Erstellt am: 5. 11. 2010 - 06:00 Uhr
Irgendwo im Nirgendwo
Es gibt Epochen, ich denke jetzt unter anderem an die Sixties und die dazugehörigen Augenzeugenberichte, die sind mit einem kollektiven Aufruhr verbunden. Mit einem vibrierenden Gefühl der Veränderung, des explosiven Umbruchs.
Und dann ist da die Gegenwart.
Zumindest in der westlichen, halbwegs geordneten Mittelklassewelt beginnt für mich die emotionale Zeitrechnung mit einem Song aus dem Jahr 1994. "I hurt myself today, to see if I still feel", singt Trent Reznor im vielleicht zentralsten Nine Inch Nails-Stück. Und: "Beneath the stains of time, the feelings disappear."
Ganz unabhängig von der Intention des Autors bringt "Hurt" eine Befindlichkeit auf den Punkt, über die Typen wie Bret Easton Ellis, Chuck Palahniuk oder Michel Houellebecq etliche Bücher geschrieben haben. Eine Stimmung, die auch David Fincher in seinem filmischen Monument "Fight Club" zu beschreiben versuchte.
Soll man Gefühlskälte dazu sagen? Oder gar (post-)modernen Lebensüberdruss? Viel zu offensive Begriffe, die am Thema vorbeischießen. Zumal seit dem Erscheinungsjahr von "Hurt" sehr viele Veränderungen passierten. Auch Schmerzen rufen heute oft nur noch ein Schulterzucken hervor.
These days ist eine gewisse Art von Ennui, um ein brauchbareres Wort zu verwenden, für mehrere Generationen längst zum Normalzustand geworden. Die Reznor'sche Idee der Selbstverletzung, um einfach irgendetwas zu spüren, mutet fast schon nostalgisch an.
Tobis Film
Ich sag das alles ganz wertfrei.
Weil ich diese (Nicht-)Empfindung, diese bisweilen durchaus sanfte Abgetrenntheit von der Außenwelt und sich selbst, nicht bloß in Clubs und Bars, bei Kinobesuchen oder in Diskussionsrunden beobachte. Sondern auch selbst bestens kenne.
Und mir sind ebenso die vielen Täuschungsmanöver und Ausbruchsbemühungen vertraut, wo man glaubt, den watteähnlichen Kokon hinter sich zu lassen. Die letzten zehn Jahre waren, in der Folge des 9/11-Traumas, voll von gesellschaftlichen Versuchen, das Fühlen wieder zu erlernen. Ob mit Esoterik-Experimenten, Arcade Fire-Songs und dem Comeback familiärer Wärme oder ganz konträr, mittels Drogenkicks, körperlichen Exzessen und Torture-Porn-Schocktherapien.
Aber auch wenn es einzelnen gelingt, sich hinauszukatapultieren, die grundsätzliche Betäubtheit, in der wir in den privilegierten Zonen herumtaumeln, hält weiterhin an.
Weshalb ich Kunst eigentlich nur dann ernst nehmen kann, egal ob es sich um avancierte Literatur, Installationen, einen simplen Popsong oder um eine Hollywoodkomödie handelt, wenn sie die diversen Formen der Leere und des Sinnverlusts mitdenkt.
Tobis Film
Sofia Coppolas Filme eint, dass sie alle auf unterschiedliche Weise diese existentielle Entfremdung untersuchen, die manchmal in dauerhafter Melancholie mündet oder auch in einer Katastrophe.
So wie in ihrem Debüt "The Virgin Suicides", wo hinter einer sonnigen Teenageridylle der Selbstmord lauert. Oder im unterschätzten Königinnendrama "Marie Antoinette", einem an der Oberfläche zuckerlbuntem Historien-Popspektakel, dass trotzdem nur von unserer aktuellen Verlorenheit erzählt. Und wo der Tod wie ein drohender Schatten über der Atmosphäre des Ennui lauert.
In "Lost in Translation", dem wahrscheinlich nicht nur für mich zentralsten Streifen der Nullerjahre, ist Coppola der universellen Einsamkeit, den alltäglichen Jet-Lag-Momenten, der Schwierigkeit von Kommunikation am traumwandlerischsten auf der Spur. Es ist ein großer Film der kleinen Gesten und Blicke, in dem scheinbar nebensächliche Sätze plötzlich an Wunder glauben lassen.
Denn auch das zeichnet Sofia Coppola aus: Ihre meisterlichen Filme zeigen nicht nur auf ganz unpathetische Weise Figuren, die im Vakuum herumdriften. Wenn sich Marie Antoinette mit ihren Hofdamen dem Sonnenaufgang entgegentrinkt, abseits der strengen Etikette, oder Scarlett Johannsen und Bill Murray beim Karaokesingen ihre Seelenverwandschaft spüren, dann scheinen zarte Utopien möglich, zumindest ein paar Stunden lang.
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Sofia Coppolas neuester Film schließt hier im Grunde nahtlos an. Was "Somewhere" aber gleich von seinen Vorgängern abhebt, ist die Form. Bereits in der bewusst monotonen Eröffnungssequenz, wenn der Hollywoodstar Johnny Marco mit seinem Sportwagen endlose Runden dreht, wird klar: Die Regisseurin benutzt nicht mehr das cinematografische Popformat, das sie in "Marie Antoinette" auf die Spitze getrieben hat.
"Somewhere" gestattet sich Dehnungen, dezitierte Längen, unverhohlene Sprödheiten, auch auf die Gefahr hin, jenes Hipsterpublikum zu langweilen, mit dem Coppola von vielen Kritiker automatisch verbunden wird.
Aber schließlich ist die Fadesse ja auch das Haupthema des Films.
Johnny Marco ist einer, der für herumwurstelnde Durchschnittsmenschen alles hat: Affairen mit aufregenden Frauen, schnelle Autos, die besten Drogen. Aber trotzdem fällt es ihm immer schwerer, den Luxus zu genießen, fallen ihm in seinem Hotelzimmer im legendären Chateau Marmont meistens die Augen zu, wenn Stripperinnen vor dem Bett auf mitgebrachten Stangen tanzen.
Wem jetzt sofort das abgedroschene Klischee vom ausgebrannten Rock'n'Roller einfällt, der kann sich beruhigt zurücklehnen. Sofia Coppola und ihr famoser Hauptdarsteller Stephen Dorff unterlaufen solche Erwartungen mit Charme und Humor.
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Am Tempo des Films werden sich jedenfalls die Geister scheiden, Gefühlte Ewigkeiten folgt die Kamera des genialen Harris Savides ("Greenberg", "Zodiac") Johnny Marco bei seinen Ritualen der Isolation. Rauchen, herumfahren, ins Nichts starren, sich (nicht nur im Hotelpool) treiben lassen.
Eine zermürbende Angelegenheit? Keineswegs. Und das nicht bloß, weil es weitaus schlimmere Dinge gibt, als dem hübschen Herrn Dorff bei seiner glamourösen Krise zuzusehen, noch dazu von den Strokes oder Phoenix untermalt.
Es sind auch die scheinbar beiläufigen, aber faszinierenden Bildkompositionen, mit denen der Film besticht. Wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, einen strengen Ästhetikdiktator in sich schlummern hat, der bei den zigfachen Wackelvideobeiträgen der Viennale verzweifelt, kann "Somewhere" auch als visuelle Stilübung genießen.
Mit dem Auftritt von Johnnys elfjähriger Tochter (die grandiose Elle Fanning) erwachen Protagonist und Film aus dem hedonistischen Koma. Das Kind, aus einer früheren Beziehung stammend, eröffnet dem Star einen anderen, weniger apathischen Blick auf die Dinge.
Dass Coppola trotz der aufflackernden Chemie zwischen Vater und Kind nicht die üblich rührseligen Hollywood-Sackgassen einschlägt, sei ihr gedankt. Johnny Marco verharrt, ohne zuviel zu verraten, im Schwebezustand, irgendwo im Nirgendwo.
Dass uns Sofia Coppola auch aus ihrem bisher kargsten und kühlsten Streifen trotzdem mit bebendem Herzen entlässt, dass sie wenigstens beschränkte Fluchtbewegungen aus der Leere erlaubt, macht "Somewhere" für mich zu einem der schönsten Filme des Jahres.
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Tickets zu gewinnen
Wir verlosen 55x2 Tickets für die FM4 Kinopremiere "Somewhere" (OmU) am Mittwoch, 10. November 2010 im Urania Kino, Wien. Wer an der Verlosung teilnehmen will muss nur folgende Frage richtig beantworten. In "Somewhere" spielt nach "The Virgin Suicides" zum zweiten Mal ein Cousin von Sofia Coppola in einem Film von ihr mit, wir wollen seinen Namen wissen.
Die richtige Antwort: Robert Schwartzman
Die GewinnerInnen wurden bereits via E-Mail verständigt!