Erstellt am: 15. 11. 2010 - 10:34 Uhr
Narben und Narren
Im 1. Wiener Gemeindebezirk gibt es zwei Wohnzimmer, in denen ich zwar eh schon oft, aber immer doch noch zu selten bin: Filmmuseum und Filmarchiv sind zwei Vorzeige-Instanzen in Sachen Filmvermittlung, mit einem unglaublich wachen Blick gleichzeitig in filmische Gegenwarten und Vergangenheiten. Letzte Woche hab ich mich dann gleich in zwei Filmvergangenheiten ziehen lassen, war im Rahmen der Reihe "Utopie Film" im Filmmuseum und konnte endlich George Cukors "A Star is Born" auf großer Leinwand sehen. Auch wenn Judy Garland im Rampenlicht dieses Films steht, so ist es James Mason, der einen nicht loslässt; dessen Scheitern, Straucheln, Aufraffen und Aufgeben einen fast das Herz zerreißt. Das Filmarchiv wiederum feiert auch einen, der ebenfalls Unglück und Melancholie stets mit sich rumschleppte: Zum 88. Geburtstag von Oskar Werner kann man im Wiener Metrokino mit dem "Ship of Fools" davonsegeln. Eine Reise-Empfehlung.
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Von Vera Cruz nach Bremerhaven macht sich dieses Schiff im Jahr 1933 auf, hat nicht nur jede Menge Passagiere und deren Geschichten an Bord, sondern auch jede Menge Botschaften. Botschaften über Humanismus, Gesellschaftssysteme, Männer und Frauen, Geld, Sex, Einsamkeit, Begierde und Macht. Es ist also ein bisschen überladen, genaugenommen müsste das Schiff untergehen, so groß ist die Fracht an Ideologie und Aufruf zur Menschlichkeit, die Regisseur Stanley Kramer der Romanverfilmung aufgeladen hat.
Im Zentrum des Reigens an Tragödien und Dramoletten steht Oskar Werner als Schiffsarzt Wilhem Schuhmann, mit einer Narbe auf Wange und Kinn zeigt er, wie kleine Makel ohnehin schöne Menschen mit einer Anziehungskraft versehen, die nicht von dieser Welt ist. Mit einem medizinisch schwachen und menschlich großen Herz geht Schuhmann seinem Beruf nach und diagnostiziert - das Wienerische ins Englische schleppend - die Passagiere allesamt als Narren. Da ist der deutsche Verleger Rieber (Jose Ferrer), eine Karnevals-Frohnatur, die freudig nach der Pfeife des Nationalsozialimus tanzt und spricht, der jüdische Handelsmann Julius Löwenthal (Heinz Rühmann), der amerikanische, alternde Sport-Profi (Lee Marvin) und Mrs. Treadwell (Vivien Leigh), die zwischen Spott für und Sehnsucht nach Romantik schwankend glamourös an der Reiling lehnt und sich mit fast schmerzendem Begehren nach ihrer Jugend sehnt. Und während am Oberdeck der fette Hund namens Bebe am Kapitänstisch sitzt, sind am Unterdeck Hunderte Mexikaner untergebracht. Zusammengepfercht.
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All diese Mexikaner jubeln der Contesa zu, als sie das Schiff betritt. Sie hat Aufständische unterstützt und tritt deswegen ihre Reise ins Gefängnis an. Zwischen der morphiumsüchtigen Contesa und dem herzkranken Schiffsarzt entspinnt sich etwas, das an zwei Ertrinkende erinnert, die sich aneinander klammern. Aus einer allgemeinen Verzweiflung wächst Verständnis, Begehren und Bewunderung. Simone Signoret gibt die tragische Contesa, die auch als Gegenstück zu Vivien Leighs Figur funktioniert. Während Mrs. Treadwell sich hinter Sonnenbrillen und temporärer Bitterkeit versteckt, hat die Contesa die Gelassenheit und Offenheit von jemandem, der nichts mehr zu verlieren hat. Nicht nur die Figuren sind unterschiedlich, auch ihre Darstellerinnen kommen aus völlig verschiedenen Schauspieltraditionen.
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Simone Signoret, die Charakterdarstellerin des französischen Kinos, das sich immer mehr um Lebensnähe bemüht wissen wollte als große Produktionen, die Vivien Leigh berühmt machten. Die Britin, die zum Aushängeschild des Studiosystems wurde, bringt in ihre Figur der Mrs. Treadwell Aspekte ihrer wohl berühmtesten Figuren hinein: Scarlett O'Hara aus "Vom Winde verweht" und Blanche Dubois in "Endstation Sehnsucht", Leighs letzter Film wird zu einer Essenz ihres Schaffens, zu einer letzten desillusionierten Southern Belle mit Einsamkeit im Schlepptau.
Und so zieht "Ship of Fools" letztlich seinen Reiz auch aus seinem relativ irrwitzigen Ensemble (Lee Marvin und Heinz Rühman), deren (Rollen-)Biografien man auch immer mitdenkt und -fühlt und die so viele winzige Risse, Absurditäten oder Überschneidungen erzeugen: Man wird darüber stolpern, dass Heinz Rühmenn, der ua mit "Quax, der Bruchpilot" Filme gemacht hat, die Teil nationasozialistischer Propaganda waren ("Quax" sogar in Doppelfunktion, einerseits als komödiantische Ablenkung vom Kriegsgeschehen und Werbung für die deutsche Luftwaffe), hier den optimistischen Juden spielt, der die Bedrohung des Nationalsozialismus nicht sehen will. Depressionen und Alkohol und die Scheidung von Laurence Olivier, die die letzten Jahre Vivien Leighs Leben bestimmten, kann man auch in Mrs. Treadwell finden. Und wenn der Kapitän dem Schiffsarzt rät, nichts mehr zu trinken, dann kommt keiner, der je das letzte Interview mit Oskar Werner gesehen hat, umhin, an den schwer vom Alkohol gezeichneten Mann zu denken.
"Ship of Fools" steht auch am Ende einer Filmtradition; ein Ensemblefilm mit Botschaft des message movie Regisseurs Stanley Kramer. 1967, zwei Jahre nach "Ship of Fools" dreht Arthur Penn "Bonnie and Clyde" und läutet endgültig eine neue Ära des New Hollywood ein. Das Studiosystem, seine Arbeits- und Erzählweisen sind Geschichte, Lee Marvin und Vivien Leigh verkörpern Archetypen dieses Kinos.
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"Ship of Fools" (OmU) ist noch sechs Mal im November im Wiener Metrokino zu sehen. Die genauen Termine findet man hier.
Ein paar Mal läuft das "Narrenschiff" aus Eisberge der Hölzernheit auf, legt einem das ohnehin schon Offensichtliche nochmal dreimal unterstrichen ans Herz, doch es hat große, überraschende Momente der Tragik, Schwermut und Komik. Und wenn Michael Dunn als Karl Glocken die vierte Wand durchbricht und sich direkt ans Publikum wendet, dann ist das zwar einerseits von der Kramer'schen Überbetonung des Offensichtlichen und dennoch ein Moment Kinomagie, der man sich nicht ganz entziehen kann. My name is Karl Glocken, and this is a ship of fools.
I'm a fool. And you'll meet more fools as we go along.
This tub is packed with them.
Emancipated ladies. Ballplayers.
Lovers. Dog lovers.
Ladies of joy. Tolerant Jews.
Dwarfs. All kinds.
And who knows, if you look closely enough...
... you may even find yourself onboard.
Bildkalender zu gewinnen!
Filmarchiv
Wer mehr Oskar Werner in die eigenen vier Wände bringen möchte, der ist hier richtig. Im Verlag des Filmarchivs ist ein Bildkalender erschienen, der Fotos zeigt, die von Oskar Werner im Rahmen eines Fotoshootings für das LIFE Magazin gemacht wurden. Im Format 35x60 gibts für jedes Monat einen neuen Oskar. 2011 kann also getrost kommen. Und die danachfolgenden Jahre auch, denn so einen Kalender mit besonderen Filmfotos soll es ab jetzt jährlich geben. Wir verlosen Exemplare des Oskar Werner Kalenders; wer an der Verlosung teilnehmen will, muss nur die folgende Frage richtig beantworten: Was haben Oskar Werner und Tom Hulce gemeinsam?
Die richtige Antwort: Sie haben beide Wolfgang Amadeus Mozart verkörpert ("Reich mir die Hand, mein Leben" bzw. "Amadeus".
Die GewinnerInnen wurden bereits via E-Mail verständigt