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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

21. 11. 2010 - 19:20

Süßes Scheitern

Herausfordernde Videospiele müssen nicht frustrierend sein. Beste Beweise dafür sind das Jump'n'Run "Super Meat Boy" und die neueste Version von "Pac-Man".

Früher wären Videospiele harsch und bestrafend gewesen, sagen sie. Damals seien Games gegenüber den Spielenden feindlich eingestellt gewesen, monieren sie. Heute, endlich, wären die unwirschen Herausforderungen von Konsole und PC verschwunden, bei denen man nach zig erfolglosen Versuchen resignativ klein beigibt oder schnaubend das Gamepad an die Wand schmeißt. Gute neue Spielewelt.

Verloren im Spielemenü

Was viele bei dieser Erleichterung über die Weiterentwicklung von Videospielen und ihre neue Zugänglichkeit vergessen oder verdrängen: Weder das kleine Browser-Game für zwischendurch, noch der barocke Blockbuster und schon gar nicht das eigentlich so simple Sportspiel, das du mit deinem eigenen Körper steuerst, machen uns heute das Spieleleben leichter. Leider oft im Gegenteil. Gutes Game Design bedeutet nicht nur, möglichst herausfordernde, motivierende Spielemechaniken zu erstellen, sondern es sollte ein gesamtheitlich rundes Erlebnis beim Benützen der jeweiligen Software garantieren. Das beginnt beim Runderladen und Starten eines Spieles und endet bei der Frage, ob man das Game nun wirklich beenden möchte.

Meine Erfahrungen der letzten Monate, in denen die Videospielvertriebe vollmundig ihre angeblich fantastisch simpel zu bedienenden Bewegungssteuerungen und Online-Community-Erlebnisse angepriesen haben, waren nicht selten durchwachsen etwa von holprigen Menüführungen (Hallo "Kinect"!). Dinge wie unvermeidbare Leerzeiten, die schon vor zehn Jahren genervt haben werden heute offenbar als eine Art Videospiel-Design-Tradition missverstanden. Oder gibt es tatsächlich noch Menschen, die sich über Zwischensequenzen und geskriptetes Gequatsche zwischen Spielfiguren freuen, das man auch nach dem fünften Mal nicht abbrechen und überspringen kann? Und warum muss in Nintendo- und Square Enix-Spielen immer noch die Dialog-Schrift in unzähligen dieser seltsamen, kleinen Boxen so langsam aufpoppen und mit diesem Rattergeräusch unterlegt werden?

Rückkehr des Rigiden

Der gut gelaunten Independent-Games-Szene sind diese Untugenden offenbar schon vor einigen Jahren auf die Nerven gegangen. Bereits 2004 ist die Neuerfindung des Uralt-Labyrinth-Spiels "Lode Runner" als freies Game erschienen. Das Jump'n'Run "N" (und später "N+") war ein Spiel mit dutzender kleiner, oft sagenhaft herausfordernder Levels, bei denen das ewige Scheitern Teil des Unterhaltung und des Spieleerlebnisses ist. Das fantastische, kürzlich erschienene "Super Meat Boy" schlägt nun in dieselbe Kerbe und holt das zu unrecht diskreditierte, harsche Videospiel-Design aus den 1980er Jahren ein weiteres Mal zurück in die Gegenwart.

"Super Meat Boy" und "Bandage Girl" treffen auf den Widersacher "Dr. Fetus".

Team Meat / supermeatboy.com

"Super Meat Boy"

"Super Meat Boy" von Team Meat ist vor kurzem als Download für die Xbox 360 erschienen und erscheint demnächst für PC Windows.

"Super Meat Boy" ist ein blutiges Fleischstück mit unendlich vielen Bildschirmleben, das seine Freundin "Bandage Girl" retten muss - ein viereckiges, weißes Comic-Etwas mit Armen, Beinen, Augen und Mund. Der amüsant verdrehte Humor und das große Zeichentalent von Game Designer und Grafiker Edmund McMillen sind ein Teil des Herzes von "Super Meat Boy". Der zweite und noch wichtigere Teil davon ist jedoch der Spagat, einen sehr hohen Schwierigkeitsgrad und repetitives "Immer-wieder-versuchen" mit Zugänglichkeit und Motivation gleichzusetzen. Wie man das schafft, zeigt ein simpel angelegtes und lustig gestaltetes Design-Dokument im gut bestückten Blog von "Super Meat Boy". Die Essenz davon lautet: Das Scheitern des Spielers darf nicht bestraft werden sondern muss als selbstverständliches Grundelement implementiert werden.

So brauchen wir zwar für jedes der Mini-Levels durchschnittlich, sagen wir, 25 Anläufe. Weil aber jeder Bildschirmtod eine Sekunde später von einem neuen Spielstart begleitet wird, kommt nur selten Frust auf. Vielmehr wird man schnell in "Super Meat Boy" hineingezogen und freut sich nach einiger Zeit, dass man die sehr präzise gestaltete Steuerung immer besser beherrscht.

Ein eckiges Comic-Wesen, darüber steht "You don't have time for tears!" geschrieben.

Team Meat / supermeatboy.com

Schneller Neustart

"Pac-Man Championship Edition DX" ist kürzlich als Download für Xbox 360 erschienen und erscheint demnächst auf PlayStation Network für PS3.

Ebenso zackig und zart bis hart kommt das neue "Pac-Man" daher. Die "Championship Edition DX" ist eine aufgemotzte Variante der Version aus 2007 (die mit der Weltmeisterschaft) und bietet nun schlafende Geister, irre Fress-Kaskaden und mehr verschiedene Levels. Das archaische Game Design wurde auch hier ein weiteres Mal erfolgreich entstaubt und mit einem besseren, biegsameren User-Interface ausgestattet. Per doppeltem Tastendruck wird sofort das Level neu gestartet, drei verschiedene Spielmodi lassen einen entscheiden, ob man das bunt-frenetische Treiben von "Pac-Man" eher nur eine Minute oder zehn Minuten am Stück spielen möchte.

Ein Bildschirmfoto aus dem Videospiel "Pac-Man Championship Edition DX".

Namco Bandai

"Pac-Man Championship Edition DX"

Sowohl "Pac-Man Championship Edition DX" als auch "Super Meat Boy" holen neben den bereits genannten Features noch ein weiteres, verloren geglaubtes Spielelement, oder besser gesagt, einen Motivationsbonus aus der früheren Welt der Videospielkultur zurück in die Jetztzeit: den Highscore. Bei beiden Games gibt es nicht bloß eine globale Bestenliste, sondern eine für jedes Level, einen für jeden Modus. Gute neue Spielewelt!