Erstellt am: 6. 11. 2010 - 15:43 Uhr
Alles dreht sich, alles bewegt sich
Was wurde da nicht geätzt von den „"Wir haben Blair Witch und Cloverfield überlebt"-Zynikern, die sich letztes Jahr mit voller Kraft in einen 15.000 Dollar billigen Indie-Schocker verbissen haben, der bereits zwei Jahre im Limbo der Verleihlosen hing, bevor irgendein Mensch bei Dreamworks (es hieß, es war Steven „The Beard“ Spielberg höchstpersönlich) das Potenzial dahinter erkannt und „Paranormal Activity“ schließlich einen Kinostart ermöglicht hat. Es war eine zutiefst unorthodoxe und ungehörige Allianz verschiedenster Marktkräfte (inklusive der Endnutzer_innen, die via Internet den Film in ihre Stadt holen konnten), die in Hollywood einen Paradigmenriss verursacht und unter anderem das Großstudio Paramount dazu veranlasst hat, eine so genannte Mikrobudget-Abteilung in ihren Projektentwicklungsräumlichkeiten einzurichten, auf dass sich das billigstmögliche Schockwunder mit der unfassbaren Gewinnmarge ehestbaldig wiederholen möge. Was natürlich nicht eingetreten ist: Denn, wie man aus der Filmgeschichte gelernt haben sollte, „niemand weiß nichts“ und außerdem sind die schönsten Erfolgsgeschichten ohnehin unberechenbar.
Schatten
Paranormal Activity habe ich Anfang Oktober 2009 in Sitges gesehen, als noch keiner wusste, was sich dahinter versteckt. Und, ich gebe zu, er hat mich gekriegt. Auf Irritation folgte Skepsis, aber irgendwann habe ich einfach nachgegeben und mich gefürchtet, wie schon lange nicht mehr im Kino. Regisseur Oren Peli hat die Unmittelbarkeit und schleichende Drastik der Situation blitzgescheit auf die große Leinwand transportiert, die Textur der Digitalkamera sorgt für einen Grad an Intimität und Voyeurismusgefühl, der lackpolierten Großproduktionen fast zwingend fehlt.
Zur Erinnerung: „Paranormal Activity“ erzählt aus dem Leben des lähmend-faden, weil so durchschnittlichen Mittelschichtpaars Micah und Katie. Just als sie ihr neues Reihenhaus in einer typisch-amerikanischen Vorstadt beziehen, also mitten in der Norm hocken, hört für sie die Normalität auf: Gegenstände wandern selbstständig durch die Räume, nächtens hört man Klopf- und Stampfgeräusche, irgendwann findet sich sogar ein hufartiger Fußabdruck im Mehl, das die beiden ausgestreut haben, um den Geheimnissen auf den Grund zu gehen. Neo-Regisseur Peli setzt in seinem Debüt auf Irritations- und Überraschungseffekte, ohne das Mysterium jemals wirklich aufzuklären: „Paranormal Activity“ bleibt, und damit steht er nicht zuletzt in der schönen gotischen Schauertradition, ein Film der Schattenwürfe und Unsichtbarkeiten. Was passiert, spielt sich fast ausschließlich im Kopf des Zuschauers ab. Eine Kleinigkeit erfährt man dann doch: offenbar ist Katie schon als Kind von einem ähnlichen Phänomen geplagt worden.
Paramount
Cam Nation
An diesem Punkt schließt Paranormal Activity 2 an: angesiedelt mehrere Monate vor den Geschehnissen des ersten Films (und dem Tod von Micah), sind wir zu Gast bei Kristi, Katies älterer Schwester, die mit ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrem neugeborenen Sohn Hunter in einem luxuriösen Haus mit Pool lebt. Die Idylle wird allerdings von einer Reihe von Einbrüchen (der erfahrene Zuschauer weiß natürlich schon, dass es sich dabei nicht um konventionelle Einbrüche handelt) erschüttert, die die Familie veranlassen ein Set von Überwachungskameras installieren zu lassen, die (beinahe) jeden Raum des Hauses überwachen.
Universal
Diese begrenzte Anzahl an Bildmaterial (ganz zu schweigen von Bewegungen) gibt die Dramaturgie des Films vor: jede Nacht beginnt mit derselben Abfolge von statischen Panoramaaufnahmen, von der Einfahrt, vom Pool, vom Wohnzimmer, vom Vorraum. Man gewöhnt sich, wie schon in „Paranormal Activity“ zu schnell an diese dramaturgische Klammer, gewinnt langsam ein Gefühl für den Raum: nur so schließlich können die subtilen Irritationseffekte wirklich funktionieren. Ein Mobile bewegt sich von Geisterhand (dazu muss man wissen, dass es sich sonst nächtens nicht bewegt), im Spiegel vernimmt man einen dunklen Schatten, der Fernseher macht komische Geräusche, und – mein persönliches Highlight – der Pool-Reiniger steht jeden Morgen am Beckenrand, allerdings ohne dass ihn jemand heraus gehoben hätte.
Shock Corridor
„Paranormal Activity“ bleibt auch der dramaturgischen Strategie des Originals treu und setzt auf eine Melange aus Wiederholungen und momenthaften Überraschungen, während sich die Intensität kontinuierlich bis zum Finale steigert. Außergewöhnlich auch wieder die Manipulationen auf der Tonspur: die Anwesenheit der übernatürlichen Entität kündigt sich für gewöhnlich mit einem satten Bassbrummen an, die Abmischung der Audio-Effekte lässt die Geräusche jedenfalls in einem modernen Kino aus allen Ecken und Enden des Saals dringen.
Universal
Oren Peli, der Vater der – wie man mittlerweile sagen muss – „Paranormal Activity“-Franchise hat sich für die Fortsetzung auf den Produzentenstuhl zurück gezogen: dort scheint es ihm insgesamt gut zu gefallen, auch James Wans wunderbar-altmodischen Spukhausschocker „Insidious“, der im vergangenen September in Toronto seine Weltpremiere gefeiert hat, hat er schon mitproduziert. Als Regisseur von „Paranormal Activitiy 2“ agiert Tod Williams, Regisseur der John Irving-Adaption „The Door in the Floor“: sein Involvement war letztendlich eine Notlösung, denn Peli hatte eigentlich Saw VI-Regisseur Kevin Greutert verpflichtet, der von Lionsgate allerdings nicht aus dem Vertrag entlassen wurde – und nun Saw 3D inszenieren „musste“. Williams kitzelt den maximalen Effekt aus der Prämisse heraus: in vielerlei Hinsicht ist seine (weit kostspieligere) Variation auf den ersten Film diesem überlegen. Fans von den momentan äußerst populären Mockumentary-Schockern und des Originals können bedenkenlos ins Kino pilgern – und sich so richtig erschrecken lassen.