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Pia Reiser

Filmflimmern

8. 11. 2010 - 14:36

The terror, the terror

Zwei Schwestern, ein halbblinder Seher und ein Seitenscheitel-Dandy-Terrorist. "Die kommenden Tage" wirft einen Blick ins Europa des Jahres 2020 und da hat die Angst die Seele bereits halb verspeist.

Dass literarische und filmische Zukunftsvisionen Farbspektrums-technisch irgendwo zwischen "düster" und "finster" schwanken, hat Tradition. Dass der deutsche Film eine Zukunftsvision auf die Leinwand bringt, ist hingegen neu; der arbeitet sich eigentlich viel lieber an der deutschen Vergangenheit ab. Erster Weltkrieg, Nationalsozialismus, Wirtschaftswunder, RAF, DDR, Mauerfall und wieder retour.

2020 ist nur zwei Jahre von einer anderen imaginierten Filmzukunft entfernt. Richard Fleichers "Soylent Green" spielt im Jahr 2022

Regisseur Lars Kraume blickt mit seinem Familiengeschichte/Drama/Science Fiction-Fleckerlteppich "Die kommenden Tage" nach vorne. Zwischen 2012 und 2020 spielt sein Film, die Festung Europa hat endgültig dicht gemacht und die Schlüssel weggeschmissen. Die Flüchtlingsströme durchwandern Südeuropa, ein weiterer Golfkrieg bricht aus, in den Deutschland Soldaten schickt. Die Ressourcen werden knapp, im Supermarkt klaut man einander das letzte Milchpackerl aus dem Einkaufswagen, die Wohlstandsdemokratie liegt röchelnd in den letzten Zügen.

Kraume, der auch das Drehbuch verfasst hat, nimmt Krisenherde und Problemzonen der Gegenwart und dreht am Eskalationsrad. Die Zukunft, die er beschreibt, ist düster, aber vorstellbar. Rosig sind in dieser Dystopie nur die Bäckchen von Laura Kuper (Bernadette Heerwagen), die gemeinsam mit ihrer Schwester Cecilie (Johanna Wokalek) im Zentrum des Film steht; anhand der Schwestern aus einer Wohlstandsfamilie wird durchdekliniert, wie man auf derartige gesellschaftliche Um- und Zusammenbrüche reagieren kann: Rückzug und Revolte.

Bernadette Heerwagen und Johanna Wokalek in "Die kommenden Tage"

UNiversal

Das Modell "Rebellion" übernimmt Cecilie - allerdings weniger aus Überzeugung als aus Liebe zu Konstantin (August Diehl). Zunächst hoppelt sie ihm gutgelaunt zu Flashmobs hinterher, bei denen man einen saudischen Minister jagt, später folgt sie ihm zur Revoluzzerzelle "Schwarze Stürme", die zu härteren Bandagen als Flashmobs greift. Diehl regiert als verführerischer Mephisto, als Schickeria-Dandy, der mit Terrorismus liebäugelt, den Film. Und irgendwann auch beide Schwestern Kuper. Zuvor aber reißt sich der Film einen Haxen aus, um uns die Unterschiede der Schwestern auch wirklich erkennen zu lassen. Was an sich schon an Haarschnitt, Kleidung und Verhalten abzulesen ist, wird uns nochmal auf das Auge gedrückt.

Während Cecilie wilden Revoluzzer-Sex mit Konstatin und einem franszösischen Flashmobber hat, stiefelt Laura mit Hans (Daniel Brühl) durch die schönen deutschen Wälder; und der Hans, der bläst auf der Paarungspfeife, zwecks Vogelanlockung. Öko-Kollaps, Krieg, Ressourcenknappheit hin oder her, Laura will Kind und Familie, will die Keimzelle des bestehenden Systems bewahren und Dinge besser machen. In der Familie Kuper hängt der Haussegen nicht schief, sondern ist längst zu Boden gedonnert. Der Vater ist ein kalter Jurist, die Mutter angespannt, das Nesthäkchen Fipsi womöglich noch dazu nicht von Vater Kuper. Die drei Geschwister nennen einander Mäusi, das ist aber auch schon die einzige Form von Zuneigung und Zärtlichkeit, die zwischen den Familienmitgliedern herrscht.

Johanna Wokalek und August Diehl in "die kommenden tage"

Universal

Cecilie will weg vom Bürgertum oder eher: Sie will das Bürgertum gleich ganz weg. Die "Schwarzen Stürme", eine revolutionäre Zelle mit vielen Ideen, noch mehr Verbindungen ins Ausland und wiederum noch mehr Waffen im Geheimlabor, wollen einen Neuanfang. An der jetzigen Gesellschaft gibt es nichts mehr herumzudoktoren, da muss Dynamit her. In der Waffenkammer der Stürme, zwischen Salmonellengläschen, Pistolen und Bombenkoffern, flackert pathetisch der Neonröhren-Schriftzug "Capitalism Kills Love" und das ist nur der Eisberg eines viel zu symbolüberladenen Films, der schließlich auch noch den Rückzug zur Natur als einzigen Weg aus der Katastrophe (und der Festung Europa) sieht.

Im Kleinen (Familie) wie im Großen (Gesellschaft) werden ideologische Grabenkämpfe durchdekliniert und Zerfallsprozesse gezeichnet. Die Bilder und Geschichten, die Kraume dafür findet, sind zunächst interessant und packend, weil die gruselige Möglichkeit des Films fesselt, driften dann aber in eine Apokalypse light, von der einzig Hans, der langsam erblindet, bereits gewarnt hat. Ein blinder Seher. Hab ich die Symbolüberladenheit bereits erwähnt?

Daniel Brühl in dem Film "Die kommenden Tage"

Universal

Während für die bröckelnde bürgerliche Fassade und sogar für die Straßen Berlins, die sich in Zeltlager der sozial Schwachen gewandelt haben, was zur Folge hat, dass Restaurants Gitterzäune aufziehen und streng bewacht werden (die Festung Europa, die sich im Babuschkapuppen-Prinzip sich immer wiederholt) starke und für allem für den deutschen Film bemerkenswert neue Bilder gefunden werden, sind die "Schwarzen Stürme" ein Ausstattungsdisaster. Die Terror-Bobos wohnen in einem dunklen Atelierraum, über Bildschirme flackern im Dauerloop Logos großer Firmen und auf einem riesigen Touchschreen-Tisch kann man herrlich smooth Biografien von Anschlagsopfern herbeiklicken. Ein gemütlicher Ohrensessel im Eck und am Boden liegt Bärenfell. Ja, klar, man will tabula rasa mit der uns bekannten Zivilisation machen, das heißt aber nicht, dass man nicht auch mal gemütlich mit einem Glas Rotwein rumsitzen will.

Szene aus "Die kommenden Tage"

Universal

Neulich bei der NEON Redaktionssitzung

Früher oder später werden sich die Gucci-Guerrilleros selber aus dem Weg sprengen, ihr Aktivismus ist zu kurz gedacht und die Massen, die auf den Straßen protestieren, dienen ihnen nur als potentielle Märtyrer, mit deren Tod man die Lage eskalieren lassen könnte. Dass Kraume den Massenprotesten nicht mehr Platz einräumt bzw. in seinem Film Protest und Aktivismus mit Terrorismus verbunden sind, dem nur das Raushalten und der abschottende Rückzug ins Private gegenübersteht, ist eine der größten Schwächen des Films und macht den Regisseur letztendlich zu einem ähnlich unscharf sehenden, auf einem Auge Blinden wie seine Figur Hans. Die Destabiliserung der Gesellschaft ist im Grunde nur Staffage für ein Familiendrama um Liebe und Eifersucht, in dem die Frauenfiguren Augsburger-Puppenkiste-gleich an den Fäden tanzen, die Diehl als Konstantin zieht. Überhaupt Diehl: Es ist schon fast unglaublich, was man dem alles abnimmt. Sogar den Seitenscheitel-tragenden, Schopenhauer-zitierenden, fanatischen Kämpfer. Nach seinem Wimpernschlag-langen Auftritt in "Salt" tut es ganz gut, sich davon zu überzeugen, dass August Diehl immer noch der grandioseste Schauspieler ist, mit dem das deutsche Kino momentan aufwartet.

August Diehl in einem Labor; Szene aus dem Film "Die kommenden Tage"

UNiversal

Gefahr und August im Anzug

"Die kommenden Tage" läuft bereits in den österreichischen Kinos

"Die kommenden Tage" scheitert letztendlich an Überladenheit und Showdown-Pathos. Kraume wirft die richtigen Fragen auf, ist vierelorts zu lesen, das sehe ich nicht so. Kraume entwirft ein Angstmacher-Szenario und bietet den Rückzug als einzig mögliche Art an, damit umzugehen. Das ist als transportierte Idee in einem Film, der sich damit schmückt, politisch zu sein (und wie sagte US Kritiker Jonathan Rosenbaum letztes Jahr im Filmmuseum so schön, die Filme, die sich politisch auf die Fahnen schreiben, sind es so gut wie nie), letztlich ein Biedermeier-Appell und somit ein Graus.

Als Film aber ist "Die kommenden Tage" ein mutiger Ausbruch aus der gewohnten Sicherheit und Umgebung des deutschen Kinos, ein kleines Schielen in Richtung "Children of Men", ein ehrgeiziges Austesten von großen Posen und Gesten, ein Ausbruch aus dem Genrekorsett. Damit zu scheitern ist immer noch interessanter, als sich aus dem Erprobten erst gar nicht rauszubewegen.