Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "30 Jahre cooles Wissen"

Michael Schmid

produziert Texte und Radiobeiträge für Connected, Homebase & Im Sumpf

7. 11. 2010 - 13:02

30 Jahre cooles Wissen

Spex - das Magazin für Popkultur - verschwendet seit drei Jahrzehnten seine Jugend an Musik und Theorie.

"Anfang der achtziger Jahre war die Spex eine Zeitschrift von ausgemachten Arschlöchern für ausgemachte Arschlöcher. Jeder, der Studierende und ihren Habitus hasste, sah das so; jeder, der angewidert war von seinen kumpelhaften SPD-wählenden Lehrern und von den Ortsvorsitzenden der Jungen Union; jeder, der nicht in Köln, Hamburg, Düsseldorf, West-Berlin oder Frankfurt wohnte und nicht die hippe Szenebuchhandlung, die angesagte Galerie oder den legendären Plattenladen um die Ecke hatte. […] Arschlöcher halt, Söhne und Töchter just jener verhassten SPD-Lehrer, Leute, die das dicke Taschengeld hatten und irgendwie den Riecher für das, was dann bald schwer angesagt, man sagte damals: »wichtig« wurde. Das war das coole Wissen." Jungle World 34/2005

Eine musikalische Zeitreise durch "30 Jahre Spex" mit Diedrich Diederichsen, Max Dax und Didi Neidhart gibt es am Sonntag, 7.11. ab 21:00 bei FM4 Im Sumpf zu hören.

Die linke Wochenzeitung aus Berlin schickte der Spex damals keine Blumen zum 25. Geburtstag. Stattdessen gab’s Klassenkampf und die Totalabsage an das, mit dem das Magazin immer wieder in Zusammenhang gebracht wurde: cooles Wissen. Aber welches Wissen darf sich überhaupt den coolen Trenchcoat der Distanziertheit umhängen? Ist es eine Form von Szenewissen, subversiver Theorie oder eben doch nur Style-Code des angepassten Bürgertums rund um die verhassten Kinder der SPD-Lehrer? Jedenfalls scheint cooles Wissen ein Problem zu sein, zumindest für die Jungle World. Nichtsdestotrotz feiert Spex heuer seinen 30. Geburtstag.

Cover: Spex Magazin 9/80, Gesicht schwarzweiß

Spex

Das erste Spex Cover

No Fanzine

Damals, als der deutschsprachige Underground beim Tanzen sein Bier zu den NDW-Sounds von Fehlfarben, Malaria oder D.A.F. verschüttete, da ahnte noch niemand, dass Pop einmal an Akademien unterrichtet werden würde, und dass das coole Wissen ganze Fakultätsbibliotheken füllen würde. Damals, im September 1980, als Gonzo-Journalismus relativ neu und die linke Schreibe in der Post-RAF-Depression lag, gründete ein achtköpfiges Kollektiv die Zeitschrift Spex. Der Wunsch nach einer selbstverwalteten linken Gegenöffentlichkeit war groß und Spex wurde zu einem der einflussreichsten Medien für die Popmusik ihrer Gegenwart.

Die Gründer_innen: Miki Synuga, Gerald Hündgen, Wolfgang Burat, Clara Drechsler, Christof Pracht, Bernhard Schaub, Peter Bömmels, Wilfried Rütten. Foto: __Wolfgang Burat(http://wolfgangburat.de)

Wolfgang Burat

Die Gründer_innen: Miki Synuga, Gerald Hündgen, Wolfgang Burat (Foto), Clara Drechsler, Christof Pracht, Bernhard Schaub, Peter Bömmels, Wilfried Rütten.

Schwarzweiß, aber immerhin schon gedruckt. Die technische Entwicklung Anfang der 1980er Jahre machte den Offsetdruck erschwinglich. Und die Spex-Gründer_innen, die sich regelmäßig in Kölner Clubs wie dem Blue Shell trafen, wollten mehr als ein klassisches Fanzine. So geht zumindest die Legende. Innerhalb einer Szene, die sich selbst als Underground begreift, verbreitete sich das junge Popblatt schon 1981 im gesamten deutschsprachigen Raum. Spex schloss die Lücke, die nach dem Ende der Zeitschrift Sounds entstanden war, und wurde Sprachrohr für New Wave und Postpunk. Mit einer keimenden Liebe zur Poptheorie, die, so wird sich später zeigen, zum wichtigsten Merkmal von Spex heranwuchs.

Material Girl

1983 dann schon der erste große Coup. Eine 25-jährige Musikerin aus Detroit mit dem Namen Madonna nahm ihr Debütalbum auf. Und Lothar Gorris führte für Spex eins der ersten Interviews mit dem Pop-Sternchen aus den USA. Ob es das erste Interview in deutscher Sprache war, oder gar weltweit, darüber herrscht Uneinigkeit. Texte wie diese sind jedenfalls Schlüsselmomente in Erzählungen des Pop. Und auch wenn sie zufällig passieren, produzieren sie im Nachhinein trotzdem so etwas wie Relevanz. Der erste Mythos war geboren. Zwar ist weder Madonna dadurch bekannter geworden, noch Spex, aber immerhin konnte man sich im Nachhinein davon erzählen.

Berührungsängste mit den ganz großen Acts kennt man bei Spex kaum. Obwohl sich die Kundschaft ganz eindeutig in einem linken, gegenkulturell informiertem Underground-Eck verortete, wurde trotzdem immer wieder über die Stars des Kommerz berichtet. Im Unterschied zur konventionellen Musikberichterstattung aber mit dem Fokus auf Analyse und Reflexion, die zu zentralen Kategorien im Schreiben über Musik wurden.

Fight The Power

Ende der 1980er Jahre kam es mit Bands wie Public Enemy, Run DMC, De la Soul oder den Stereo MCs zum Durchbruch des Hip Hop. Und auch in der Spex Redaktion wurde umgebaut. Die Zeitgeistfraktion, die das Magazin eher in Konkurrenz zu Blättern wie "Tempo" oder "Wiener" sah, verlor gegenüber einer eher politisch, diskursiven Fraktion an Bedeutung.

Es kam die Zeit der Cultural Studies. Mit dieser neuen Art der Kulturwissenschaften aus dem angloamerikanischen Raum begann sich die akademische Welt immer mehr mit Alltagsphänomenen zu beschäftigen und die Spex immer mehr mit Kulturwissenschaft. Dinge wie Rassismusforschung, Filmtheorie und die Soziologie der Subkulturen rückten in den Fokus der Zeitschrift. Dem damaligen Chefredakteur Diedrich Diederichsen wurde die Rolle der Cultural Studies erst später so richtig klar: „Als man in den Jahren '92, '93, '94 so nach und nach begriff, welcher Herkunft die ganzen Texte waren, die man so las, gab es eine Idee von einer alternativen akademischen Kultur, eine Art ‚another academia’. Das kursierte.“

Diederich Diederichsen ist Universitätsprofessor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Tom Holert ist dort Professor für Epistemologie und Methodologie künstlerischer Produktion. Und Mark Terkessidis ist mit dem Konzept Interkultur als Rassismusforscher sehr erfolgreich.

Als Ort dieser Alternativen Akademie galt die Spex. Der Untertitel des Magazins hieß ab 1993 nicht mehr "Musik zur Zeit", sondern "Magazin zur Popkultur". Und das Klischee des Spex-Redakteurs, der neben einem Stapel Suhrkamp-Büchern an der Bar stand, um darüber zu diskutieren, bestätigte sich. Irgendwann wurden diese Bücher aber dann nicht mehr nur unter dem Arm getragen, sondern selbst geschrieben. Einige wichtige Buchtitel in der deutschen Poptheorie wie "Yo Hermeneutics", "Loving the Alien", "Globalkolorit" oder "Mainstream der Minderheiten" gehen auf das Konto der Spexredaktion der 1990er Jahre. Auch zu anderen kulturwissenschaftlichen Magazinen hin, wie etwa Texte zur Kunst, begann die Redaktion auszufransen. Ein Großteil der Autor_innen von damals hat mittlerweile in der Wissenschaft Fuß gefasst.

Cooles Wissen

Das coole Wissen war also fortan nicht mehr nur dort angesiedelt, wo es nach Schweiß und Körper roch, sondern tendenziell auch da, wo das Bürgertum tagte. Der Begriff des coolen Wissens stand schon länger im Raum, als er es 1994 auf das Cover des Spex geschafft hat - gemeinsam mit den Beastie Boys, die dort in der Titelgeschichte anlässlich des Erscheinens ihres Albums "Ill Communication" für ihren ganz speziellen Riecher gehuldigt wurden, als sie 1986 das "definitive Crossover zwischen Hip Hop, Heavy Metal und Budweiser launchten." Vor allem aber weil sie (ganz im Sinne der damaligen Spex) die Einheit zwischen Mode, Musik und Politik beackerten, sich für alle "alle Aspekte von Youth Culture interessieren" und weil sie an "Separatismus glauben, und doch zu allen Sprechen zu wollen." Die Beastie Boys hätten es, das coole Wissen, meinte Mark Terkessidis in Spex Nummer 163.

Spex Cover Juni 1994

Spex

"Nun produzieren die Beastie Boys unter dem Mantel der »Ill«-Identität auch eine ganze Reihe Formen von »coolem Wissen«, das sich gewissermaßen nach »innen«, allerdings gleich »root down« an verschiedene Communities richtet. […] Neben einem Aufruf für Human Rights in Tibet, für das sich MCA gerade (neben Snowboarden) massiv interessiert, kommt hier nicht viel »richtige« Politik vor. Nur »cooles Wissen«, wenn man so will, »Ghettohochkultur«, die verbindet und die Aufforderung: »Get It Together.«"

Die Beastie Boys produzierten damals also nicht nur Wissen in Form von Sprache, Musik oder Style-Codes, sie kommunizierten es noch dazu "Root Down". "Root Down" ist nicht nur der Titel eines Beastie Boys Stücks auf "Ill Communication", das ein Jahr nach Terkessidis Aufsatz als EP erschienen ist, sondern auch ein Begriff, der auch die damalige Transformation von Subkulturen gut beschreibt. Das Bild des "Root" als Stamm, als in sich kenntliche Gemeinschaft, der die Beastie Boys vorstanden und von deren Oben aus sie ihr Wissen oder ihre Wissenschaft ("Everbody knows i'm known for dropping science") weitergeben, verschwimmt. Das Innen war schon damals dabei allgegenwärtig zu werden und der Hip Hop penetrierte in seinem goldenen Zeitalter alle Bereiche des kulturellen, sozialen und ökonomischen Lebens. Die Beastie Boys wurden zur Konsensband aller »Szenen«.

Unter dem Titel Striclty Jungsworld schreibt Harald Peters dazu 1998 in der Jungle World: "Wie zum Trost liest du in einer Fachzeitung, daß die Beastie Boys über das coole Wissen verfügen, was nichts weiter meint, daß dem Schreiber die Samples, die die Beastie Boys benutzen, bekannt sind. Sie haben das coole Wissen, weil sie kennen, was er kennt. Weil du die Beastie Boys kennst, hast du es praktisch auch. Sehr schön." Das coole Wissen also nur eine simple Distinktions-Krücke am steinernen Weg der Pop-Credibility? Schminke, die die Whiteness hinter einem Stapel an Spezialwissen und Samples zu verstecken versucht? Das coole Wissen polarisierte und vielen Leser_innen wurde die Sprache zu akademisch.

Das Aus

Zum Jahreswechsel 1999/2000 kam dann das Ende der selbstverwalteten Spex. Das Magazin wird an den Münchner Piranha Media Verlag verkauft und Alexander Larcher wird neuer Herausgeber. Das vierköpfige Gesellschafter_innen-Kollektiv der alten Spex wollte sich nicht mehr um Verlag und Redaktion gleichzeitig kümmern. Die akademischen Karrieren waren für einige von ihnen bereits eingeschlagen, andere wie Wolfgang Tillmanns oder Jutta Koether hatten sich als bildende Künstler_innen einen Namen gemacht.

Reboot 2000

Ganz im Stil des Verlaufs von Popgeschichte kommen Phänomene aber gerade dann wieder zurück, wenn sie für tot erklärt werden. Uwe Viehmann übernimmt 2000 das Blatt als Chefredakteur, die Zeitschrift erscheint durchgehend in Farbe und mit beigelegter Audio-CD. 2006 sollte die neue Redaktion nach Berlin umziehen. Sie stellt sich aber kollektiv gegen den Herausgeber und wird unter großer medialer Kritik kollektiv entlassen. Der Umzug kommt trotzdem. Unter dem neuen Chefredakteur Max Dax beginnt die dreiköpfige Redaktion von Berlin aus ihre Arbeit.

Mittlerweile erscheint Spex zweimonatig und hat mit der letzten Ausgabe alle bisherigen Verkaufszahlen übertroffen. Dax brachte die langen Texte zurück in das Magazin und legt großen Wert auf Interviews.

Pop Briefing

Die aktuelle Ausgabe von Spex ist die letzte mit Max Dax als verantwortlichem Chefredakteur. Nach drei Jahren verlässt er das Magazin. Grund dafür war [nicht] ein Streit mit dem Herausgeber über Sparmaßnahmen in der Redaktion. [Im Gegenteil: Er bleibe der Zeitschrift als Autor verbunden und bastele gemeinsam mit Lacher sogar an einer neuen Magazinidee. (Update: 9. Nov. 2010)] Für die kommenden Ausgaben zeichnen Jan Kedves und Wibke Wetzker verantwortlich.

Spex wäre aber nicht Spex, wenn sie sich nicht immer noch als Diskursführer begreifen würde. Und so wurde im Jänner 2010 das lautstark formulierte Ende der Plattenkritik eingeläutet. Nicht mehr einzelne Autor_innen rezensieren seither die Neuerscheinungen, sondern ein Kollektiv, ähnlich dem Literarischen Quartett, teilt sich die Verantwortung. Begründet wurde dieser Schritt mit einem Wandel der Öffentlichkeiten. Das Magazin käme der rasanten Meinungsproduktion im Internet nicht mehr hinterher, den Autoren fehle der Informationsvorsprung. Als eine „unglaublich beknackte Idee davon, was die Autorität von Musikautor_innen früher begründet hätte“ bezeichnen Kritiker_innen wie Diedrich Diederichsen diesen Schritt. „Das ist wirklich vollkommen lächerlich. Jemand der irgendetwas früher weiß, weiß natürlich nichts besser, als jemand, der es dann 14 Tage später erfährt. Das sind Nachrichten. Kritik sollte sich anders verhalten.“

Cover: Spex CD #88

Spex

Das Cover der Spex CD #88 in Spex 324 (Januar/Februar 2010)

Auf jeden Fall konnte die Spex aber mit dem Pop-Briefing und dem lauten Verkünden des Endes der Plattenkritik wieder einmal beweisen, wie wichtig sie als Sprachrohr für die deutschsprachige Popkritik immer noch ist, denn die Debatte zieht sich mittlerweile seit fast einem Jahr quer durch das gesamte deutsche Feuilleton. Im Windschatten davon hat die deutschsprachige Poptheorie wieder einmal einen großen Schritt nach vorne gemacht.

Cooles Wissen revisited

Nach 30 Jahren Spex hat nicht nur die Spex, sondern auch "Coolness" - als Schlüsselvokabel des coolen Wissens - einen radikalen Prozess der Umdeutung hinter sich. Die Coolness, begonnen als politische Geste afro-amerikanischer Widerstandskultur verkam zu einer Universalvokabel für alles Bejahenswerte. Coolness wird auf den Straßen der Bronx genauso praktiziert, wie sie alltagssprachlichen Zutritt bis in die deutschsprachigen Kinderzimmer gefunden hat. Der Siegeszug der Coolness wird gern als "Prozeß der Abkühlung" oder eine kulturelle Eiszeit interpretiert (von Ulf Poschardt etwa). Dabei dürfte es sich aber eher um Versatzstücke einer romantischer Kulturkritik handeln, denn die Coolness von heute ist nur vor dem Hintergrund einer vorgeblichen Nestwärme der Vergangenheit zu verstehen, oder wie Tom Holert es 2004 formulierte:

Tom Holerts Aufsatz "Cool" ist in Glossar der Gegenwart, hg. von Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke 2004 in der Edition Suhrkamp erschienen.

„Es gab eine Zeit in den frühen Tagen der Massenkultur, da drohte das noch neue und unbekannte Begehren »cool« zu sein. […] Cool zu sein konnte bedeuten, sich den Zumutungen der Disziplin zu entziehen oder zu widersetzen. Cool stand für das Gegenteil von Routine, wenn nicht gar von Produktivität überhaupt. Doch funktioniert "cool" auch gerade umgekehrt, nämlich im Sinne der ökonomischen Effizienz. Wer cool ist, hat seine Gefühle im Griff, lässt sich nichts anmerken, handelt kontrolliert.“

Coolness also längst nicht mehr Ausdruck von Widerstand, sondern viel mehr die Basis für das reibungslose Funktionieren in der hochflexiblen Arbeitswelt der Jetztzeit. Die aktuelle Spex wird sich also vor allzu viel Coolness zu hüten wissen. Alles Gute zum Geburtstag, Spex.