Erstellt am: 11. 11. 2010 - 04:07 Uhr
2x zurück in die Zukunft
Javelin - „No Más“
Man wartet gespannt vor dieser „Wall Of Sound“ ...
Christian Lehner
..., erichtet aus alten Ghetto Blasters; studiert, ob sich möglicherweise ein Gerät des im eigenen Jugendzimmer zu Schrott gespielten Modells darunter befindet und wartet was passiert. Javelin passiert. Lineup-technisch umzingelt von den Bounce Acts Dominique Young Unique und Big Freedia „The Queen Diva” spielen die zwei Sample-Nerds Tom Van Buskirk und George Langford aka Javelin ein enthusiasmiertes Set, das in Sachen Arschwackelbeben den Auftritten der einschlägigen Pros um nichts nachsteht. Und das sieht dann so aus:
Christian Lehner
Die Boombox-Wand funktioniert als Zusatzverstärker neben der PA der Hausanlage. Sie ist mit einem Mixing-Board, einem Laptop, Casio-Synths, Drum-Pads und diversen Mikrofonen verkabelt und wird so zu Doc Browns DeLorean DMC-12, zu einer Zeitmaschine, in der Javelin vor den Augen des geneigten Publikums in die Vergangenheit entschwinden – und das mindestens doppelt so schnell wie auf Platte. Dort klingen Javelin relativ entspannt. Die Musik wird aus Vintage-Samples der letzten fünf Dekaden generiert, die ausschließlich von Vinyl-Platten stammen, von denen - laut Buskirk - keine mehr als 5 Dollar kosten darf. Auch wenn das ein netter Joke ist, mit Stauballergie ginge bei Javelin gar nichts.
Beim Sound des Duos aus Rhode Island mit Homebase Brooklyn werden etwas erfahrenere Semester unweigerlich an die Instrumental-12 Inches des frühen Hip Hop denken, aber auch an das „goldene Zeitalter“ Mitte der 90er Jahre mit vor allem Britischen Labels wie Ninja Tune, Wall Of Sound und Mo' Wax und Acts wie DJ Shadow oder Depth Charge. Doch Javelin folgen nicht notwendigerweise den verworrenen Pfaden des Kopfnickens und Headphone-Sex. Dafür ist ihre Musik zu Song-orientiert und ästhetisch am Wasser von Hipsterhausen gebaut. Je nach Blogpräferenz werden die beiden dem Chillwave, Hip Hop oder der Indieabteilung zugeordnet.
Christian Lehner
Im Anschluss an den – ähm – geilen Gig im Southpaw-Club in Park Slope/Brooklyn, erklärt Tom Van Buskirk, dass sich die beiden künstlerisch am frühen Hip Hop orientieren, man das aber nicht als Stilvorgabe missinterpretieren sollte. Über den Hip Hop Mogul Damon Dash hätten Javelin einige der New Yorker OGs kennengelernt: „Die schwärmen noch heute von der stilistischen und improvisatorischen Freiheit der Gründertage. Jeder hat über die Musik des anderen gesungen oder seine Beats mitgebracht und mit eigenen Sounds unterlegt, ohne sich stilistisch einzuschränken“, so Buskirk.
Luaka Bop
Diese kosmopolitische Schule der Offenheit gemahnt auch an einen anderen Großen der Sampling-History: David Byrne, der mit Brian Eno auf "My Life In The Bush Of Ghosts" bereits Anfang der 80er mit seinen Field Recordings wichtige Vorarbeit für das große Schnipseln an der Musik leistete. Byrne war so angetan von Javelins Samplemania, dass er die beiden für sein Label Luaka Bop verpflichtete. Dort ist diesen Frühling das Zweitlingswerk des Duos „No Más“ erschienen, ein Meisterwerk des stilvollen Samplings mit Salz und Pfeffer.
Wir tanzen zu Werbe-Funk aus den 70ern bis die Polyester-Schlaghosen zu flattern beginnen („Intervales Theme“), nehmen den DeLorean in Richtung „Moscow 1980“ , kicken den Hip Hop Beat in Queens („Vibrations“), erfreuen uns an der So(n)gwirkung von „Moosy Woodland“ und landen schließlich beim Rave der Schlümpfe von „Oh Centra!“, der so manchen FM4-Moderator bis zur lustvollen Weißglut treiben kann. Dass das trotz Stilwilderei und Sample-Orgien angenehm heutig klingt, obwohl kaum ein Sound ohne Nadelkratzen zu hören ist, zählt neben der Wucht der Live-Performance zu den Stärken des Duos, das man hoffentlich auch bald in den Austro-Clubs Soundwände errichten sehen wird.
Violens - "Amoral"
Die Violens nennen ebenfalls Brooklyn ihr Zuhause, versuchen sich aber an der Synthese anderer Vergnügungsstoffe. Ihr Gemisch besteht aus einer eher selten gehörten Vermählung von Post Punk und Wave aus den 80ern mit dem formen- und sinnauflösendem Sound des 60s-Psychedelic. Optisch ist das im Gegensatzpaar „Team Bono“ (Sänger Jorge Elbrecht) und „Team Byrds“ (Gitarrist Myles Matheny) versinnbildlicht.
Christian Lehner
Christian Lehner
In der Musik geht das mal besser mal schlechter zusammen - je nachdem wie hörbereit man für soundtechnische Wetterkapriolen ist. Die im Kern als Trio werkelnde Formation (Iddo Arad an den Synths) wurde vom bildenden Künstler Elbrecht gegründet, nachdem er 2007 von Florida nach Brooklyn gezogen ist. Im Paradies der US-Pensionäre hatte er bereits einschlägige Erfahrung mit dem Art & Music Kollektiv Lansing-Dreiden gesammelt. Schon damals zeigte sich Elbrechts Sound auch vom Paisley Underground beeinflusst, der sich in Los Angeles in den 80ern an einer Neudeutung des Psychedelic und West Coast Rock der 60s wagte. So ist das Cover-Artwork des Violens Debütalbums "Amoral" ein Zitat des Motivs der Dream Syndicate Platte „Medicine Show“ aus dem Jahr 1983. Nach dem nicht gerade überzeugenden Kurzauftritt im Pianos an der Lower East Side im Rahmen des diesjährigen CMJ Music Marathons nannte Elbrecht auch Hardcore-Bands wie Fugazi und Minor Threat als Einfluss und schwärmte über die Harmonien und Texturen von Black Metal aus Norwegen.
An all dem krankt das Debüt "Amoral" ein wenig. Zu viele verschiedene Kräuter sind im Alchemie-Topf gelandet. Obwohl hier alles nach Epos schreit, haben sich die 12 Songs nicht zu einem Ganzen zusammenkochen lassen. Im Gegenteil: die ersten paar Stücke, darunter Knaller wie „Acid Reign“ oder “Violent Sensation Descends“, verhalten sich zueinander wie eine Abfolge sonischer Antithesen.
Static Recital
Die zweite Hälfte ist zwar wesentlich organischer, gerät aber nach und nach zu einem ambientösen Mix, der sich am Ende in einen Nebel der Irrlichter auflöst. Wieder empfiehlt es sich, einzelne Stücke wie das Todd Rundgren lastige „Trance Like Turn“ (rosa Watte mit süßen Tropfen) oder das Titelstück „Amoral“ (Stechapfel Muzak) gesondert vorzunehmen. Beeindruckend ist der Wille von Violens, sich vom Ansatz her nicht in den Hipster Knäuel befreundeter Bands wie Chairlift oder Twin Shadow einarbeiten zu lassen. Mit letzterem teilen sich Violens eine Split-EP, die auf Terrible Records, dem Label von Chris Taylor (Grizzly Bear), erschienen ist.
Nicht, dass die Zeitreise mit den Violens ins Nirgendwo führt, aber die Platte wirkt ein wenig, als würde man sich alle drei Teile von "Back To The Future" gleichzeitig anschauen. Und so viel "Chicken" ist dem McFly dann doch etwas zu psychedelic. Die Gratis-Mixtapes der Violens seien hier an dieser Stelle aber ausdrücklich empfohlen.