der National Geospatial-Intelligence Agency (NGA) in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins "Defense Systems". 3-D-Bilder in einer derart hohen Auflösung stammen nicht immer von Satelliten, sondern werden zunehmend von Aufklärungsdrohnen zugeliefert.

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250.000 Impulse pro Sekunde
Aufklärungssatelliten sind nicht geostationär positioniert, denn dort könnten sie nur in der Gegend entlang des Äquators spionieren. Sie fliegen vielmehr in ein wenigen hundert Kilometern Höhe kreuz und quer über den Globus und stehen daher immer nur kurze Zeit zur Verfügung. Drohnen hingegen können von der kämpfenden Truppe selbst gestartet werden und weitaus näher an der Echtzeit 3-D-Bilder in höherer Auflösung liefern, als die Spione am Sat-Himmel.
Das Problem dabei ist freilich, dass ein Hochleistungs-Lidar bis zu 250.000 Impulse pro Sekunde sendet und empfängt, die in ein Übertragungsprotokoll verpackt und über mehrere Relaissationen in die Gefechtsfeldzentrale gefunkt werden müssen. Es dauert Tage, um eine Stunde höchstauflösende Lidar-Rohdaten in 3-D-Bilder zu verwandeln.
Die Lidar-Technologie war ursprünglich (70er Jahre) zu Messungen der Atmosphäre entwickelt worden. Erstin Kombination mit GPS-Daten (Mitte 90er) wurde die Technologie auch für die Kartografen interessant. Kurz nach der Jahrtausendwende drangen Lidar-Technologien dann in die Zivilgesellschaft ein.
Street-View, nahe an Echtzeit in 3-D
In Kombination mit konventionellen, optometrischen Sat-Aufnahmen, die zudem durch Bildmaterial von Privatfirmen ergänzt werden, gelingt es der NGA nach eigenen Angaben, das überwachte Terrain um ein Vielfaches auszuweiten. Statt bisher 100 können nun 2.000 Quadratkilometer beinahe in Echtzeit in einer Auflösung von einem Meter dargestellt werden.
Da immer mehr Privatfirmen in diesem lukrativen Geschäftszweig tätig sind, ist es nur eine Frage der Zeit, bis zu den vergleichsweise historischen Geodaten von Google Maps und Co. solche in weit höherer Auflösung dazukommen. Das Resultat sind dann hochauflösende 3-D-Bilder, auf denen Menschen zu sehen sind, die vor wenigen Tagen oder Stunden eine belebte Straße hinuntergegangen sind.
Subversive Kartografie
Das New Yorker Architektenduo John Young und Deborah Natsios hat auf das Vordringen kartografischer Kriegstechnologie in die Zivilgesellschaft schon sehr früh reagiert. Seit gut zehn Jahren kombinieren die Betreiber der Website Cryptome.org Sat-Aufnahmen verschiedener Anbieter zu subversiven Zwecken. Ausspioniert werden dabei die Überwacher selbst, dazu kommen Luftaufnahmen von Stützpunkten der US-Militärs und -Geheimdienste samt kartografischer Dokumentation.
Wann immer Proponenten der Bush-Regierung mit neuen Überwachungsplänen an die Öffentlichkeit traten, gingen Luftaufnahmen ihrer Wohnhäuser samt Adressen unde GPS-Koordinaten auf der Cryptome-Website ins Netz. In der "Eyeballing Series" wurde der Hausbau des damaligen Vizepräsidenten Dick Cheney in Fairfax, Virginia , in einer Kombination aus Luftaufnahmen, Karten und Fotos ebenso minutiös dokumentiert wie sein Domizil in Wyoming.

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CIA, NSA, Niederösterreich
Vom CIA Special Training Center in Camp Peary (Williamsburg) liegt eine bereits als historisch zu bezeichnende Fotodokumentation (2002 bis heute) ebenso vor wie von Stützpunkten und Abhörstationen der National Security Agency. Auf Cryptome.org dokumentiert und verortet sind übrigens auch vier US-Stützpunkte der National Geospatial Intelligence Agency - die Überwacher aus dem Weltraum wurden von ebendort selber überwacht.
Was die Lidar-Technologie angeht, so ist sie schon weit in die Zivilgesellschaft eingedrungen. Auf österreichischen Mautstellen messen - technisch natürlich einfacher gestrickte - Lidar-Systeme die Wagen ein, um LKWS von PKWs zu unterscheiden. Die jüngst in Niederösterreich eingeführten Systeme zur automatischen Kennzeichenerfassung arbeiten nach demselben Lidar-Prinzip, wie der Laserentfernungsmesser, den man im Baumarkt um die Ecke kaufen kann.