Erstellt am: 15. 11. 2010 - 11:15 Uhr
For Folk's Sake

VSA
Ich bin kein großer Festival-Geher. Meine Zeit im Schlamm rumzuhüpfen und mir die Bierfahnen ins Gesicht pusten zu lassen, ist definitiv vorbei. Ich mag es vielmehr mich auf samtig weiche Sessel zu setzen, die Bühne zu beobachten und zu warten bis das Licht ausgeht. Wenn sich dann der Vorhang lüftet und nur minimales Instrumentarium entblößt wird, weiß ich, dass ich mich im Porgy & Bess befinde. Und mit etwas Glück läuft gerade eines der angenehmsten Festivals des Landes: das Blue Bird Festival.
Kürzlich erschienen:
Between the Lines Vol. 4: Find Shelter - u.a. mit Regina Spektor, Wilco, Ping Ping, Kristofer Åström und den Acts des Blue Bird 2010.
Vom 25. bis 27. November ist es wieder soweit: Menschen wie ich, die den Farben des Herbstes verfallen sind, bekommen an drei Tagen den Soundtrack einer Jahreszeit präsentiert, auf die Beine gestellt von den engagierten Jungs und Mädels der Vienna Songwriting Association. Dass in Zeiten wie diesen die stillen und oft unbekannten Singer-SongwriterInnen auf diese Weise eine Plattform erhalten, ist nicht selbstverständlich (und sei an dieser Stelle auch mal lobend erwähnt). Und weil das diesjährige Programm so wunderschön ist, erlaube ich mir drei Singer-Songwriter ganz besonders zu empfehlen. Sie sind alle drei zum Niederknien, versprochen.
25. November: James Vincent McMorrow
"I´ve been breaking hearts for far too long"
(James Vincent McMorrow - "Breaking Hearts")
25.11. = Hammertag des Folk:
James Vincent McMorrow, Scout Niblett, Grant Hart und Sweet Sweet Moon beim Blue Bird und der großartige Rocky Votolato im B72.
Wer mag mit mir pendeln?
Man stelle sich vor, dass Bon Iver und Sufjan Stevens ihre Solokarrieren an den Nagel hängen und bei Arcade Fire einsteigen. So in etwa klingen die soften Kompositionen des irischen Songwriters James Vincent McMorrow. Selten hat mich ein Debütalbum so sehr in seinen Bann gezogen wie McMorrows "Early In The Morning". Aufgenommen in einer kleinen Hütte mitten im irischen Ödland, schafft es James Vincent McMorrow in den elf Songs intime Momente der Einsamkeit und hymnenhaften Eingängigkeit zu verbinden. Dabei kommt der Mann aus Dublin eher aus der Hardcore-Ecke, lernt in jungen Jahren sogar das Schlagzeug spielen. Erst seiner Begeisterung zu Cosby, Stills and Nash haben wir es zu verdanken, dass er sich dem Songwritertum zuwendet. Es folgen Support-Gigs für Al Green, Bon Iver und Iron and Wine und ein Vocal-Auftritt bei Mark Ronson.

James Vincent McMorrow
Und was ist "Early In The Morning" für eine großartige Scheibe! "McMorrow vereint seine irischen Wurzeln mit den traditionellen, amerikanischen West-Coast Sounds. So ist "If I Had A Boat" ein extrem emotionaler Track, eingeleitet von McMorrows souliger Stimme, die sich in Harmonien mehrfach spiegelt und die Geschichte von "The Old Man and the Sea" neu aufrollt. "This Old Dark Machine" wiederum ist wie eine komplexe Spielwiese aus knackigen Beats und großartigem Gesang. Meine Lieblingsnummer ist aber "Breaking Hearts", ein Klagelied an die Verflossenen, an die eigens Zurückgelassenen. It´s easier to leave than to be left behind. Ein weiterer glitzernder Juwel in meiner Plattensammlung.
Wie soll man einen Künstler beschreiben, dessen Debütalbum sich so tief ins Herz schneidet, dass einem die Stimme versagt? Geht nicht, no way.
26. November: Scott Matthew feat. Spencer Cobrin presents: Elva Snow (unplugged)
"And it could be a sign that love and whiskey don't rhyme"
(Elva Snow - "Hollywood Ending")
Was wurde nicht schon alles über Scott Matthews großartiges zweites Album "There Is An Ocean That Divides And With My Longing I Can Charge It With A Voltage That´s So Violent To Cross It Could Mean Death" geschrieben und wie haben wir uns nicht an seinen legendären Auftritten beim Kremser Donaufestival 2008 und jüngst als spontaner Einspringer 2010 satt gesehen? Und zu Recht: Mit seinen kammerartigen Wehklagen ist Scott Matthew die Drama-Queen unter den folkigen Bartträgern mit Hang zu theatralischer Kostümierung, eine Augen- und Ohrenweide.

Michael Mann
Dass Matthew auch anders kann, zeigt er bereits 1999, zu einer Zeit, als man noch keine Lobeshymnen auf ihn singt. Gemeinsam mit Spencer Cobrin, dem Ex-Morrissey-Drummer, gründet er die Band Elva Snow. Cobrin ist selbst ein hochtalentierter Songwriter, schreibt auch bei seiner Zeit in Morrisseys Band wesentliche Meilensteine der "Maladjusted"-Zeit mit. Weil Morrissey kein Ego in seiner Nähe ertragen kann, das größer als seins ist, verabschiedet sich Cobrin und widmet sich den rockigen Songs von Elva Snow. Man veröffentlicht zwei EPs und dann ist auch schon wieder Schluss: Scott Matthews viel gelobte Solo-Karriere startet.

Elva Snow
2010 veröffentlichen Elva Snow nun ihre beiden EPs als Album (inkl. zwei neue Songs). Wer Matthew nur von seinen Soloalben kennt, wird vom rockigen und vor allem dynamischeren Sound Elva Snows etwas überrascht sein. Musikalisch bewegen sie sich zwischen den frühen Suede, Mazzy Star und Marc Almond. Und in der Tat klingt Matthew auf dieser CD auch wie eine Mischung aus David Bowie und Brett Anderson. "Wir waren vielleicht nicht die größte Band der Welt, aber die Songs sind immer noch da und klingen frisch", erzählt Scott Matthew. Verschrecken wolle man auch niemand, daher präsentieren Elva Snow ihr Album beim Blue Bird auch im rein akustischen Gewand. Für ein paar Matthew-Songs und die heißgeliebte Ukulele ist aber sicher auch Platz.
27. November: John Smith
"I've been thinking of a way I can take your words away"
(John Smith - "A Long Way For A Woman")
John Smith, das ist wie Michael Müller. Ein Allerweltsname, hinter dem man sich gut verstecken kann. In diesem Fall ist John Smith ein englischer Songwriter aus Essex. Ein junger Hüpfer Ende zwanzig, der schon vor einigen Jahren von Folk-Größen wie Davy Graham und John Martyn gehypt wurde. Aber nicht nur die loben ihn: Auch Josh Homme von den Queens of the Stone Age und Pearl Jams Eddie Vedder sind Fans von John Smith. Nicht nur wegen seines exzellenten Songwriting, sondern vor allem wegen seiner Fingerfertigkeit an der Akustikklampfe. John Smith versteht es wie wenige das Saiteninstrument wie eine Geliebte zu streicheln und sie im nächsten Moment wie eine Klapperschlange zu würgen. Zu hören auf seinem Debüt "The Fox & The Monk" und jüngst auf dem noch besseren zweiten Album "Map Or Direction".

www.david-angel.com
Übrigens: Ebenfalls von 25. bis 27. November 2010 findet in Graz das Autumn Leaves Festival statt.
Wie bei so vielen Singer-Songwritern beginnt Smiths Karriere im zarten Kindesalter. Mit elf Jahren bekommt er seine erste Gitarre und wird maßgeblich von seinem Vater und dessen Plattensammlung geprägt: hier insbesondere durch Bert Jansch und John Renbourn und natürlich Mr. Nick Drake. Und dann fast schon ein Aufstieg wie in einem Hollywood-Film: Er arbeitet als Mitarbeiter beim "International Guitar Festival" in Liverspool, bei dem sich auch die Jugend in einem Wettkampf beweisen kann. Smith ergattert den letzten Startplatz und gewinnt. Sein Held John Renbourn bezeichnet ihn und seine Art mit der Gitarre umzugehen später als die "future of folk music".
Ein ganz heißer Tipp am letzten Tag des Blue Bird Festivals. Und Zeit genug sich auf den kalten Winter vorzubereiten.