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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 11. 2010 - 16:49

Fußball-Journal '10-62.

"Vercoaching", part x hoch n. Und noch was zum neuen Mega-Trend "Resignationing". Und ein Ethik-PS.

Meisterschaft und Cup, das europäische Geschäft, das Nationalteam, der Nachwuchs, aber vor allem auch das hiesige Medienverhalten und die Wahnsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '10 begleitet die Saison ungeschönt.

Heute mit einer Analyse der vercoachten EL-Spiele von Rapid und Salzburg und ihren Ursachen, nämlich der Resignation des Systems und der Fortbildungs-Resistenz seiner Proponenten.

Und hier das FB-Journal vom 6.9. des Jahres, wo der Begriff Vercoaching eingeführt wurde.

Es ist auf- und augenfällig, selbst dem reflektiertem Teil des Medien-Mainstreams entging es nicht: über dem österreichischen Fußball schwebt eine Wolke in die "Wir haben aufgegeben!" reingemeißelt wurde.

  • Super-Investor 1 ist bereits ausgestiegen (und hinterlässt eine künftige Industrie-Ruine; die Schlauen sehen sich bereits in der Winterpause um); nicht ohne gleich Graz zu bedrohen.

Super-Investor 2 setzt lieber auf Deutschland und/oder Italien. Und gibt die Champions-League-Pläne auf.

Die beiden Europa-League-Starter haben sich mit der Aussichtslosigkeit ihrer Lage irgendwie schon vor den gestrigen Spielen abgefunden.

  • Die Austria muss ihren Stadion-Namen verkaufen, Kapfenberg in einer Reality-Soap mitwirken.

Die zweite Spielklasse siecht vor sich hin, während der ÖFB sogar eine dritte bundesweite Profi-Liga herbeifantasiert.

  • Ex-Teamspieler und andere Insider haben das Nationalteam in der Ära Constantini bereits aufgegeben.

Und junge hoffnungsfrohe österreichische Nachwuchs-Kräfte werden aktuell ausschließlich von nicht-österreichischen Vereinen produziert (nach Alaba und Co zuletzt Leitner, Schimpelsberger oder Büchel).

Herbst-Depression ohne Sinn und Ziel

Sich daraus eine veritable Herbst-Depression zu basteln ist an sich okay (trotz des bösartig guten Wetters aktuell...) - aber auch sinnlos und vor allem undurchdacht.

Denn es steht diesen Greulichkeiten auch einiges Gute entgegen.

Die bevorstehende Abkehr der Alleinherrscher-Mäzene wird ebenso wie das Zurückfahren der Ambitionen von Mittelständlern einen angenehmen neuen Realismus einbringen, die ökonomische Ausdünnung bei den unteren Chargen könnte mittelfristig zur rettenden 16er-Liga führen, und dann wird sich das Nachrücken der Jungen wird sich auch wieder vermehrt im eigenen Land abspielen.

Außerdem ist Österreichs Fußball eben nur Mittelklasse, seit Jahrzehnten und auch im Sport kann man sich der Krise der Mitte nicht entziehen; wie auch?

Das aktuelle Spiel mit der Resignation entstand ja nur durch überzogene Ansprüche und Selbsttäuschungen durch einzelne Resultate. Im Kern, in der Substanz (in Liga, Verband, Vereinen, Umfeld, Medien) befindet sich der heimische Fußballsport weiter im Stadium der inhaltlichen Verrottung.

Fischköpfe

Und die äußert sich aktuell am Deutlichsten in der Inexistenz von Analyse, in der Unfähigkeit etwas mit den empfangenen Signalen anzufangen, Spiele und Geschehnisse zu lesen, zu deuten und die Erkenntnisse dann umzusetzen.

Im allgemeinen Trend-Klima des Resignationings entfällt sowas wie Analyse eh gern, da Tritt sofort die Apathie, die man in Österreich für den Bruder der Analyse hält, auf den Plan

Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken, bei Verantwortlichen, die Menschen einsetzen, die mit ihren Namen und Schmähs blenden, aber sportlich/fachlich nichts zu bieten haben und einen guten Job im Ö-Fußball mit der sofortigen Einstellung jeder Anstrengung von Weiterbildung quittieren.
Was dann Coaches hervorbringt, die es oft im Alleingang vergeigen, ihr Versagen dann aber als quasi gottgegebenes Schicksal hinstellen anstatt sich deutlich mit den modernen Ansprüchen des Spiels auseinanderzusetzen.

Wie etwa gestern die beiden Euro-League-Starter, die es durch ihre Wechselentscheidungen/maßnahmen verpatzt haben; was wiederum eh wurscht ist, weil es kaum jemand gesehen hat; was damit zu tun hat, dass sich hierzulanden kaum jemand ums Spiel selber kümmert; was wiederum damit zu tun hat, dass hier die Medien katastrophalst versagen.

Schaun wir uns also kurz an, wie das gestern abend in Turin und Wien war.

Tatort Turin

Hier die ausführliche Spielanalyse von ballverliebt.eu.

Luigi del Neri kann gerade 10 richtige Serie A-Spieler aufbieten - der Rest (auch der junge Herr Büchel) stammt aus der Primavera, die anderen sind verletzt, nicht spielberechtigt oder nicht EL-gemeldet. Simone Pepe muss Linksverteidiger spielen, in dieser Formation zusammengespielt hat das klassische 4-4-2 noch nie.

Huub Stevens setzt dem sein Allheilmittel entgegen, das letztlich einzige, was er hat - sein 4-1-4-1. Da die beiden "offensiven" Parts im Mittelfeld diesmal von Mendes (einem 6er) und Pokrivac belegt werden, erinnert die Formation an die Mittelfelder des alten Trap (Carboni, Kovac und Aufhauser, wer diesen Schrecken noch gegenwärtig hat...). Da der rechte Flügel komplett ausfiel und nur der linke (Jantscher im Kampf mit seinem Formtief) ansatzweise funktionierte, kam keine Offensive zustande - wie auch?

Nun sind Fehler dazu da, dass sie durch Wechsel korrigiert werden. Und da zeigt sich dann, wer ein richtiger Trainer ist, und wer nur ein Maradona oder Krankl, also ein Ex-Spieler, der's nicht kapiert hat.
Stevens macht den Maradona und wechselt dreimal exakt im System, bringt zu spät Leitgeb für Pokrivac (was aufgrund des dann schon eingefahrenen Spiels nix mehr ändern kann), jund noch später den noch defensiveren Augustinussen für den defensiven Mendes.

Er ändert nicht nur nichts, er zeigt mit diesen Wechseln auch: alles so wie bisher.
Ein fatales Signal mit ebensolcher Wirkung.
Salzburg verpasst die recht einmalige Gelegenheit Juve zu zwicken und ist de facto ausgeschieden.

Ich will hier jetzt nicht dem Salzburger Super-Investor das Wort reden und einfach von "mehr Offensive" schwätzen, wie er das aktuell in einem Interview mit der Kleinen Zeitung das naive Lied von den zwei Sturmspitzen trällert; so einfach ist es nämlich nicht.

Das Beispiel am Tatort Turin ist nur eines von dutzenden der letzten Monate: Huub Stevens hält starr an Gewohntem fest - ist aber mittlerweile geistig so bewegungsresistent, dass anderes/neues nicht einmal mehr angedacht oder ausprobiert wird. Zu viele nicht mehr erreichbare Erfolge (UEFA-Cup, deutsche Bundesliga) und der sumpfige Einfluss Österreichs haben in diese Starre geführt.

Obacht: Salzburg hat das gestrige Spiel nicht nur wegen des Nicht-Handels von Stevens nicht gewonnen. Es kamen auch andere Faktoren dazu. Aber geistige Unbeweglichkeit zieht immer auch körperliche nach sich.

Tatort Wien

Noch schlimmer ist das alles im Fall von Rapid Wien/Peter Pacult. Da kommt zur muffigen Uneinsichtigkeit, zur Abscheu vor jeder geistigen Beschäftigung auch noch der Rückzug auf den Hausverstand dazu, den Arthur Einöder heute so elegant und treffend als Basiswapper-Phänomen gezeichnet hat. Das Hochrechnen von Selbsterlebten als Tellerrand der Beschränkung.

Auch bei Rapid klappt vieles nicht - klar, Pacult hat wieder auf das müde 4-4-2 zurückgegriffen, anstatt das in der EL bisher halbwegs gute 4-2-3-1 zu prolongieren.
Auch weil die, die nicht über die fußballtaktische Tafelklasslerei hinausgekommen sind, das für "offensiver" also "besser" halten, Gehör fanden. Dazu später mehr.

Weil das Loch zwischen Mittelfeld-Zentrale (=Defensive) und Angriff zu groß war (im Fall von Juve, die dasselbe System spielten, stopfte dort Del Piero, zudem ist Sissoko eben ein moderner Mittelfeld-Zentraler und kein Heikkinen) und weil ZSKA Sofia mit einer Art 4-2-4 äußerst druckvoll dagegenhielt, kam kein Rapid-Spiel zustande - und nicht wegen der Absenz von Hofmann, der allzu oft in Europa trotz Anwesenheit auf dem Platz ausgesprochen absent war (erinnert sich jemand an die Hapoel-Spiele?).

Nun sind Fehler im Spielsystem dazu da, dass sie ein Trainer durch Wechsel und Umstellungen korrigiert.
Nun ist Peter Pacult diesbezüglich durchaus mehr Coach als Stevens, und rein gar kein Maradona: er reagierte und stellte um.

From bad to worse

Das WIE seiner Umstellung allerdings ist derart vielsagend...
Also: in der 68. nahm Pacult Nuhiu und Katzer vom feld und brachte Gartler und Trimmel. Er löste die Vierer-Abwehr auf und platzierte Kavlak in die Mitte (wo er, wir erinnern uns an Pacults Kritik an Constantini, "nix zu suchen hat" - gemessen an dieser Aussage spielt er recht oft dort; aber was interessiert einen Pacult sein Geschwätz von gestern.

Rapid spielte nun mit einem 3-2-3-2, das sich auch nicht änderte als in der 83. Minute Andi Dober für Pehlivan kam. Dober, an sich ein rechter Verteidiger, wurde ins zentrale Mittelfeld gestellt, und sollte Weitschüsse abgeben bzw alle Freistöße schießen.

Nominell, wir erinnern uns ans oben besprochene Mateschitz-Dogma, ist dieses 3-2-3-2 deutlich offensiver als das anfängliche 4-4-2.
Allerdings nur dann, wenn man nicht denken kann.

Denn: mit der Umstellung auf die 3er-Abwehr beraubte sich Pacult ganz ohne Not und eigenhändig gleich selber zweier Angriffsspieler. Bei einer Vierer-Abwehr moderner Prägung sind die Außenspieler nämlich die ersten und vielleicht sogar wichtigsten Aufbauspieler der Offensive (international durch viele Ballkontakte gesegnet), und rücken rechts bzw links bis an die gegnerische Torlinie vor. Die neue Rapid-Dreier-Abwehr mit Sonnleitner - Soma - Kayhan allerdings stand ab der 68. Minute auschließlich hinten herum, setzte keinen einzigen Akzent mehr nach vorne, spielten so, wie das Pacult noch aus seiner aktiven Zeit gewohnt war; eine Zeit, deren Denke er immer noch mit sich herumträgt und in den entscheidenden Momenten rauskommen läßt wie den kleinen Alien aus der Bauchhöhle.

5-0-5

Weil Pacult auch die Zweier-Defensiv-Zentrale im Mittelfeld nicht wirklich auflöste, zerfiel das Rapid-Spiel der letzten 25 Minuten in eine Art 5-0-5. Abwehr und Mittelfeld-Zentrale sicherten ab und schickten Longpasses nach vorne, wo sich fünf Offensive zerspragtelten und an acht Gegenspielern zerschellten.

So ein Blödsinn kann nur passieren wenn man a) als Coach einfach nicht verstanden hat, was ein Außenverteidiger ist bzw b) die Milchmädchen-Rechnung dass fünf Offensive besser wären als nur vier über ein Denken im Gesamt-System stellt.

Ein PS zum Vercoaching-Kaiser und Dilemma-King Frenk Schinkels. Hier, in einem Journal vom 2.8. ist die Rede von seinem hooliganistischen Amok-Lauf übers Spielfeld um einen Schiedsrichter als Roitzpipn zu bezeichnen, was dem populistisch angestochenem Holländer den Beifall dumpfer Stammtische einbrachte.

Dieser Tage, drei Monate später, erging das Urteil der Bundesliga-Ethik-Kommission, die sich mit diesem Auszucker beschäftigt hatte: Drei Seiten Begründung, 500 Euro Verfahrenskosten, 2000 Euro Strafe, kumuliert mit der sofort ausgesprochenen Strafe des Senat 1 macht das 5000 Euro. Das ist ein Urteil, dass Schinkels dem Vernehmen nach weh tut.

Interessant daran ist, dass die Liga diese durchaus nicht undedeutende Tatsache nicht öffentlich aussendet oder bekanntgibt, sondern unter der Tuchent hält, also Angst vor der eigenen Courage hat und vor dem Hausverstand/Populismus und Basiswapplertum klein beigibt. Die Rechnung dafür wird man bei der nächsten enstprechenden Aktion präsentiert bekommen. Mahlzeit!

Punkt a) wird von Pacult übererfüllt. Sein Verhalten was die Rapid-Außenverteidiger der letzten Jahre betrifft (Dober, Thonhofer, Palla, Plassnegger...), sein immer wieder zutiefst zutagegetretenes Unverständnis dieser Position gegenüber, sprechen Bände.
Punkt b) ist genauso evident. Da ist Pacult aber nicht alleine schuld - diese Dummheiten sind in Österreich Common Sense, jeder Experte (= fleischgewordene Parodie auf beschäftigungslose oder "lustige" Ex-Spieler ohne Blick für den Gegenwarts-Fußball) betet diesen Schwachsinn undurchdacht nach.

Obacht: Rapid hat das gestrige Spiel nicht nur wegen des Vercoachings von Pacult verloren. Es kamen auch andere Faktoren dazu. Aber: das falsche System in der Schluß-Phase hat schon ordentlich seinen teil dazu beigetragen.

Vercoaching führt direkt zu Resignationing

Noch viel dümmer als der schlimmste Coaching-Fehler (denn der ist morgen nur noch Makulatur - Fußball lebt immer nur in der Gegenwart und man kann alles ver/ausbessern) ist das, was aktuell folgt bzw gefolgert wird. Die aktuelle Depression und Resignation. Dass es eben nicht anders oder besser gehen würde, man an eine gläserne Decke anstößt.

Weil die kontrollierenden Medien keine Idee haben oder sich aus falsch verstandenener Kameraderie (man wäre ja eine Familie, eine Branche und so, eine Krähe hackt der anderen kein Suge aus und überhaupt...) nicht mit den Fehlern beschäftigen, sieht es tatsächlich so aus, als wäre man "eh sachon" am Plafond angelangt.
Mitnichten.
Taktische Fehlleistungen wie die der beiden gestrigen EL-Starter sind zwar österreichische Normalität (weil hierzulande die Minderleistung schon als toll akklamiert wird) in Richtung Europa ist da aber noch eine Menge Luft.
Hätten die beiden Mannschaften etwa richtige Trainer, echte Coaches, die wissen, dass sie sich im Jahr 2010 befinden und nicht immer noch im Jahr 97 bzw 85 leben, dann würde sich schon einiges bessern.

Und sowohl das andauernde und peinliche und nervige Vercoaching als auch das grausliche Resignationing wär dann vorbei.