Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Arsen und Spitzenhäubchen"

Conny Lee

Prokrastinative Hinterstübchen des Alltags

18. 11. 2010 - 08:00

Arsen und Spitzenhäubchen

Die Graphic Novel "Gift" erzählt in Wort und Bild, wie früher mit Frauen, Giftmörderinnen und geistig Kranken umgegangen wurde.

buchcover

reprodukt

Gift - Peer Meter & Barbara Yelin, erschienen bei Reprodukt

1831 wurde Gesche Margarethe Gottfried am Bremer Domhof öffentlich mit dem Schwert enthauptet. Sie hatte gestanden, 15 Menschen mit Mäusebutter (ein Gemisch aus Schmalz und Arsen) vergiftet zu haben. Zu ihren Opfern zählten ihre eigenen Kinder, ihre zwei Ehemänner und ein Verlobter. Gesche Gottfried ging als bösartige Giftmörderin in die Bremer Geschichte ein. Ihre Mordmotive sind bis heute unklar.

Die Comiczeichnerin Barbara Yelin und Schriftsteller Peer Meter, der sich bereits seit über 20 Jahren mit dem Fall Gesche Gottfried auseinandersetzt, haben die Geschichte der giftmordenden Frau als Graphic Novel herausgebracht. Erzählt wird aus der Sicht einer jungen Schriftstellerin, die mit dem Auftrag nach Bremen kommt, eine Reisebeschreibung zu verfassen. Doch anstatt touristischer Sehenswürdigkeiten, findet die Protagonistin ein Blutgerüst mitten am Domplatz. Sie erfährt, dass am nächsten Tag eine Giftmörderin dort hingerichtet werden soll. Ungewollt wird sie in den Fall hineingezogen. Dabei wird nicht nur in Rückblenden die Geschichte einer Mörderin geschildert, sondern auch viel über die damalige Gesellschaft offenbart.

gesche gottfried porträt

Rudolf Friedrich Suhrlandt

Aus den Prozessakten geht hervor, dass die Mordserie schon viel früher gestoppt werden hätte können. Die vielen Todesfälle im Umfeld von Gesche Gottfried waren den Leuten aufgefallen, aber es wurde jahrelang nichts unternommen. Niemand wollte wahrhaben, dass ein respektables Mitglied der Gemeinschaft, eine Frau, die für ihr soziales Engagement bekannt war, eine Mörderin war. Nach ihrer Festnahme gestand Gesche Gottfried bereits in den ersten Verhören, die Menschen in ihrer Umgebung vergiftet zu haben. Allerdings konnte sie keine klaren Motive dafür angeben. Eine innere Stimme hätte sie geleitet.

Ein Bild aus "Gift"

reprodukt

Teilweise verwendet Meter originale Textpassagen aus den Verhörprotokollen

Aus heutiger Sicht litt sie an einer Psychose; ihr Verteidiger wollte die Todesstrafe abwenden, indem er auf Unzurechnungsfähigkeit plädierte, aber sowohl die Richter als auch die Öffentlichkeit sprachen lieber von Bösartigkeit und Berrechnung als von etwas, das man nicht verstand. Lange Zeit wurde die Bremer Giftmörderin auf diese Weise rezipiert. Mit ihrer Graphic Novel wollen Meter und Yelin auch für ein Umdenken in Hinblick auf die historische Person der Gottfried appellieren.

Ein Bild aus "Gift"

reprodukt

Immer wieder wird auch veranschaulicht, welchen Status Frauen in der europäischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts hatten. Die junge Schriftstellerin, die uns durch die Handlung führt, muss mit zahlreichen Vorurteilen und Ablehnung gegenüber Frauen umgehen. Es scheint fast, als wäre es für eine Frau in dieser repressiven Gesellschaft die einzig logische Konsequenz gewesen, zur Mörderin zu werden.

Ein Bild aus "Gift"

reprodukt

Yelins dunkle Bleistiftzeichnungen schaffen ein bedrohliches und unwirtliches Bremen. Diese Atmosphäre entsteht, indem Yelin mehrere Schichten Bleistift übereinander gezeichnet und diese dann mit Radiergummi verwischt hat. Pro Seite hat jeweils ein ganzer Bleistift dran glauben müssen. Um einem Authentizitätsanspruch Genüge zu tun, hat Yelin zahlreiche alte Stiche der Stadt Bremen gesammelt.

Peer Meter, der auch schon ein Theaterstück und zwei Sachbücher über den Fall Gottfried verfasst hat, hat Text und Szenario für "Gift" verfasst und dabei stellenweise originale Aussagen aus den Verhörprotokollen zitiert.

Was am Schluss bleibt, ist ein Spuckstein, der sich bis heute am Bremer Domplatz befindet. Er wurde kurze Zeit nach der Hinrichtung Gottfrieds von einem Unbekannten gespendet. Bis heute ist es für Passanten üblich, auf diesen Stein zu spucken, um ihrer „Abscheu vor einer kaltblütigen Mörderin Ausdruck zu verleihen“.

spuckstein in bremen

johannes arlt

Der Spuckstein am Bremer Domplatz

Barbara Yelin in Wien

Im Rahmen der Lesefestwoche und der BUCH WIEN findet am Freitag, dem 19. November 2010 ein Reprodukt-Abend im phil statt. Unter dem Titel "Lebenslinien – Biopic im Comic" werden Arne Bellstorf ("Baby's in Black – The Story of Astrid Kirchherr & Stuart Sutcliffe"), Barbara Yelin ("Gift", mit Peer Meter) und Line Hoven ("Liebe schaut weg") ihre Bücher vorstellen.

Und am Samstag, dem 20. November, werden Arne Bellstorf, Barbara Yelin und Line Hoven ihre Bücher in der BILDERBOXvienna signieren. (Kirchengasse 40/1, 1070 Wien)