Erstellt am: 8. 11. 2010 - 16:00 Uhr
Möglicherweise auch Rauschmittel
Eine Band wie durchwetztes Denim, die begleitenden Bilder, die von Sonnenaufgängen und Sonnenuntergängen, von Regenbögen und betörenden Pilzen bevölkert werden, flackern auf Super 8 und sind auch schon ganz schön ausgebleicht. Die Band Tame Impala stöbert in der Vergangenheit. Das Trio aus Perth, Australien - eine Stadt, über die möglicherweise nicht allzu viel bekannt ist, außer, dass sie in allen möglichen Lebensqualitäts-Rankings neben solch Städten wie Genf, Wien und Vancouver immer wieder ganz oben mitspielt - hat nun endlich, ein gutes halbes Jahr nach erstem Erscheinen im Mai dieses Jahres in der Bandheimat und den USA, ihr vor fast schon obszön opulentem Gitarren-Genudel vibrierendes Debüt-Album "Innerspeaker" auch in Europa und dem UK "offiziell" veröffentlicht. Die Sinnhaftigkeit einer solchen Praxis datiert zurück in nebulös erinnerte Tage, als man noch "das Internet" in Anführungszeichen sagte und "Musikindustrie" ohne Argwohn und ironischen Say-No-More-Ausdruck im Gesicht. Auch die Musik von Tame Impala ist von Vorgestern, dockt bei keinem Trend an und ist nicht weniger als von schwindlig machender Herrlichkeit.

Teapot
Tame Impala ist das Brainchild von Kevin Parker, Multiinstrumentalist, Mastermind und wahrscheinlich Genie, der das Album "Innerspeaker" mehr oder weniger im Alleingang geschrieben, eingespielt und produziert hat, ein wenig Unterstützung auf dem einen oder anderen Song kommt von Dominic Simper am Bass und Jay Watson an den Drums, für den psychedelisch aufschäumenden Mix zeichnet der Mischpult-Perfektionist Dave Fridmann verantwortlich, der ja auch schon Mercury Rev, den Flaming Lips und MGMT aufsehenerregend bewusstseinserweiternde Wirkstoffe ins Getränk getan hat.

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Und so greift die Band, die mittlerweile live zu einem Quartett anwächst, mit ihrer Musik in einen ästhetischen Kosmos zurück, in dem man bunte Tabletten und merkwürdige Substanzen noch mit langen Haaren und wildem Gitarrengewürge assoziierte und von elektronischer Tanzmusik noch weit und breit nichts zu vernehmen war. Das Fundament der elf auf "Innerspeaker" versammelten Stücke wird von 60er/70er-Psychedelik, Westküsten-Softrock, Hippie-Harmonie-Gesängen und bisweilen auch - in Nuancen - einem Touch ruppiger, Richtung Südstaaten-Sumpfrock geprügelten Lärmabenteuern gebildet. Was es hier auf dieser Platte an im Herzen der australischen Wüste, im Zauberwald und in der rosafarbenen Wolkendecke forschenden verschwurbelten Melodien und rauschenden Nebelwänden zu erfahren gilt, kann man also alles in der einen oder anderen Form schon irgendwo gehört haben. Crosby, Stills, Nash & Young, die Byrds, aber auch Cream kann man da vor dem geistigen Auge sich manifestieren sehen, möglicherweise auch die Doors, immer wieder ein wenig krautiges Geklöppel da und dort, und - besonders nachdrücklich - die Beatles in ihren experimentellsten Phasen. In raueren Momenten klingt - um in der Gegenwart anzukommen - eine Art feinfühligere Variante der bassmächtigen Musik an, die da Stoner Rock genannt wird.

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Mit schnödem Power-Riffing und dem simplen Nachstellen von schon 30 mal durchexerzierten Codes, einfallslosem Retro-Gepose und Dicke-Hose-Männer-Rock'n'Roll, wie beispielsweise von den Kings of Leon oder auch den Landsleuten Jet und Wolfmother ermüdend vorgemacht, hat die Band Tame Impala dabei so gut wie gar nichts zu tun. Die Musik der Band ist auf vielen Levels erfolgreich.
Radiotipp
Tame Impala treten heute, Montag, im Wiener B72 und morgen in München im 59:1 auf
In der heutigen Homebase gibt es ein Interview mit der Band zu hören.
Zugegebermaßen umkreisen die eher profan gehaltenen Texte meist nicht viel mehr als die alten Themenkomplexe mit der Liebe, ein bisschen Weed-Rauchen und eventuell durch Rauschmittel herbeigeführte philosophische Erweckungserlebnisse, wie sich aber hier die Gesänge nuancenreich umspielen, mal zerbrechlich, mal mit Nachdruck, verwirrt, lost, komplett selbstsicher und vom Zweifel heimgesucht, hat man in solch schönem Variantenreichtum auf einer Platte, die sich selbst relativ eindeutig als "ROCK" ausweist, lange nicht gehört.
Nicht selten wird "Innerspeaker" von Rythmus und, ja, Groove dominiert, wasserdicht, umwerfend, zwingend, dabei ohne doof ausgestelltes Mackertum eingespielt, anderswo zerfallen die Stücke ins Versponnene. Feingliedrig konstruiertes Songwriting, Trips hinein ins Experiment und ein Klangdesign, dem das Kunststück gelingt, kristallinklar und wattebauschhaft verwaschen gleichermaßen zu strahlen. Tame Impala entwickeln eine zärtliche Rockmusik, in der die Sounds, die Einfälle und die Melodien ineinander und in allen Farben aufgehen. Durch ihr relatives Unmodernsein klingen Tame Impala wie kaum eine andere Band im Hier und Jetzt. Das Kaleidoskop explodiert ganz behutsam, ein, zwei Schlucke noch vom Elixier, die Halluzinationen sollen niemals verblassen.