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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

9. 11. 2010 - 16:43

Das Produkt Pop

Das Festival styrianstylez versammelt heimischen Gegenwartspop. Und stellt die Frage: Kann Musikmachen je mehr sein als ein Hobby auf hohem Niveau?

styrianstylez präsentiert bereits zum dritten Mal eine jährliche Werkschau des popmusikalischen Schaffens in der Steiermark. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und querbeet durch Genres. 11. - 13. November, Graz.

Für die erste Auflage ihrer Demo-EP hat Veronika Muchitsch Stofftaschen als Merchandise genäht. Die Zwanzigjährige spielte vor einem Jahr ihr erstes Konzert auf einem kleinen Festival, das Freunde organisierten. Diese Woche tritt die Sängerin und Musikerin bei styrianstylez auf. Wie Bunny Lake, The Incredible Staggers oder EFFI. Unter den drei Dutzend Bands ist auch Neodisco: die drei jungen Männer haben in ihrem ersten Bandjahr so oft live gespielt, dass ihnen seit Kurzem eine Branding-Spezialistin die Booking-Arbeit abnimmt. Im Maturajahr oder neben Jus- und Molekularbiologiestudium wurde die Zeit für die Musik knapp.

Doch kann Musikmachen je mehr sein als ein Hobby auf hohem Niveau?

Parallel zu Styrianstylez findet diese Woche das "Music Camp Graz" statt: In Vorträgen und Meetings will die Veranstaltung den Fokus auf Musikwirtschaft richten. Für zwanzig(!) Euro kann man das gesamte Programm des Music Camp Graz besuchen. Christoph Riebenbauer organisiert die Veranstaltung. Mit sechzehn stellt er die ersten Konzerte für befreundete Bands auf, spielt früh selbst in einer Band und "wollte immer außi“. Mit dem Music Camp Graz will der Musiker, Musikmanagement-Absolvent und Experte für Punk bis New Noise bei FM4 die Professionalisierung hierzulande forcieren.

Christoph Riebenbauer

Matthias Heschl

„Popmusik muss als Produkt begriffen werden“, sagt Riebenbauer. Graz hat eine Größe, in der alle popmusikalischen Szenen existieren. Man kann aber nicht zehn Mal im Jahr in der Landeshauptstadt und Umgebung spielen. „Das soll man auch gar nicht“, sagt Stefan Auer, der das springfestival sowie das styrianstylez veranstaltet. „Die Leute sollen möglichst viel woanders auftreten. Heutzutage muss man sich sein Publikum erspielen, live und über Promotionmöglichkeiten.“

Diese Woche beginnt in Graz auch das Planet of Sound, die Konzertreihe tarnt sich als Festival. Veronika Muchitsch wird am 24. November vor Scout Niblett eröffnen, die tags darauf beim Bluebird Festival in Wien zu hören sein wird.
Los geht das Planet of Sound Festival bereits heute:
9. November, mit Emily Jane White und der Kanadierin Picastro. Am 26. November zu sehen: Joan of Arc, Love of Everything und M185.

Wenn sich uns Favela Gold, Sawoff Shotgun und Fiago als stylishes, kompaktes Packerl in einem Hybrid aus Werbe- und Musikvideoclip als Gruß aus einem Grazer Modehaus schicken, ist das begrüßenswert. Zumal nicht nur die MusikerInnen davon profitieren, sondern das auch einen Auftrag mehr für andere Kreative bedeutet. Von einem Sell-out ist derartige Werbung im Doppelpack Lichtjahre entfernt, und dieses Umdenken zieht - leider - auch nicht unbedingt ein Sold Out des nächsten Konzerts nach sich. Fakt ist: es gibt MusikerInnen, die aus der Steiermark kommen, die ihr Tun und Schaffen als Beruf ausleben. "Anja Plaschg beispielsweise, und sie hat ein gutes Management. Vor kurzem hat sie einen Werbespot für einen amerikanischen Autohersteller vertont. Solche Aufträge sind wichtig für Musiker heutzutage", so Christoph Riebenbauer. Die zentrale Frage lautet: Wo kannst du als MusikerIn Wertschöpfung generieren?

Das physische Produkt Musik war in den Siebzigern und Achtzigern im Vordergrund. „Die nächste Generation wächst mit Musik über das Handy auf. Musik ist etwas, das man gratis kriegt“, fasst der 31jährige die Entwicklung kurz. Wie lässt sich damit jetzt Geld verdienen? "Du musst dein Produkt so gestalten, dass es Wertschöpfungsquellen mit sich zieht."

Still aus einem Werbemusicclip. Die drei Frauen von Sawoff Shotgun liegen in einem engen Regal.

ShotShotShot

Sawoff Shotgun, verschachtelt von ShotShotShot.

Selbstverwertung

Aufnahmen wollen finanziert sein. Mit dem Prinzip Homerecording fährt Veronika Muchitsch derzeit ziemlich gut. Ihre Demo-EP hat sie mit StudienkollegInnen der Musikologie in wechselnden Wohnzimmern aufgenommen. Auf dem Cover steht schlicht ihr Name und "Demosongs". Viele Freunde spielen in Bands, man nimmt gemeinsam auf, schreibt neue Leute an. "Wenn man einmal in dieses Netzwerk hineinstolpert - Graz ist nicht groß", sagt Muchitsch dazu, wie ihr aktueller kleiner Konzertreigen zustande kam. Minimalistisch gehalten sind ihre Klavierlieder und beeindruckend einnehmend.

Mit fünfzehn hat sie die ersten Lieder komponiert und Freunden vorgespielt. In den nächsten Monaten möchte Muchitsch intensiver aufnehmen, eine weitere EP fertig stellen. Die erste mit sechs Songs geht bereits in die nächste Auflage. Zurzeit läuft das One-Woman-Unternehmen fast wie von selbst. "Spielt man mehr und mehr, wird einem bewusst, dass es eine gewisse Trennung von der eigenen Person benötigt, um es richtig anzugehen", bemerkt Veronika Muchitsch.

Sängerin und Musikerin Veronika Muchitsch versteckt ihr Gesicht unter einem Arm, auf dem drei Muttermale zu einem Farbstift-Tattoo verbunden sind.

Veronika Muchitsch

Kein Tattoo, sondern zwischen Muttermalen gezogene "Patterns" auf Veronika Muchitschs Arm.

"Kreativer Musiker sein und davon leben können? War nur ein kurzer historischer Zufall. Vergiss es."
Martin Blumenau über unabhängige und massentaugliche Qualitäts-Musik. Und Parallelen in der Entwicklung des Qualitäts-Journalismus.

Bye, Indie, bye-bye

Der gelobte und beherzt betretene Indie-Weg führte und führt nicht selten in ein tiefes Rot auf Privatkonten. Und während die Abwehrhaltung gegen die Major Labels in den Neunzigern mit gepflegter Bohemian-Attitüde hoch gehalten, in kleinen Kreisen zelebriert und in wenigen Fällen auf breiter Ebene aufgegriffen wurde, war sie vielleicht nicht mehr als ein Ausweg, der sich als Sackgasse erwies.
Eine Zeit lang geht’s gut, am Ende entpuppt sich die erhoffte Unabhängigkeit im Wohnzimmer-Ministudio als ein Ressourcen-fressender Selbstbetrug. Inzwischen haben auch viele der kleinen Labels dicht gemacht. Stefan Auers Zeiger Records existiert noch, defacto. Das Plattenlabel ruhen zu lassen, war eine bewusste Entscheidung. Kann man mit Live-Veranstaltungen eher überleben denn als Labelbetreiber? Definitiv. “Die Verkaufszahlen sind irgendwo, und als Label verdient man nur noch Geld mit Lizensierungen für Fernsehen, Film und Werbung. Heute lädt man sich einen Track um €0,99 herunter, früher hat sich man das ganze Album gekauft. Es gibt soviel Gratis-Musik im Internet, man hat keinen Grund, viel zu kaufen“, sagt Auer - nur zur Erinnerung.

Neodisco stellten ihr erstes "Album" ins Netz, dort kann man es nach wie vor gratis herunterladen. Produziert wurde es auf eigene Kosten. "Theoretisch könnte man es auch kaufen", sagt der zwanzigjährige Niko. Mit seinem jüngeren Bruder Sebastian und Schulfreund Georg macht der Jus-Student "Hip House". Mit Gitarre, HipHop-Einflüssen und Bass Drum. Die Tracks für das zweite Album sind bereits fertig. Dieses Mal will das Trio die Vermarktung bewusster angehen. "Wenn du wirklich eine CD hast, ist das auch cooler als ein 'Lad's runter!'".

Die drei Burschen von Neodisco sitzen jeder in einer Art Regal und haben ihr Instrument am Schoß.

Neodisco

Management Skills

"Gratis und doch ein Geschäft?" - Freemium-Geschäftsmodelle im Musikbusiness sind ein Thema beim ersten Music Camp Graz. Neben Workshops zu Booking und Eigenmarketing.

Um die Promotion und Bookingarbeit für Neodisco kümmert sich die gebürtige Isländerin Hella G. Mixa. In Perth studiert sie Design, in Reykjavík eröffnet sie ihre Werbeagentur, zieht nach Nordirland und dann nach Wien. Beim springten entdeckt sie Neodisco. Businessplan gibt es keinen, vertragliche Vereinbarungen sehr wohl. Mixa steht zu "einhundert Prozent hinter den Burschen. Ich weiß, das klingt wie eine Trainerin". Erwartungen gehen in Etappenziele über, nach Auftritten im Inland soll das Ausland folgen und ein Plattenvertrag.
Dass Niko, Georg und Sebastian von Kindesbeinen an Instrumente spielen und ins Musikgymnasium gingen, erinnert Hella G. Mixa an Island. "Wenn es draußen finster ist über den Winter, macht man entweder Kunst, Musik oder schreibt. Die Isländer lesen wahnsinnig viel. Nach Weihnachten ist meist die erste Frage: welche Bücher hast du gelesen?" Wie hoch sind die Erwartungen an Erfolge? "Die untere Grenze ist null und die obere unendlich."

Veronika Muchitsch mag sich keine großen Illusionen machen, sagt sie. "Aber ich freu mich irrsinnig, wenn sich etwas ergibt. Wirklich daran zu denken, davon leben zu können, ist so weit weg. Und ich glaube, das ist ein guter Zugang. Gerade in Österreich."

Gegenwartspop als Export

Den Hinweis auf die Größe des Landes lässt Christoph Riebenbauer als Argument nicht gelten. Wie ist es möglich, dass Schweizer HipHopper 30.000 Alben in der Woche verkaufen? Der vorsichtige Zugang zu Zukunftsperspektiven hierzulande sei oft darauf zurückzuführen, dass die Eltern-Generation die Branche nicht akzeptiert. „Bei uns leben nur MusiklehrerInnen oder klassische Musiker, Oboenspieler beim Bundesheer von der Musik. In Schweden oder England sieht es anders aus.“ Eine strukturelle Stärkung beginnt mit Bewusstseinsschaffung, und die impliziert ein Berufsbild. „Und nicht Musik auf Lehramt“, sagt Riebenbauer.

Einen Fachhochschullehrgang zu Popkultur am Standort Graz kann sich Stefan Auer gut vorstellen. Was man da lernen soll? "Popstar sein." Der trockene Humor ist durchaus ernst gemeint. Ausbildungen musikalischer Art bis hin zu Managementkenntnissen von Musik, Label und Eventorganisation fehlen. Wichtig ist ein klares Bekenntnis der lokalen Politiker zur jungen Popkulturszene, findet Auer: "Es geht nicht darum, MusikerInnen von Förderungen abhängig zu machen. Sondern um gezielte Impulse wie kontinuierliche Fortbildungen das Jahr hindurch zu bieten." Ob die Unterstützung aus dem Kulturbereich oder unter Wirtschaftsförderung läuft - Hauptsache, sie passiere. Das Music Camp Graz wird in Kooperation mit Creative Industries Styria von Riebenbauer realisiert. Wenn eine Reihe von Acts und Bands arbeiten kann, wirke das mit der Zeit.

styrianstylez eröffnet am 11. November bei freiem Eintritt im p.p.c., Graz

Nicht zuletzt birgt das gegenwärtige Talent ein Potential als Wirtschaftsfaktor und weltweiter Werbung für das Land.