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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

3. 11. 2010 - 22:55

Das Spiel des Soldaten

Videospiele, die einen realen kriegerischen Konflikt als Ausgangspunkt für subjektiv erzählte Soldatengeschichten hernehmen, sind ebenso erfolgreich wie kontroversiell. Eine Annäherung an ein ambivalentes Genre.

Damit keine Möglichkeit besteht, dass Vater und Mutter ins Zimmer reinplatzen, hat M. immer die Tür zugesperrt. Keiner von ihnen sollte eine Ahnung von unserer bevorstehenden, lasterhaften Beschäftigung bekommen. Erst, nachdem der Schlüssel umgedreht wurde und die Jalousien geschlossen waren, haben wir "Wolfenstein 3D" (1992) geladen.

Bildschirmfoto aus dem First Person Shooter "Wolfenstein 3D".

id Software / Apogee

"Wolfenstein 3D"

Das berühmt-berüchtige First-Person-Shooter-Game war Anfang der 1990er Jahre ebenso spielerisch wegweisend wie inhaltlich grenzüberschreitend. In einer in digitalen Spielen davor nie dagewesenen, blutigen Viszeralität wurden hier virtuelle Waffengefechte ausgetragen. Die Geschichte des US-amerikanischen Rambo-Verschnitts, der in ein Nazischloss eindringt, hätte aus historischer Sicht nicht kruder und minimaler sein können. Doch die Bildschirmgewalt, die gepixelten Swastikas und Hitler-Porträts an den Schlosswänden und die für die damaligen Verhältnisse heftigen, glaubwürdigen Bilder haben "Wolfenstein 3D" zu einem enfant terrible gemacht, von dem bis heute noch Reste übrig geblieben sind.

Bekannte Settings

Historiker und Videospielforscher Christioph Kaindel.

Christoph Kaindel

So einfach wie in 1992 können Computer- und Videospiele, die real stattgefundene oder gegenwärtig stattfindende Kriege als Schauplatz wählen, knapp 20 Jahre später nicht mehr provozieren. Das ist aber auch schon lange nicht mehr ihre Intention. Sie bieten vielmehr eine gute Möglichkeit, unser historisches Wissen bzw. unsere historischen Vorstellungen mit dazugehörigen Geschichten zum Leben zu erwecken. Das ist der Hauptgrund für den Erfolg von Videospielen mit aus der Realität entnommenen Kriegsumgebungen im Vergleich zu jenen mit Fantasy-Settings, sagt der Historiker und wissenschaftliche Mitarbeiter beim Wiener Jugendmedienkompenzzentrum netbridge, Christoph Kaindel. Er forscht zu geschichtlicher Darstellung in Computerspielen.

"Es gibt eine Fülle an Zweiter-Weltkriegs-Shooter, und sie funktionieren deshalb so gut, weil wir alle über den zweiten Weltkrieg klare Vorstellungen haben - ob diese nun stimmen oder nicht. Wenn wir wissen, dass die Nazis die Bösen gewesen sind, und wenn ich dann einen Shooter habe, wo die Nazis die Bösen sind, braucht man nicht mehr viel erklären - jeder hat schon das komplette Bild im Kopf."

Commercial warfare

Weil der Zweite Weltkrieg aber nun schon so oft in Videospielen thematisiert wurde, haben die weltweit größten Games-Verlage Activision und Electronic Arts vor einigen Jahren begonnen, die Kriegsschauplätze in die reale Gegenwart und nahe Zukunft zu verlegen. Unglaubliche 20 Millionen Mal hat sich einer der jüngeren Kriegsshooter verkauft und ist damit eines der am erfolgreichsten Videospiele überhaupt. "Call of Duty: Modern Warfare 2" (2009) hat so viel Geld eingespielt, dass selbst so mancher Kino-Blockbuster dagegen erblasst. Das Game spielt in einer nahen Zukunft, seine fiktive Geschichte ist sehr stark an aktuelle kriegerische Konflikte angelehnt.

Bildschirmfoto aus dem Videospiel "Call of Duty: Modern Warfare 2".

Infinity Ward / Activision

"Call of Duty: Modern Warfare 2"

Eine ähnliche Ästhetik besitzt das vor kurzem erschienene "Medal of Honor", das im Afghanistan-Krieg angesiedelt ist. Obwohl historische Aufarbeitung und politische Einschätzung der Konfliktparteien dabei noch wesentlich unklarer sind als bei Jahrzehnte zurückliegenden kriegerischen Auseinandersetzungen, wird auch hier eine sehr einseitig - westlich - geprägte Sicht von Gut und Böse vermittelt. Martin Lorber, PR Chef und Jugendschutzbeauftragter bei Electronic Arts im deutschsprachigen Raum, argumentiert mit persönlichen Erlebnissen von US-Soldaten, die man in "Medal of Honor" durchlebt. Das Game wolle darüber hinaus aber keine politischen Statements oder gar Lösungen anbieten.

Neue Kriege

Die Idee eines technisch hochwertigen und mit starken Bildern aufgeladenen Videospiels in einem authentisch wirkenden Kriegssetting, das nicht politisch sein will, wirkt zunächst zynisch. Doch Forscher Christoph Kaindel bestätigt das Argument des PR Sprechers indirekt. Gerade im neuen "Medal of Honor" (2010) werde ein Krieg dargestellt, der zwar audiovisuell sehr glaubwürdig abgebildet wird, in seinem Wesen aber nicht mehr als eine unakkurate Oberfläche ist, die Emotionen und Involviertheit evozieren soll. Denn der Afghanistan-Krieg ist nicht mehr mit dem zweiten Weltkrieg vergleichbar und müsste ganz anders dargestellt werden.

"Man spricht in der Forschung von sogenannten neuen oder wilden Kriegen, die sich sehr stark von den früheren Kriegen unterscheiden, wo Staaten mit Armeen gegeneinander gekämpft haben. In den neuen Kriegen spielen Guerilla- und Partisanenkriege sowie Terrorismus eine viel größere Rolle. Es kommt dabei nur mehr selten dazu, dass Armeen oder Einheiten aufeinander treffen. Die Spieledesigner müssen sich deshalb überlegen: Wie kann ich eine Geschichte erzählen oder ein Spiel entwickeln, in dem es dann doch zu irgendwelchen Zusammentreffen zwischen feindlichen Gruppen kommt?"

Logo zum Computerspiel "Medal of Honor" (2009): Ein Soldat mit Sonnenbrille, Schirmkappe und angelegtem Gewehr.

Electronic Arts

"Medal of Honor"

Faszination Kriegserlebnis

Historische Settings in Computer- und Videospielen sind auch abseits von Kriegsshootern beliebt. Sie sind vor allem deshalb so interessant, weil Politik dabei fast immer mit glorreichem, globalen Aufstieg statt kräfteraubenden, lokalen Machtkämpfen gleichgesetzt wird. Schon bevor aufwändig inszenierte Action-Spiele technisch möglich waren, haben Games wie "Kaiser" (1984) am Commodore 64 unsere politischen, militärischen und wirtschaftlichen Allmachtsfantasien aufleben lassen. Bis heute hält diese Tradition an - erst vor kurzem ist der fünfte Teil des populären Computerstrategiespiels "Civilization" erschienen.

Historische Computerspielwelten befriedigen den Wunsch vieler Spieler nach akkurater Darstellung von Kriegswerkzeug und originalen Schauplätzen. Authentizität ist allerdings nur bei einzelnen Dingen wichtig, nicht aber bei der gesamten historischen Perspektive. So verläuft die Recherche der Spielehersteller oft oberflächlich oder zumindest konservativ - das Geschichtsbild der meisten Spieleentwickler ist ein "sehr allgemeines, populäres und kein anderes als das, das ohnehin schon in der Bevölkerung verbreitet ist.", so Christoph Kaindel.

Bildschirmfoto aus "Civilization 5".

Firaxis / 2K Games

"Civilization 5"

Spiel mit Geschichte

Je technisch komplexer Videospiele werden, desto mehr schwindet der ehemalige Glaube daran, das es in einem Game rein um die spielerischen Herausforderungen geht. Zwar haben Savepoints und Medipacks nichts mit Realismus und Krieg zu tun, und doch sind die detailreich inszenierten Darstellungen in vielen zeitgenössischen Action-Games und ihre dabei erzählten Geschichten wesentliche Bestandteile des Gesamterlebnis.

Kriegssettings in Spielen verkaufen sich gut und werden auch in Zukunft ein relevater Teil der Games-Industrie bleiben. Das sei auch in Ordnung, sagt Historiker und Spieleforscher Christoph Kaindel. Notwendig wäre es aber, wenn einige Grundregeln künftig stärkere Beachtung bei Entwicklern finden würden. Etwa, dass man auch als virtueller Soldat keine Zivilisten und Zivilgebäude in die Luft jagen dürfte.