Erstellt am: 28. 10. 2010 - 20:58 Uhr
Belle and Sebastian
Am ersten Oktober-Wochenende hab ich Las Vegas besucht - virtuell natürlich nur. Das amerikanische Indie-Label Matador Records hat zum Geburtstags-Festival geladen und das 21jährige Jubiläum an jenem Ort abgehalten, der bestens zur amerikanischen Volljährigkeit passt: Las Vegas.
Per Stream konnte man sich in die fremde Zeitzone einklinken und zu so guten Stunden wie 5 Uhr früh die Livesets von Sonic Youth oder Cat Power bestaunen. Auch Belle&Sebastian sind als neuestes Matador Signing nach Las Vegas eingeladen worden, um ihr kurz vor der Veröffentlichung stehendes Album "Write About Love" vorzustellen. Sänger Stuart Murdoch scherzte auf der Bühne, wie absurd es doch ist, sich mit Sonic Youth nun eine neue Labelheimat zu teilen. Vor langer Zeit, viel früher nämlich, als Murdoch noch nicht die Stimme von Belle & Sebastian war, sondern Journalist im Selbstversuch, und Thurston Moore sehr wohl schon DER Thurston Moore von Sonic Youth war, haben sich die beiden zum Interview getroffen. Und Mr. Moore? "He was moaning at my questions!" Heute: Herzallerliebst. Beide.
ondrusova
Es ist für meine doch altmodischen Begriffe von "Erleben" und "Dabeisein" beschämend, wie sehr mich der Umstand, diesem pixeligen Konzertstream beizuwohnen, begeistert hat. Abgesehen von der ständigen Angst vor zwangsbeglückenden Buffering-Attacken und der unüblichen Konzertlage (nämlich dem Weckruf folgend aber unter der Bettdecke liegend): das Konzert als solches war grandios. Belle & Sebastian besitzen eine Leichtigkeit und Glückseligkeit, die auf dem Pop-Tableau ihresgleichen sucht. Das Kollektiv aus Glasgow ist in seiner Bescheidenheit und Zurückhaltung charmant und besitzt den nötigen musikalischen Witz, um selbst bei einem Internetübertragungskonzert den und die Zuschauerin zu berühren. Ich habe nun einen Konzertgeherin-Plan B zum Pensionsantrittsalter 2070 und ein neues Lieblingsalbum.
ondrusova
"Write About Love" das neue, achte Studioalbum der Band, sagt genau das, was auf der Packung steht. Die Band beschreibt Liebe in all ihren Facetten. Zu diesem Thema fündig wird man natürlich auch bei Leonard Cohen oder Nick Cave und natürlich im Backkatalog von Belle & Sebastian selbst. Liebe ist und bleibt das Überthema von Pop. Dass Belle & Sebastian nun so offensiv dieses Konzept vorantreiben, ist den vier Jahren Bandpause geschuldet (Zeitvertreib wurde u.a. hier gefunden) und dem Versuch, ein Album von eben einem genauen lyrischen Faden als nur der Bandbiografie zusammenzuhalten.
belle&sebastian
Mit einem Song wie "Read The Blessed Pages" liefern sie die manifesthafte Liebeserklärung an ihre Fans ("Did I do my best dear?/That is all you ask") und blicken nach innen ("Love was playing music it was all we wanted, making plastic records of our history.") bei so viel Offenheit verzeiht man ihnen auch die (Pan)Flöte, die sich bei spärlicher Instrumentierung nach vorne drängt und den einzigen Gaga-Moment auf dem Album offenbart. Bei "Calculating Bimbo" wird mit Ex-Beziehungszuständen abgerechnet und der wohl berührendste Song "The Ghost Of Rockschool" ist gleich mal der Suche nach spiritueller Liebe gewidmet.
Dass sich Belle&Sebastian dem Thema Glauben annähern, überrascht wenig, umso erfreulicher, dass es Belle & Sebastian gelingt, nicht in aufdringlich pathetische Spiritualität abzudriften. Selbst dort wo man es vermuten könnte, nämlich beim Track "Little Lou Ugly Jack Prophet John" fällt Gastvokalistin Norah Jones erst nach der Linernotes-Studie auf. Sowieso sind mir in der Causa Jones, seitdem sie auf Peeping Toms selbstbetiteltem Album mit dem "Sucker"-Duett Ironie bewiesen hat, die Schmalspur-Pop-Argumente ausgegangen. Weder sie noch Schauspielerin Carey Mulligan, die sich für den Titeltrack ins Studio gesellte, werden Isobel Campbell ersetzen. Müssen sie ja auch nicht.
Überhaupt muss niemand irgendwas tun – außer dieses Album hören. Danke.