Erstellt am: 9. 11. 2010 - 19:03 Uhr
Robert Enke - ein viel zu kurzes Leben
"Wenn ich nach dreißig Jahren im Beruf nach dem idealen Profi gefragt werde, sage ich immer: Fernando Redondo und Robert Enke. Die beiden waren nicht nur besondere Fußballer, sondern besondere Menschen, respektvoll, sozial, intelligent." Jupp Heynckes
Die Scheinwelt und der Leistungsdruck
Depressionen im Fußball:
- Über Sebastian Deisler bei Zeit.de
- Vom Himmel ins Abseits: Andreas Biermann
- Dossier Robert Enke bei NDR.de
- Thomas Hitzlsperger über die Robert Enke Biografie
- Interview mit Ronald Reng
Das, was beim Fußball an die Oberfläche, in die Medien gerät, hat mit dem, wie es hinter den Kulissen zugeht, meist nicht viel zu tun. Nur ja keine Schwächen zeigen scheint die oberste Maxime zu sein. Wie in einem Druckkochtopf bleibt der Deckel zu. Der Selbstmord von Robert Enke am 10. November 2009 hat für eine Zeit lang den Druck aus dem Topf entweichen lassen und der Öffentlichkeit klar gemacht, dass auch im Profifußball echte Menschen zu Gange sind.
In den Wochen nach der Todesmeldung war viel die Rede von der Gnadenlosigkeit der Leistungsgesellschaft, viel davon, menschlichen Schwächen einen Platz in Leben und Gesellschaft einzuräumen. Denn was Robert Enke in den Selbstmord getrieben hat, das war vor allem die Tatsache, dass er seine Krankheit verstecken musste, dass er sich, wie sein Freund Ronald Reng es schreibt, in seiner Krankheit eingesperrt hat.
Die verhinderte Autobiografie
Piper Verlag
"Robert Enke. Ein allzu kurzes Leben" von Ronald Reng hat 426 Seiten, kaum Fotos und ist im Piper Verlag erschienen.
Eigentlich wollte Ronald Reng die Geschichte von Robert Enke gemeinsam mit ihm schreiben. Im Jahr 2002 hatten sich der Torwart und der Journalist in Barcelona kennen gelernt, irgendwann entstand die Idee, ein Buch über das ungewöhnliche Leben eines Fußballprofis zu schreiben.
Heute weiß ich, warum ihm die Biografie so sehr am Herzen lag: Wenn seine Torwartkarriere vorbei war, würde er in der Biografie endlich von der Krankheit erzählen können. Ein Torwart, der letzte Halt, darf in unserer Leistungsgesellschaft nicht depressiv sein.
Torhütern sagt man ja nach, eher extrovertierte Charaktere zu sein. Robert Enke war das nicht. Er spielte nicht den durchgeknallten Macho mit Handschuhen, er hat nicht den Psychopathen gemimt. Er war keiner, der gerne Ausflüge an die Mittellinie macht oder Freistöße versenkt und als Präsident kandidiert. Er war nicht mal einer, der sich um besonders spektakuläre Paraden bemüht, wie so viele das tun. Kein Torwart für die Galerie; sein Markenzeichen war das Unspektakuläre, Qualität statt Show. Mehrere Male wurde er zum besten deutschen Torwart gewählt.
Robert Enke - kein gewöhnlicher Lebenslauf
Robert Enke ist in Jena aufgewachsen, im Osten Deutschlands, als die Mauer fiel war er zwölf. In Mönchengladbach wird er Bundesliga-Torwart, dann spielt er bei Benfica Lissabon. Als er zum FC Barcelona wechselt wird der Druck zu groß, zum ersten Mal bekommt er Depressionen. Er lässt sich nach Istanbul ausleihen und flieht nach dem ersten Testspiel zurück nach Barcelona.
Während Robert Enke bei CD Teneriffa in der zweiten Spanischen Liga wieder Fuß fasst, wird seine Tochter Lara geboren, mit einem schweren Herzfehler. Nach Hannover wechselt er auch wegen der Herzspezialisten im dortigen Klinikum. Seine Tochter stirbt 2007, im Alter von zwei Jahren.
Als Robert Enke im Jahr darauf Stammtorwart in der Nationalmannschaft wird, kehrt die Depression zurück, die ihn schließlich in den Suizid treibt.
Welche Kraft muss diese Krankheit besitzen, wenn sie einen wie ihn in den Trugschluss lockt, der Tod sei eine Lösung? Welche Finsternis muss ihn umgeben, wenn ein einfühlsamer Mensch wie er nicht mehr erkennt, welches Leid er anderen mit seinem Tod zufügt, denen, die er liebt, genauso wie dem Lokomotivführer, vor dessen Zug er sich an jenem Novemberabend stellt?
Ein letzter Freundschaftsdienst
Bettina Fürst-Fastré
Der Sportjournalist und Schriftsteller Ronald Reng schreibt als Fußballkorrespondent u.a. für die Süddeutsche Zeitung und die taz, zunächst aus London, seit ein paar Jahren aus Barcelona. "Der Traumhüter" heißt sein bisher bekanntestes Buch.
Außerdem: "Mein Leben als Engländer" und "The Funny German"
Ronald Reng hat für sein Buch mit der Witwe Teresa Enke zusammengearbeitet, er hat mit den Eltern und engen Freunden von Robert Enke gesprochen, er hat die Tagebücher verwendet und die Aufzeichnungen, die Enke selbst für seine Biografie gemacht hat. Und er hat Weggefährten, Trainer, und Torwartkollegen befragt.
Es ist schwer vorstellbar, dass ich jemals wieder auf solch schonungslos offene Interviewpartner treffen werde wie auf der Reise durch Roberts Leben. Freunde von ihm erzählten plötzlich von ihren eigenen schwarzen Gedanken. Seine Torwartkonkurrenten, die sich, ein Gesetz des Profisports, doch in Interviews die Maske des Unverwundbaren aufsetzen sollen, redeten auf einmal über ihre Zweifel und Ängste.
Der Tod eines geliebten Menschen löst unter den meisten Menschen den Drang aus, ehrlich zu sein, Gutes zu tun, die Dinge ändern zu wollen.
Das Buch ist so etwas wie ein letzter Freundschaftsdienst von Ronald Reng an seinem Freund Robert Enke. Es erzählt die Geschichte eines ungewöhnlichen Menschen ohne Betroffenheitsschwulst und ohne die Phrasenhaftigkeit, die den billigen Sportjournalismus oft dominiert. Es holt die Krankheit Depression aus der Verdrängung und räumt offen und kompetent mit Vorurteilen auf. Und außerdem nutzt Ronald Reng, ganz im Sinne seines verstorbenen Freundes, den Moment, um den Deckel zu lüften und einen Blick hinter die Kulissen des Profibetriebs zu werfen.