Erstellt am: 19. 11. 2010 - 17:43 Uhr
Indie-Idylle mit Hindernissen
Mitten in die Viennale, mit ihrem avancierten und bisweilen auch schwer auf den Schultern lastenden Programm, fällt die Pressevorführung zu diesem Film.
Als ich mit einem Journalistenkollegen beim Verlassen des Saals dann ins Plaudern komme, sind wir uns schnell einig. "The Kids Are All Right" hat uns genau im richtigen Moment erwischt.
Die Regisseurin Lisa Cholodenko, die neben zwei Indieproduktionen bislang vor allem für TV-Serien wie "Six Feet Under" oder "The L Word" gearbeitet hat, verpackt keine existentielle Leere in Handkamera-Experimente. Sie zerdehnt nicht bewusst die filmische Zeit, erforscht keine visionären Kinosprachen, kokettiert aber auch nicht mit grellen Popzitaten oder gar offensichtlichen Genreversatzstücken.
"The Kids Are All Right" ist, scheinbar beeinflusst von der straighten Erzählweise des schon lange anhaltenden US-Serienwunders, ein schlichter, gelassener Film. Einer, der nichts neu erfindet, sich bloß auf seine Figuren fixiert und denen bei ihren euphorischen und tragischen Momenten zusieht. Verschmitzt lächelnd.
Das hört sich konservativ an? Mag sein, auf gewisse Weise. Aber, und das mag jetzt auch nicht gerade revolutionär klingen, es ist wie mit bestimmten klassischen Songs. Manchmal, gerade wenn der Kopf voll ist mit räudigen Electro-Gewummer, mit Witchhouse und Post-Post-Dubstep oder was-auch-immer-Noise, dann kann das simple Strophe-Bridge-Refrain-Schema eine ganz schön magische Wirkung entfalten.
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Bevor jetzt jemand gar mild reaktionäre Untertöne aus diesen Zeilen hier liest, im Sinne eines bewahrenden Kulturbegriffs sollte vielleicht der Inhalt von "The Kids Are All Right" angerissen werden.
Im Zentrum dieses Films steht nämlich eine All-American-Family der doch etwas ungewöhnlichen Art. Schon seit langem leben Nic (Annette Bening) und Jules (Julianne Moore) als lesbisches Ehepaar zusammen. Ihr alternativer Beziehungsentwurf wirkt durchaus idyllisch, inklusive einem netten Häuschen im sonnigen Südkalifornien und zweier Kinder, die sich einem anonymen Samenspender verdanken.
Als die beiden Teenager mit den hippiesken Namen Laser und Joni aber eines Tages ihren biologischen Vater kennenlernen wollen, kommt Unruhe in die queere Familienharmonie.
Die aufgeweckte Joni schafft es, den Restaurantbesitzer Paul (Mark Ruffalo) ausfindig zu machen, der seine Samenspende eigentlich schon vergessen hat. Aber plötzlich stehen die leiblichen Kinder vor der Tür und überfallen ihn mit Fragen. Das Treffen endet freundlich und unverbindlich, lässt Nic und Jules aber keine Ruhe. Noch ahnen die beiden Frauen nicht, wie sehr der charmante Paul ihren Haushalt durcheinander bringen wird.
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Dysfunktionale Tragikomödien entwickelten sich im amerikanischen Indiekino der letzten Dekade zu einer Herz- und Hirn-erschütternden Kunstform. Aber auch zu einem Klischee. Dachte sich zumindest Lisa Cholodenko, die bewusst auf bodenlose Abgründe verzichtet.
Es gibt zwar emotionale Erschütterungen in ihrem Film, aber weder kaputte Beziehungsopfer noch traumatisierte Kinder oder fatale Neurosen. "The Kids Are All Right" kommt unglaublich leichtfüssig daher, lakonischer Humor und milde Ironie durchziehen den Streifen. Und das fühlt sich sehr gut an, besonders im Zusammenhang mit den Themen, die der Film berührt.
Banal und oberflächlich geht es dennoch nicht zu. Lisa Cholodenko nimmt ihre Figuren und deren Background sehr ernst, auch wenn das Bobo-Milieu unentwegt zu platten Witzen reizen würde. Aber der dauerflirtende Gastwirt Paul mit seinem Biorestaurant, die lesbischen Mütter Nic und Jules mit ihrem Mittelklasse-meets-68er-Fantasien, sie alle sind Figuren aus Fleisch und Blut und keine comichaften Charaktere.
Was vor allem auch am wunderbaren Duo Annette Bening und Julianne Moore liegt, die beide zur Höchstform auflaufen. Mark Ruffalo, der eigentlich in jeder Nebenrolle brilliert, von "Zodiac" bis "Shutter Island", bringt den in die Jahre kommenden Slacker Paul auf den Punkt. Und der jungen Mia Wasikowska ("Alice in Wonderland") als Joni möchte man ohnehin stundenlang zusehen.
"The Kids Are All Right" ist weder ein großer Dramenentwurf über Geschlechterverhältnisse noch ein Gender-Manifest. Sondern bloß ein kleiner, stimmiger Film über familiäre Utopien und Kompromisse. Stellt man sich vor, was etwa bestimmte deutsche Filmemacher aus einer ähnlichen Vorlage gemacht hätten, dann ist das aber schon sehr viel.
UIP