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9. 11. 2010 - 15:07

Schleppende Ermittlungen gegen Neonazis

Eine rechtsextreme Website ist seit fast zwei Jahren online. Die Ermittlungen gegen ihre mutmaßlichen Betreiber werden entweder durch deren Gegenmaßnahmen, oder durch Inkompetenz der zuständigen Behörde gebremst.

Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusgekämpfung

BVT

Die Betreiber der rechtsextremen Website alpen-donau.info freuen sich dieser Tage über Rekord-Zugriffszahlen. Kritiker werfen der deutschnationalen Plattform vor, Verhetzung, Holocaust-Leugnung und nationalsozialistische Wiederbetätigung zu betreiben. Für Aufsehen sorgt seit kurzem, dass im Umfeld der mutmaßlichen Website-Betreiber ein junger Mann entdeckt wurde, dessen Vater noch im Sommer beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) gearbeitet hat. Gleichzeitig mit der erhöhten Aufmerksamkeit steigt auch der öffentliche Druck nach Abschaltung der Website. Diese liegt jedoch auf einem Server in den USA. Zuerst müssten die mutmaßlichen Betreiber der Plattform angezeigt und wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung belangt werden. Dass dies bisher nicht geschehen ist, weckt Misstrauen in die Kompetenz der für Ermittlungen gegen Neonazis zuständigen Behörde. Diese Behörde ist – das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT).

Das Innenministerium beschwichtigt. Der Beamte, dessen Sohn sich zumindest im Dunstkreis der rechtsextremen Szene bewegt, wurde in eine andere Dienststelle des Innenministeriums versetzt. Herbert Anderl, Generaldirektor für öffentliche Sicherheit: "Wir haben, als das bekannt wurde, mit dem Vater ein Gespräch geführt. Es haben sich keinerlei Hinweise ergeben, dass durch ihn irgendwie die Ermittlungen in dieser Causa behindert, gefährdet oder beeinflusst waren." Der Beamte, so Anderl, hätte außerdem nicht in einer leitenden Funktion des BVT gearbeitet. Karl Öllinger von den Grünen glaubt daran nicht: "Meinen Informationen nach war Herr F. der Leiter der Observationsabteilung des BVT."

Pikant ist die Angelegenheit auch, weil von der Website "alpen-donau.info" monatelang Artikel mit der Anmerkung "Informationen aus dem Innenministerium" veröffentlicht wurden. Das rechtfertige aber nicht die Annahme, dass die Informationen tatsächlich aus dem Innenministerium kommen, sagt Peter Gridling, Leiter des BVT: "Nichts liegt uns ferner, als einen Zustand zuzulassen, der die Objektivität von Ermittlungen in Frage ziehen würde."

Es gebe keine Hinweise darauf, dass es sogenannte "Maulwürfe" im Innenministerium geben könnte. Auf laufende Verfahren gegen mutmaßliche Betreiber von alpen-donau.info ging das Innenministerium in einer am Montag eilig einberufenen Pressekonferenz nicht ein. Zeitungsberichte, nach denen bei 16 Hausdurchsuchungen in fünf Bundesländern Computer, Sturmgewehre und NS-Devotionalien sichergestellt wurden, blieben unkommentiert. Zu den laufenden Verfahren könne man nichts sagen, sagte Thomas Vecsey von der Staatsanwaltschaft Wien am Montag: "Diese Hausdurchsuchungen sind massive Grundrechtseingriffe. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft in jedem einzelnen Fall die Bewilligung eines Haft- und Rechtsschutzrichters benötigt. Wir müssen unsere Verdachtsmomente, unsere Beweislage dem Haft- und Rechtsschutzrichter offenlegen. Und Sie können daher allein aus dem Umstand, dass es diese Grundrechtseingriffe gab, schließen, dass wir bereits sehr vieles wissen. Ich bitte Sie aber dennoch um Verständnis, dass wir Ihnen über diese Dinge heute nichts sagen können."

Die Grünen

Seit 2007 steigt die Zahl der rechtsextremen Tathandlungen in Österreich rapide an. Wurden 2006 noch 419 Gesetzesverstöße angezeigt, waren es 2007 bereits 752, im Jahr 2008 schließlich 835 und im Jahr 2009 immerhin 791. Etwas weniger als die Hälfte der einschlägigen Verbrechen wurden aufgeklärt. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht 2010 (für das Jahr 2009) heißt es zur Gesamteinschätzung der rechtsextremen Szene: "Die Agitationen des in Partei- und Vereinsform organisierten ideologisch motivierten Rechtsextremismus waren im Jahr 2009 rückläufig." Kein Wort zur bedenklichen Entwicklung über den Zeitraum der letzten Jahre, kritisiert Karl Öllinger. Der Grünen-Politiker erinnert daran, dass Burschenschaften und ihre Verbindungen zur Neonazi-Szene schon seit dem Jahr 2001 nicht mehr in den Verfassungsschutzberichten auftauchen. Damals habe die Regierungspartei FPÖ dafür gesorgt. Bis heute wolle man "nur ja nichts im rechten Eck entdecken", um sich diese Seite des politischen Spektrums koalitionsfähig zu erhalten, so Öllinger.

Keinen Kommentar seitens des Innenministeriums gibt es auch zum Gerücht, dass einige Betreiber der Website "alpen-donau.info" aus dem Umfeld des Militärgymnasiums und der Militärakademie Wiener Neustadt kommen. Der Sohn des ehemaligen BVT-Beamten F. wurde auf dem diesjährigen Ulrichsberg-Treffen gesehen – er trug dabei seine Bundesheeruniform. Das Innenministerium verlautbart, dass es keine Kontakte zu Dienststellen gäbe, die nicht direkt zum Innenministerium gehören. Für Karl Öllinger agiert das BVT "als politische Behörde für Verharmlosung und Vertuschung". Als Beispiel nennt der Grünen-Politiker das jährliche Treffen der rechtsextremen AFP (Aktionsgemeinschaft für demokratische Politik): Von 15. bis 17. Oktober trafen sich mehr als 70 Neonazis und Rechtsextremisten in Offenhausen (OÖ). Das BVT ließ dazu jedoch verlautbaren, dass kein Grund zur Beobachtung der Veranstaltung bestehe, weil es sich bei der AFP "um eine angemeldete Partei" handle. Karl Öllinger: "Diese Erklärung des BVT widerspricht nicht nur dem Auftrag des Verfassungsschutzes, sondern auch der eigenen Praxis. Veranstaltungen der AFP wurden in der Vergangenheit beobachtet." Und es gebe weitere Beispiele von Neonazi-Aufmärschen, bei denen das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung heuer durch Abwesenheit geglänzt hat.

Angesichts der Vorwürfe erschien die am Montag vom Innenministerium abgehaltene Pressekonferenz tatsächlich wie ein misslungener Beruhigungsversuch: Nach nur einer halben Stunde unterbrach ein Sprecher des Innenministeriums die Runde, weil sich die Fragen "nur mehr im Kreis drehen" würden. Unter dem Protest einiger Journalisten verließen die Beamten den Raum.