Erstellt am: 8. 11. 2010 - 13:55 Uhr
Szenen eines Asylwesens
Populistisch beginnt „Die verrückte Welt der Ute Bock“ im vollen Audimax im bewegten Herbst 2009. Flüchtlingsbetreuerin Ute Bock betritt das Podium, umjubelt wie ein Popstar. Die Premiere der Dokumentation „Bock for President“ wurde am Filmfestival Viennale kurzerhand ins Herz der unibrennt-Proteste verlegt, Intendant Hans Hurch erklärte sich mit den Studierenden solidarisch. Solidarisch erklären sich auch Josef Hader, Paulus Manker, Claudia Androsch oder Karl Markovics und zwar mit Ute Bock und ihrem Anliegen.
Robert Newald
Verrückte Realität
Regie führt erneut Houchang Allahyari, die Realität rückt er dieses Mal ins Fiktive. Denn mit dokumentarischen Mitteln wäre es nur bedingt möglich, "Härtefälle" zu zeigen, mit denen Ute Bock täglich konfrontiert sei, so Allahyari. Polizeieinsätze und Abschiebungen hätte er nicht filmen dürfen.
Also spielen prominente UnterstützerInnen in "Die verrückte Welt der Ute Bock" in verteilten Rollen Fallbeispiele von Asylgeschichten. Diese basieren auf wahren Begebenheiten, wie der Vorspann wissen lässt. Die einzelnen Geschichten verknüpft Houchang Allahyari in Form loser Episoden. Zusammengeflickt sind diese mit Auschnitten mitgefilmter Publikums- und SchülerInnengespräche mit Ute Bock. Damit erklärt der Film nebenbei den Verein Flüchtlingsprojekt Ute Bock – und bringt sich selbst um eine mögliche Spannung.
"Und? Wie war's in der Schubhaft? Schön?" fragt Bock in eine dicht gedrängte Tischrunde mit Frauen und Kleinkindern, die in einer der über 100 Wohnungen ihres Wohnprojekts Unterschlupf finden. Der schwarze Humor, mit dem die 68Jährige ihren Alltag als pausenlose Helferin schupft, weckt verbundenes Nicken von ZuschauerInnen im Kinosaal. Ute Bock bietet Orientierung, auch im Wechsel zwischen Inszenierung und dokumentarischer Beobachtung den Film hindurch. Die zentrale Erzählung um die Lage einer armenischen Familie, die nach ihrem letzten negativen Bescheid im Ansuchen um Asyl unmittelbar von der Abschiebung bedroht ist, entfaltet sich spät und bleibt oberflächlich wie ein Aktenvermerk. Das Drama ist inszeniert als modernes Herbergsspiel, das - man ahnt es - nicht im Dachboden des Hauses von Bocks Flüchtlingsprojekt im zweiten Wiener Gemeindebezirk enden wird.
Robert Newald
Das sind Zustände
Über die Diskrepanz, Menschen in existenziellen Notlagen ohne langes Nachfragen zu helfen und damit zugleich dem Staat seine verabsäumten Aufgaben abzunehmen, sprach Ute Bock in einem FM4 Doppelzimmer Spezial mit Elisabeth Scharang.
Die Darstellung des österreichischen Asylwesens in "Die verrückte Welt der Ute Bock" vermag nicht zu bewegen. Das österreichische Recht bietet seinen Vollziehenden Spielraum. Unter dem Reizwort Auslegungssache befetzen sich AsylhelferInnen und Behörden, zwischen die Paragraphen mischen sich Antipathien und Kaffeepausen. Doch in einem treffen sich Flüchtlingshelfer und Fremdenpolizei: ihre Beschwichtigungen gegenüber den betroffenen Menschen sind austauschbare Platitüden. "Es wird alles gut" und "Dir passiert nix", hört man da. Wohlgemerkt: nicht aus Ute Bocks Mund.
Den Großteil der 98 Minuten wird der Status Quo des Umgangs mit AsylwerberInnen imitiert. Danach ist man nicht klüger, auch wenn der Film streckenweise belehrend anmutet. Auf eine lenkende Off-Stimme wird verzichtet, umso emsiger jedoch setzt die Musik entweder mit getragener Melancholie oder pulsierenden Beats ein. Als Ute Bock kurzerhand einen Mops bei sich aufnimmt, der besitzerlos aufgefunden wurde, fragt man sich, was der Klamauk soll.
Peter Kern gibt einen Minister, Julia Stemberger verarztet. Josef Hader ist einer der besten Darsteller des Landes. Und Viktor Gernot nicht immer lustig. Der kann auch ganz anders. Das Elend hat viele Gesichter, und wie Gernot als Österreicher in Not verstohlen um ein Brot bei Frau Bock in die Tür fällt, öffnet sich die Thematik kurz einen Spalt.
Roland Düringer baut wieder. Der Kabarettist mimt einen, dem Bock "damals eine Wohnung 'checkt hat", und der sich jetzt ein Haus bauen lässt: von Asylwerbern, die vier Stunden die Woche legal arbeiten dürfen. "Und den Rest machen's Pause auf der Baustelle!", schmettert Düringer in seiner Rolle mit jenem Schmäh, der Gesetzesübertritte mit einem Grinser in jedem österreichischen Wirtshaus vom Tisch fegt. Und nicht nur dort. Es ist diese bezeichnende, bequeme Ambivalenz und Ignoranz, mit der man es vor allem mit sich selbst gut meint, die die gängige Praxis hinnimmt. In "Die verrückte Welt der Ute Bock" blitzt sie stellenweise auf.
Robert Newald
Längst müsste es um mehr gehen als um das Aufrollen von Einzelschicksalen wie in dieser Mischung aus Spielfilmebene und Dokumentation. Ein Sittenbild schafft Houchang Allahyari nicht, es bleibt bei der losen Verknüpfung ausgewählter Fälle. Woran liegen die Missstände, am System oder an der Willkür Einzelner? Sieht man "Die verrückte Welt der Ute Bock", würde man auf zweiteres tippen.
Allein: die Realität holt die filmischen Nacherzählungen beinahe wöchentlich in den Nachrichten ein. In den letzten drei Jahren drangen vermehrt Asylfälle in die Öffentlichkeit, Medien berichten über Flüchtlinge und ihre Kinder, die in "Heimatländer" abgeschoben werden sollen, die sie noch nie gesehen haben oder deren Sprache sie nicht sprechen.
"Die verrückte Welt der Ute Bock" läuft bereits in den österreichischen Kinos.
Die Debatte über die Asylpolitik ist bereits in Gang gesetzt. Doch davon merkt man in diesem Film leider nichts. Trotz des Aufgebots an Publikumslieblingen, deren Engagement man keineswegs als selbstverständlich ansehen sollte.