Erstellt am: 12. 11. 2010 - 14:12 Uhr
Der Terrorist als Superstar
Eigentlich, ja eigentlich habe ich gedacht, dass Bernd Eichinger, vielleicht zum ersten und zum letzten Mal in Verlauf seiner ausgesprochen dubiosen, jedenfalls unheimlich populistischen Karriere einen Fehler gemacht und uns damit Erlösung verschafft hat: just nachdem sein Bravo-Fotoroman zum Baader Meinhof Komplex durch die deutschsprachigen Kinos galoppiert ist, war ein Ächzen zu vernehmen; ein Unwille auch von Publikumsseiten, noch mehr von diesen ewig gleich schick aufgemachten Vergangenheitsbewältigungsfilmen zu verdauen; eine Ahnung davon, wohin diese vulgäre filmindustrielle Masche führt, wenn sie denn fertig gestrickt ist, nämlich hin zu Führer-Häferl und Goebbels-Unterhosen und Baader-Kugelschreibern.
Bruce LaBruce
Man müsste ja lachen, müsste man nicht dauernd kotzen. Nein, ich hab’s da mit Bruce LaBruce gehalten und seiner unverschämt poppigen, jedwede Ideologie durch den Historienkakao ziehenden Generalwatschen als Schwulenpornopunkpolitfilm The Raspberry Reich. Da wird auf MGs gespritzt und Heterosexualität als Opium für die Massen ausgestellt. Zornig, dumm, herzlich, wild, eitel.
Aber ja, ein bisschen was von dieser Impromptu-Radikalität, dieser kaltschnäuzigen, gleichzeitig aber nicht trotzigen Ablehnungshaltung gegen das, was man Neudeutsch „Historytainment“ nennen muss, findet sich auch in Carlos - Der Schakal wieder. Kein Wunder, ist der Regisseur, der das getriebene Leben dieses durchtriebenen Egozentrikers und Edel-Terroristen verfilmt hat, doch Olivier Assayas. Ein Franzose! Pardauz! Aber einer von den guten, dessen Filme sich immer wie die bildhaften Äquivalente zu den Noise-Teppichen von Sonic Youth ausnehmen: Postrock-Kino der feinsten Sorte, ab und an spielt sogar Kim Gordon mit. Dann ist sowieso alles bestens.
Polyfilm
Ich-AG mit MG
Ilich Ramírez Sánchez, also, enigmatischer Halsdurchschneider und Wendehals aus Venezuela, dessen leninistischer Vater (daher auch sein Geburtsname) ihn schon früh in die kommunistische Bewegung einschleust, der dann als Endzwanziger von Wadi Haddad, charismatischer Führer der Volksfront zur Befreiung Palästinas, von seinen Speckschwarten befreit und zum feschen Terroristen ausgebildet wird. Es folgen Bombenanschläge, die spektakuläre Geiselnahme in der Wiener OPEC-Zentrale (die in Assayas' Film zum Krimi-Kammerspiel mit abschließendem Gastauftritt eines wunderbar wurschtigen Kreisky wird), diverse Terroranschläge auf die westliche Welt: am erfolgreichsten ist „Carlos“ (seinen Spitznamen erhält er von einem Journalisten) aber in seiner Selbstkonstruktion als Mythos, über den die Medien dankbar berichten. Eine außergewöhnlich zerrissene Figur, pendelnd zwischen grenzenlosem Narzissmus und Entrepreneurismus, als terroristische Ich-AG, als „Hand for Hire“, die die ideologische Erosionsbewegung der kommenden Jahrzehnte vorweg nimmt und zum schwer zu kategorisierenden Faszinosum wird, an dem sich häufig diverse Wissenschaftsdisziplinen simultan abarbeiten.
Vermutlich ist es gerade seine außergewöhnliche Gegenwärtigkeit und Modernität gewesen, was den Zeitgeist-Archäologen und spektakulären Kino-Lyriker Olivier Assayas so an einer Adaption seines Lebens interessiert hat. Der Regisseur verfährt demnach auch nicht thematisch gebündelt, unternimmt auch nicht den Versuch, dem mäandernden Leben dieses Mannes eine Bedeutung überzustülpen. Beinahe protokollarisch, unterstützt von den mobilen „Slice of Life“-Bildern der zwei Kameramänner Denis Lenoir und Yorick Le Saux, zeichnet Assayas strikt chronologisch, das Werden, Sein und Vergehen auf, passt die Geschwindigkeit seiner Erzählung immer wieder den zeithistorischen Koordinaten an. Während Anfang und Schluss in Atem beraubendem Tempo Daten, Fakten und Ereignisse übereinander stapeln, rastet der Film in quintessenziellen Momenten wie der OPEC-Geiselnahme ein und gibt vor allem Hauptdarsteller Édgar Ramirez (eine Sensation!) Gelegenheit, nicht nur seine physischen Ähnlichkeiten mit dem Vorbild und Ideengeber zu beweisen, sondern auch dessen mutmaßliches Verhalten, seine Zärtlichkeit und Grausamkeit, beeindruckend festzuschreiben.
Polyfilm
Keine Atempause
Jedenfalls in der fünfstündigen TV-Fassung, die ich in Cannes sehen durfte (die dreistündige Kinoversion der Fernsehminiserie kenne ich nicht), schweißt Assayas wie schon in seinen früheren Filmen die verschiedenen Zeitebenen mit ätherischen Montagesequenzen, unterlegt von in die jeweilige Zeit eingepassten Musiknummern, aneinander. Assayas und seine Produzenten, die haben sich freilich um Akkuratesse bemüht, rein faktisch sollte also alles stimmen an diesem Carlos. Eigentlich aber, und das macht dieser Regisseur viel leiwander als Hollywoods puritanischer Steven Soderbergh mit seiner L’art-pour-l’art über "Che" Guevara, entwirft er ein vielstimmiges, widersprüchliches und elastisches Psychogramm einer ungreifbaren Person: vor allem aber hat er den Anstand und die Intelligenz, keinerlei Wahrheitsanspruch in sein stürmisches Epos zu legen. Von den Fakten mal abgesehen. Die stimmen halt. Eh klar.
Darstellerisch gelingt Assayas jedenfalls mit Édgar Ramirez in der Hauptrolle ein Geniestreich: bis zu dem Moment, an dem ihn ein angeschwollener Hoden (jaja, der Männlichkeitsdiskurs zieht sich als roter Faden durch den Film) an die Behörden ausliefert und sein Schicksal besiegelt, agiert er beseelt, viril, erotisch, hinterhältig, unmoralisch. Ein feister Charakter, eine große Geschichte. Episch trifft’s ganz gut. Mit Frauenfiguren hat Assayas hingegen immer schon Probleme gehabt: die spielen bei ihm nicht, die sind eher. Unanrührbar, geheimnisvoll, wie Phantome aus der Kinogeschichte. Unvergesslich etwa (seine spätere Ehefrau) Maggie Cheung in der postmodernen, gleichzeitig ungemein klassischen Feuillade-Nachlese Irma Vep, oder auch Kim Gordon, die gleich durch mehrere seiner Filme gleitet wie ein Gespenst.
Phantom
Glaubwürdigkeit, all das, das liegt für Assayas schon eine Zeitlang zurück, in seinen besten Momenten als Regisseur definiert er das Kino von Grund auf neu. Das macht er in „Carlos“ nicht: die rührige Nora von Waldstätten macht sich noch gut als aufregendes G’spusi, sobald sie eine dramatische Szene spielen soll, ist’s aber vorbei mit der Anmut. In bleibender Erinnerung bleibt hingegen die immer feiste Julia Hummer, die, man traut es sich kaum sagen, sich irgendwie selbst spielt als krakeelendes Gör Gabriele Kröcher-Tiedermann.
Polyfilm
Olivier Assayas spielt seine Lieblingssongs - am Sonntag, 14. November, im FM4 Gästezimmer
Insgesamt aber, Hut ab, Herr Assayas: mein Interesse am politisch orientierten Spielfilm ist wieder belebt. Vielen Dank, Sie französischer Bilderstürmer, dass Sie mich die grausame Ernsthaftigkeit und kleinbürgerlichen Erschütterungstaktiken der Eichinger-Historyfabrik vergessen gemacht haben. Ein Stück weit ist das Kino für mich gerettet.