Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Vlog #7: Beim Lustrausfest"

Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

28. 10. 2010 - 13:54

Vlog #7: Beim Lustrausfest

Gedanken zum Viennale-Publikum. Und wieso Hans Hurch das größte heimische Filmfestival in ein Multiplex bringen will.

Gestern habe ich kurz überlegt, meine Karten für das traditionelle Viennale-Lusthausfest, auf dem ich noch nie gewesen bin, an zwei Bekannte weiter zu geben: beide Sozialhilfeempfänger, beide keine Viennale-Gäste. Dort kann man sich den Bauch vollschlagen und trinken, was das Zeug hält, hoffentlich auch die eingeschlafene Eingeladenenbagage ein bisschen durcheinander wirbeln. Auf dass nicht über den neuen Godard geschwafelt wird, oder darüber, dass Godard jetzt doch nicht nach Hollywood fährt, um sich seinen Ehren-Oscar abzuholen, sondern ihn sich in die Schweiz schicken lässt (fauler Sack); sondern vielleicht mal über das Leben selbst, vielleicht mal sich mit Leuten unterhalten, die wirklich nicht wissen, wie sie durch das nächste Monat kommen, anstatt sich das fünfhundertdreiundachtzigste Sozialdramolett eines Mittelklassesprösslings anzusehen; worin dann mit dem Suff und dem Absturz philosophische Dimensionen aufgerissen werden, wiewohl im krankhaften Rausch, das wissen vielleicht einige, sich alle anderen Dimensionen versperren, es eben nur mehr Suff und Absturz geben kann.

Lusthaus, Wien

Alexander Tuma

Dann hab ich schlichtweg darauf vergessen, jedenfalls war es da schon zu spät, das Ruder nochmals herum zu reißen. Ach, süßer Zynismus, manchmal machst du mir die Welt einfach erträglicher. Gestern zum Beispiel, da hab ich kurz gedacht, ich sei in eine Werbeveranstaltung der jungen ÖVP geraten, so gediegen hat das Publikum im Foyer des Gartenbaukinos gewartet auf die Komödie Cyrus: ganz so, als würde man sich das Lachen für die 90 Minuten Kino reservieren und keinen Grinser davor verschwenden wollen, paradierten da die schönsten Steppjacken, Pullunder und Monokolor-Hosenanzüge an mir vorbei; in der Luft, der verdammt süßlich-ätzende Geruch von Haarspray und anderen Konservations-Chemikalien. Ich merke, hier sind sie wieder, die Habenden, die jetzt auch ein Stück vom Viennale-Kuchen haben wollen und – nur zur Sicherheit – die Indie-Komödie im Programm gewählt haben, um Schau zu laufen. Das kann nichts mehr schief gehen: Unterhaltung & Repräsentationsschick, ist ja fast schon wie in Cannes hier.

Mann, Frau

Viennale

Marisa Tomei und John C. Reilly in der netten Komödie "Cyrus"

Ich geh' zur Viennale!

Um die Publikumszahlen der Viennale muss man sich auch in diesem Jahr nicht sorgen: das Festival ist ein Fixpunkt im Wiener Kulturherbst und, wie man so schön sagt, ein Selbstläufer. Jahr für Jahr verkaufen sich im Besonderen die großen Filme wie warme Semmerln, aber auch zu abwegigeren Vorstellungen finden sich viele Menschen ein. Ein gutes Zeichen also für die Kinostadt Wien, sollte man meinen. Vielleicht, vermutlich aber nicht. "Wieso bist du denn nicht in der Schlange?", frage ich am Viennale-Vorverkaufssamstag eine filmverliebte Kollegin in der Arbeit. "Mir wird das Publikum dort immer unsympathischer", meint sie zu mir: "Die sehen sich keine Filme an, die gehen nur zur Viennale."

Und das ist noch nicht einmal die alleinige Schuld der Organisatoren, denn ab einem gewissen Moment, ab einer gewissen Größe entwickelt ein Festival eben ein unkontrollierbares Eigenleben, das Dort-sein ist das gleiche wie das Haben-wollen, einen Film auf der Viennale zu sehen ist ungefähr so wie sich ein neues Apple-Gadget zu leisten und es dann stolz unauffällig neben sich auf den Schreibtisch zu legen, hoffend, dass Kollegen staunend nachfragen, auf dass man dann die Geschichte vom Dabei-sein erzählen kann. Freilich, die wahre Kinoleidenschaft, die findet man auch: Direktor Hans Hurch leistet gute Arbeit, wenn es darum geht, Weltkino-Kapazunder und die eine oder andere Neuentdeckung nach Wien zu holen. Weerasethakul, Straub, Puiu, Breillat, Assayas, Wakamatsu, nebst vielen anderen, sprechen für sich.

Tasche

Viennale

In Internetauktionshäusern sind die Viennale-Taschen ein Verkaufsschlager: Gebote für die diesjährige Edition in OVP stehen bei guten 25 Euro, für die aus dem Vorjahr werden mindestens 40 Euro fällig, und wer alle Editionen ab 2001 sein eigen nennen will, muss dafür über 120 Euro hinlegen.

Risikolose Risikofreude

Vielleicht ist das einfach der Fluch des Erfolgs: die Viennale und ihre Sujets und ihre Kataloge und ihre Tasche sind zur erfolgreichen und begehrenswerten und glaubwürdigen Marke geworden. In ist, wer drin ist: was für ein Film da gerade läuft, das ist gar nicht so wichtig. Ein Problem, das offenbar auch die Organisatoren erkannt haben: in einem Interview wünscht sich Hans Hurch "ein etwas risikofreudigeres Publikum" und stellt fest, dass immer die gleichen Filme so schnell ausverkauft sind. Aber wen wundert’s, dass ein Woody Allen oder eine Sofia Coppola gut gehen? Auch eine Viennale kann die Aufmerksamkeitsökonomie, die so vieles im Kinogeschäft regelt und beeinflusst, nicht einfach außer Kraft setzen. Das geht nicht. Insofern bildet sich da, im abgesteckten zwölftägigen Rahmen nur der generelle Konservativismus ab, der insgesamt vorherrscht. Experimente, die geht man nur mehr widerwillig ein, und wenn, dann will man etwas davon haben. Nicht bloß eine Erfahrung.

Kino

UCI Millennium City

Geht die Viennale ins Multiplex?

Im oben erwähnten Interview, da meint der Chef auch, dass es Diskussionen gäbe, die Viennale im nächsten Jahr auf einen Multiplex-Saal auszuweiten. Um "zu schauen, ob ein etwas populäreres, aber dennoch anspruchsvolles Programm in einem Multiplex funktioniert." Zum einen: Wieso sollte es dort nicht funktionieren? Zum anderen: Was meint populäreres Programm? Für meinen Begriff ist die Viennale populär genug, reibt sich oft genug am Populistischen. Zum letzten: jedenfalls für mich ist der eigentliche Grund dieser eventuellen Expansion klar ersichtlich. Keines von den bespielten Kinos ist mit der Technologie ausgestattet, der es mittlerweile bedarf, um wirklich alles zeigen zu können. Ein 3D-Film auf der Viennale hat schon deswegen keine Chance, da es kein Festivalkino gibt, das ihn projizieren kann. Für das Gartenbaukino sind heuer erstmalig so genannte DCP-Server angemietet worden, da viele internationale Unternehmen ihre Filme einfach nicht mehr auf Zelluloid anbieten, vor allem wenn es sich um digital gedrehte Arbeiten handelt. Was durchaus Sinn macht. Die Publikumsfrage rühren solche Expansionspläne allerdings nicht an: ob die Viennale-Taschen durch die Lugner City oder das Gartenbaukino getragen werden, macht keinen großen Unterschied.

Empfehlungen für den Viennale-Freitag fallen ausnahmsweise aus, da alle Filme, die ich guten Gewissens betippen könnte, bereits ausverkauft sind.