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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

16. 11. 2010 - 12:58

Du woast mei erster Kanzler

Wolfgang Petritsch, sein langjähriger Mitarbeiter und Sekretär, hat anlässlich des bevorstehenden 100. Geburtstags von Bruno Kreisky eine Biografie über sein Leben und politisches Wirken geschrieben.

Der Sonnenkönig

Als Bruno Kreisky 1983 nach 13 Jahren als österreichischer Bundeskanzler zurücktrat, haben zahlreiche Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland zu seinem politischen und gesellschaftlichen Wirken gratuliert.

Der Dichter H.C. Artmann fasste das damals so zusammen: "Bruno Kreisky ist für unser Land die Jahrhundertpersönlichkeit und durchaus unersetzbar".

Bruno Kreisky - Cover der Biografie

Residenz Verlag

Bruno Kreisky, die Biografie von Wolfgang Petritsch, ist im Residenz Verlag erschienen.

Wer war dieser Mann, der Künstler und Staatsmänner bis hin zu John F. Kennedy zu seinen Freunden und Bekannten zählen konnte?

Antworten, hautnahe Informationen und Anekdoten zum Leben des sogenannten "Sonnenkönigs" Bruno Kreisky hat sein langjähriger Sekretär und späterer UN-Diplomat, Wolfgang Petritsch, nun in einer Biografie zusammen getragen.

Kreiskys Leben und Schaffen wird dabei chronologisch und anhand der Aussagen von Zeitzeugen, sowie seiner Memoiren dokumentiert.

Bruno Kreisky wird am 22. Jänner 1911 in Wien geboren. Er wächst im fünften Bezirk in einer großbürgerlichen und assimilierten jüdischen Familie auf. Sein Vater ist Generaldirektor eines Textil-Konzerns, dennoch begeistert sich Kreisky bereits als Schüler für die Arbeiterbewegung, inspiriert unter anderem von Otto Bauer.

Später kommt er dem Wunsch der Bewegung nach und studiert Jus. 1935 wird Kreisky nach der Gründung der "Revolutionären Sozialistischen Jugend" (unter anderem mit Franz Olah) vom Dollfuss Regime verhaftet. 1938 flüchtet er vor den Nazis nach Schweden und heiratet dort seine Frau Vera Fürth.

1946 gibt er eine gesicherte Existenz in Schweden auf und kehrt zurück in seine Heimat, wo er sich sofort in die politsche Arbeit stürzt. Er arbeitet am Staatsvertrag mit und wird 1959 Außenminister unter Bundeskanzler Julius Raab (VP).

Nach dem Wahlsieg 1970 wird Kreisky Bundeskanzler einer SP-Minderheitsregierung, von der Peter-FP geduldet. Die Neuwahl 1971 bringt der SP erstmals die historische absolute Mehrheit. Sie wird bis 1983 halten, solange bleibt Kreisky auch Bundeskanzler. Kreisky stirbt am 29. Juli 1990, eine Trauerrede hält u.a. Willy Brandt. Die 30-jährige Kanzlerschaft der SPÖ, die 1970 begann, wird erst durch Wolfgang Schüssel am 4. Februar 2000 beendet.

Ein Buch eines Sozialdemokraten über einen Sozialdemokraten

Wie bei jeder historischen Lektüre ist es dabei natürlich hilfreich zu aller erst die Quellenfrage zu klären. Wolfgang Petritsch macht diesbezüglich schon im Vorwort alles klar, etwa wenn er über die späte Rezeption der Kreisky Ära seitens des politischen Gegners schreibt.

Noch 2007 verwies ein Kurzzeit-Finanzminister in seiner Ratlosigkeit auf den Kreisky-Malus. Dessen Außenminister-Kollegin, eine Nutznießerin der kreiskyschen Reformen, warnte noch Ende 2006 vor einer Rolle rückwärts in die siebziger Jahre.

Petritsch war übrigens noch 2002 für die SPÖ als etwaiger Außenminister im Gespräch, es ist also ein Buch eines Sozialdemokraten über einen Sozialdemokraten. Und es zeichnet ein feines Psychogramm eines Mannes, der als agnostischer Jude, großbürgerlich und humanistisch erzogen und früh zum Sozialisten geworden, dann hat ins schwedische Exil flüchten müssen und schließlich den berühmten österreichischen „dritten Weg“, also der sozialen Marktwirtschaft nach schwedischem Vorbild, gegangen ist.

Ein Mann mit vielen Eigenschaften

Bruno Kreisky war jüdischer Abstammung, Intellektueller, Sozialist, Anti-Kommunist, kunstaffin und von einer Weltläufigkeit, die für Österreich leider recht außergewöhnlich ist.

Geprägt wurde Kreisky aber vor allem in seinen Jugendjahren in der Zwischenkriegszeit und durch den austro-faschistischen Ständestaat unter Dollfuss. In diesen Jahren, als die SPÖ verboten war, musste Kreisky auch ins Gefängnis und traf dort Sozialdemokraten, Kommunisten und auch damals ebenfalls verbotene Nazis. Einer davon hat ihm später sogar die Flucht vor Hitler nach Schweden mit ermöglicht.

Ein Weggefährte Kreiskys jener Zeit wird im Buch so zitiert:

Es haben jene Leute recht, die sagen, der Kreisky hat eigentlich die Christlichsozialen mehr gehasst als die Nazis. Die wirklichen Faschisten waren für uns die Christlichsozialen.

In der Biografie wird Kreisky dann aber dennoch als Mann des Ausgleichs skizziert, der fast mit jedem kann. Als Außenminister unter einer ÖVP-geführten Regierung und dann auch ab 1970 als Bundeskanzler.

Der Keynesianer und Modernisierer

Befeuert durch den wirtschaftlichen Aufschwung mit Vollbeschäftigung und atemberaubendem Fortschritt hatte er auch die Kraft für gesellschaftliche Veränderung – Abschaffung des Totalverbots von Homosexualität, Fristenlösung, Schul- und Unireformen –, an Visionen, so der Tenor der Biografie, hat es Kreisky nie gefehlt.

Manchen ging das phasenweise durchaus zu weit.

Während es schien, als hätte der sozialdemokratische Reformzug alle zentralen Institutionen voll erfasst, regte sich an den gesellschaftlichen Rändern doch auch unvermittelt Widerstand gegen das „Modernisierungsprojekt Österreich“. Der spätere Parteivorsitzende der ÖVP und glücklose Gegenspieler Bruno Kreiskys, Alois Mock, sollte gar von einer „Seuche des Reformismus“ sprechen.

Vermittlungen und Schwierigkeiten im nahen Osten

Aber auch schwierigere Kapitel in Kreiskys Werken werden im Buch nicht ausgespart, so etwa der für beide Seiten belastende Konflikt mit Simon Wiesenthal. Der agnostische Anti-Zionist Kreisky warf Wiesenthal vor Propaganda für die ÖVP zu betreiben und seine Nazi-Jagd auf Sozialisten zu beschränken, Wiesenthal und Teile des konservativen Israels bezeichneten Kreisky als „selbsthassenden Juden“ und „ehrlosen Hof-Juden“.

Nach seinem Tod sagte der langjährige israelische Spitzenpolitiker Shimon Peres, bereits die Affäre um Golda Meir und das angeblich verweigerte Glas Wasser habe Kreiskys Ansehen sehr geschadet. (Golda Meir behauptete in den 70er Jahren bei einer Unterredung mit Kreisky nicht einmal ein Glas Wasser angeboten bekommen zu haben.)

“Ich glaube aber“, fährt Peres fort, „dass ihm dieses Image von sich sogar gefallen hat. Ich habe ihn einmal gefragt: Warum bist du eigentlich derartig gegen Israel eingestellt? Und Kreisky gab zurück: „Wäre ich nicht gegen Euch, könnte ich Euch nicht helfen“. Er kam mit seinem Judentum nicht wirklich zurecht. Er war genügend stolz darauf, es nicht zu verleugnen, aber es störte ihn doch auch so sehr, ihn unglücklich zu machen. ... aber zugleich erzählte er mir voller Stolz von seinem Neffen, mit dem er einige Zeit verbracht hatte – und der in der israelischen Armee diente.

Wegbegleiter

Am 22. Jänner würde Kreisky, der vor 20 Jahren verstorben ist, seinen 100. Geburtstag feiern, am Dienstag Abend gibt es eine Präsentation im Kreisky Forum in der Armbrustergasse in Wien-Döbling, teilnehmen werden unter anderem die NR-Präsidentin Barbara Prammer und Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina.

Ebenfalls sehr ausführlich wird auch das für Kreisky sehr traumatische Verhältnis zu Ex-Finanzminister Hannes Androsch analysiert, wohl der einzige Mensch, mit dem Kreisky regelrechte Feindschaft verband – wohl auch aus Enttäuschung über seinen einstigen politischen Ziehsohn.

Dennoch überwiegt im Buch die Zusammenfassung Kreiskys lebenslanger Bemühungen für eine fortschrittlichere Welt, gewürdigt und dokumentiert auch von zahllosen Mitstreitern und Staatsleuten, vom deutschen Kanzler Willy Brandt über Andre Heller bis hin zum ehemaligen ägyptischen Staatsoberhaupt Sadat, dessen Tod Kreisky sehr betroffen machte.

Und auch die derzeit im Kino gezeigte Geschichte rund um das OPEC-Attentat mit „Carlos, dem Schakal“ wird aus der Perspektive der österreichischen Innenpolitik erzählt.

Insgesamt zeichnet das Buch ein vielschichtiges Bild einer so komplexen und faszinierenden Persönlichkeit, ein Dokument österreichischer Geschichte ab 1920 und ein Sammelsurium auch durchaus humoristischer historischer Anekdoten.

Etwa als sein Sohn Peter 1972 gegen den Besuch von US-Präsident Nixon am Salzburger Flughafen demonstrierte, der gerade von Bruno Kreisky empfangen wurde:

Auf die höfliche Frage Nixons nach dem Befinden der Familie antwortete er trocken – Sehr gut, Herr Präsident, da drüben ist mein Sohn, er demonstriert gerade gegen den Vietnam Krieg. Nixons Anwort war freundlich und kurz – That´s all right, it isn´t my war.