Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "This is not meant to be funny"

Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

17. 11. 2010 - 01:57

This is not meant to be funny

Ein Badly Drawn Boy-Konzert ist wie das Leben: Teilweise echt unlustig, aber am Ende geht's doch immer irgendwie.

Badly Drawn Boy: "It's What I'm Thinking Part One: Photographing Snowflakes"

BDB Records

Badly Drawn Boy: "It's What I'm Thinking Part One: Photographing Snowflakes" (2010)

Eines der rührendsten Bilder auf dem neuen Badly Drawn Boy-Album findet man in "Too Many Miracles". Da erstarrt jemand so in Ehrfurcht vor der Welt da draußen, dass er sich aus Angst in seine eigenen vier Wände zurückzieht. In seiner Isolation bleibt er allerdings nicht untätig. Er verbringt seine Zeit damit, die Schneeflocken zu fotografieren, die vom Himmel fallen. Eine Sisyphosarbeit, gleicht doch keine Flocke der anderen: "Lately I'm slowly losing my mind/there's so many different kinds/falling all the time". Am Ende des Songs hält der Protagonist eine Fürsprache für die Einsamkeit: "There's no shame in changing and being alone", nur um sich dann doch widerwillig einzugestehen: "I'm ready to be in love again".

Dieses tragikomische Bild eines Mannes, der in seiner Einsamkeit Schneeflocken fotografiert, ist wie alle Figuren von Damon Gough alias Badly Drawn Boy. Alles Loser, die grantig durchs Leben gehen, aber doch irgendwie liebevoll sind. Für mich sind die Badly Drawn Boy-Figuren immer ein Sinnbild der britischen Vorstadttristesse. Dort, wo selbst das einsame Füttern des Goldfisches einem spirituellen Akt gleichkommt. Es sind Figuren wie der "Fattest Man in Britain", zu dem Badly Drawn Boy einen hervorragenden Soundtrack zauberte. Ein Grund genug mich jüngst an ihn zu erinnern, denn völlig unbemerkt hat sich der Folkbarde aus Manchester nach großartigen und etwas weniger großartigen Alben aus unser aller Gedächtnis geschlichen und sich wie seine Figuren für die Einsamkeit entschieden. Der Badly Drawn Boy war nun nur noch ein altes Gespenst.

Auf einmal ist die One-Man-Show mit Bart und Wollmütze aber wieder zurück und veröffentlicht weitgehend unbemerkt ein neues Album mit dem kryptischen Titel: "It's What I'm Thinking Part One: Photographing Snowflakes". Wohlgemerkt der Beginn einer Trilogie, deren erster Teil Damon Gough auch live im bestuhlten Wiener WUK vorstellt.

Badly Drawn Boy in Wien

Niko Ostermann

The Order of Things

Alle Fotos von Niko Ostermann

Das Konzert im WUK steht unter keinem guten Stern. Völlig übermüdet reist Gough mit seiner Band aus München an. Und dabei ist die extra für diese Tour zusammengestellte Combo noch nicht einmal vollständig, der Drummer musste aus unbekannten Gründen wieder nach London zurück. Da das einstudierte Set auf diese Weise völlig verändert werden muss, bleibt nur die Hoffnung, dass es auch ohne Schlagzeug gut klingt.

Aber dann ist da noch die Sache mit dem Sound. Nachdem Mel ein weiteres Mal in diesem Jahr als Support auftritt, schleppt sich ein sichtlich genervter Badly Drawn Boy in Trachten-Jacke auf die Bühne. Unspektakulär und mit einem einfachen "Grüß Gott, Vienna" beginnt er den akustischen Solo-Teil mit einer unveröffentlichen und vor allem unbekannten Nummer. Ein riskantes Spiel, das Publikum steigt nicht drauf ein und Gough dürfte mit dem Sound unzufrieden sein. Irgendwas passt mit dem Mikrofon nicht, dann hapert's an der Gitarre. Auf diese Weise spielt er Songs wie "Is There Nothing We Could Do?", "This Song", "A Journey from A to B" und "Once Around the Block" seines vielgelobten Debütalbums "The Hour of Bewilderbeast" lieblos herunter. Immer wieder unterbrochen von Kopfschütteln und Blicken in Richtung Tontechniker. Aggressionen bauen sich auf, Gough legt die Gitarre nicht mehr in den Ständer, er schmeißt sie hin. "Please accept me as i am" heißt es in "Above You, Below Me". Jetzt gerade akzeptiert Badly Drawn Boy gar nichts mehr.

Badly Drawn Boy in Wien

Niko Ostermann

Grün: Die neue Farbe des Zorns

Während "It's What I'm Thinking", dem Titeltrack des neuen Albums, schleicht die 3-köpfige Band auf die Bühne, wohlgemerkt ohne den fehlenden Drummer. Das komplett aufgebaute Schlagzeug bleibt völlig unberührt. Die neuen Songs profitieren aber von den zusätzlichen Musikern, vor allem die herrlichen Balladen "In Safe Hands" und "The Order Of Things". "I Saw You Walk Away", die wohl beste Nummer der neuen Platte, liefert traumhafte Backvocals und verträumte Gitarren-Soli.

Nur Gough, den zipft es immer noch an. Und er droht es sich mit dem optimisch gestimmten Publikum zu verscherzen. Nachdem er nämlich die Sound-Probleme erklärt ("For some it may be good, for me it's not"), wird im Publikum heftig gelacht. Doch Gough meint es ernst und versteht keinen Spaß: "Why the fuck are you laughing? This is not meant to be funny." Er spielt noch "In Electro" und droht eine 10-15minütige Pause an. Die zieht er durch, in der ungeplanten Pause kommt Musik vom Band.

Badly Drawn Boy in Wien, Publikum

Niko Ostermann

Das Publikum im bestuhlten WUK bleibt vorsichtig optimistisch

I'm ready to be in love again

Ich muss gestehen, an dieser Stelle hätte es mich nicht gewundert, wenn Gough überhaupt nicht mehr zurückgekommen wäre. Und wenn doch: In dem angepissten Zustand spielt er vielleicht noch fünf Songs und verzieht sich zurück ins Hotel, um endlich auszuschlafen. Aber nichts da, denn aus schwierigen Situationen entsteht manch Großes. Wie im echten Leben.

Was immer Badly Drawn Boy mit seiner Band backstage diskutiert haben mag, nach der Pause ist alles anders. Es fehlt zwar logischerweise immer noch der Schlagzeuger, aber die Not macht einen erfinderisch und so hüpfen die Männer an Bass und Keyboard abwechselnd hinter die Trommeln. Und es tut dem Set gut: "Disillusion", "Walking Out Of Stride", "Something To Talk About" und "Year Of The Rat" spielen gegen die technische Notdurft an und klingen einfach bezaubernd. Und Gough taut langsam auf: Er wisse nicht, was er jetzt noch ohne Schlagzeuger spielen solle, also soll das Publikum doch was vorschlagen. Für "Four Leaf Clover" entscheidet es sich und Gough spielt den Song das erste Mal seit Jahren.

Badly Drawn Boy in Wien

Niko Ostermann

Jetzt ist die Dramaturgie dieses Abends im freien Fluss und alles ist möglich. Gough traut sich sogar an alte Raritäten ran: "Shake The Rollercoaster" seiner ersten EP ist nur eine davon. Den Vogel schießt er aber mit einigen Coverversionen ab. Manche davon hat er noch nie live gespielt. Eine davon ist die wohl beste Version von "I wanna be Adored" der Stone Roses, die ich je gehört habe. Madonnas "Like a Virgin" am Piano wird dann zur stimmigen Einleitung zu seinem größten Hit "Silent Sigh" aus dem "About a Boy"-Soundtrack. Am Ende wird wohl alles gut.

Badly Drawn Boy in Wien

Niko Ostermann

Das Ende bietet sogar noch einen abstrusen Moment, wie man ihn nur von Badly Drawn Boy erwarten kann. Kitschig, etwas deplaziert, aber doch sonderbar aufrichtig. Seine Band verabschiedet sich und Gough zieht sich seine Trachten-Jacke wieder an. Es startet ein Song vom Tonband, den Damon Gough nun mitsingen möchte, obwohl er am Band bereits selbst zu hören ist. Ohne Instrumente, nur seine Vocals. Es handelt sich um den Song, der ihn überhaupt dazu gebracht hat in den 80ern Musiker zu werden: "Thunder Road" von Bruce Springsteen. Zu diesem Zeitpunkt lächle ich nur noch und weiß nicht, ob es an den fetten Keyboards liegt, die vom Band kommen, aber eine kleine Träne ist auch dabei.

Unglaublich wie furchtbar dieses Konzert anfing und wie versöhnlich es endete. Badly Drawn Boy ist wie seine Figuren: Ein lieber Grantler, dessen Karriere ihn in den letzten Jahren vielleicht sogar zum Loser abgestempelt hat. Jemand, der an der Spitze war (und von seinen Soundtrack-Tantiemen sicher noch gut leben kann), aber nie wirklich wie Phoenix aus der Asche aufstieg. Ein Feindbild von Pitchfork, dem schon jetzt vorgeworfen wird, dass Part 2 seiner Trilogie "It's What I'm Thinking" musikalisch wie Part 1 werden wird, nur eben mit anderen Texten. Ein echter Brite, auf dessen Alben ich mich immer freuen werde. Und auf seine Konzerte erst recht.

Denn ein Badly Drawn Boy-Konzert ist wie das Leben. Teilweise ist es echt unlustig, aber am Ende geht's doch immer irgendwie.

Badly Drawn Boy, 16. November 2010, WUK Wien

artist song  
Badly Drawn Boy Unknown Song  
Badly Drawn Boy Is There Nothing We Could Do?  
Badly Drawn Boy This Song  
Badly Drawn Boy A Journey From A To B  
Badly Drawn Boy The Time Of The Times  
Badly Drawn Boy Above You, Below Me  
Badly Drawn Boy Once Around The Block  
Badly Drawn Boy You Were Right  
Badly Drawn Boy It's Not What I'm Thinking  
Badly Drawn Boy Too Many Miracles  
Badly Drawn Boy In Safe Hands  
Badly Drawn Boy I Saw You Walk Away  
Badly Drawn Boy The Order Of Things  
Badly Drawn Boy This Electro  
Badly Drawn Boy Disillusion  
Badly Drawn Boy Walking Out Of Stride  
Badly Drawn Boy Something To Talk About  
Badly Drawn Boy Born In The UK  
Badly Drawn Boy What Tomorrow Brings  
Badly Drawn Boy Year Of The Rat  
Badly Drawn Boy Four Leaf Clover  
Badly Drawn Boy Shake The Rollercoaster  
Badly Drawn Boy I Wanna Be Adored (The Stone Roses)  
Badly Drawn Boy Silent Sigh  
Badly Drawn Boy Golden Days  
Badly Drawn Boy Thunder Road (Bruce Springsteen)