Erstellt am: 27. 10. 2010 - 14:58 Uhr
Vlog #6: The Night Id Came Home
The horror! The horror! Nein, so schlimm ist es auch wieder nicht. Aber es gibt einfach Filme, die fressen sich geradewegs in meine Seele hinein, stopfen mir Bilder in den Kopf, die ich nie mehr rausbekommen werde. Selbst wenn ich das gerne würde. Vielleicht haben Filme ja so kleine Tentakel, tausende davon, und die verbinden sich dann mit dem was in einem ist, dringen in mich ein. Ein bisserl wie bei Cronenberg: Eine innerliche, seelische Veränderung zieht eine körperliche Mutation nach sich. Zweifelsfrei. Ansonsten kann ich es mir schwer erklären, dass mich einige Geschichten, einige Ästhetiken derart fertig machen, dass ich danach kaum mehr aufrecht stehen kann. Das Wunder dabei: Es muss noch nicht mal ein guter Film sein, es reicht wenn er wirkmächtig ist.
Eine Kleinstadt in Maine
Warner
Immer wieder erinnere ich mich an die, wenn mit konventionellen Parametern vermessen, wenig berauschende Verfilmung von Stephen Kings Magnum Opus IT: Die Geschichte der Kleinststadt Derry in Maine, veritables King-Territorium mit Krämerläden, Drogerien und alten Kinotempeln, unter deren pittoresker Oberfläche sich aber das Böse selbst materialisiert. Der Grund dafür sind Alltagsrassismen, „hate crimes“ und dergleichen. King formuliert über sie eine veritable wie fantastische Gesellschaftskritik für das 20. Jahrhundert mit allen Paradoxien zwischen Heimeligkeit und dem Unheimlichen. Das Monstrum „IT“ tritt schließlich in Tommy Lee Wallaces pragmatisch-effektiver zweiteiliger Fernsehverfilmung des über tausendseitigen, zeitlich und örtlich zersprengten Romans in Gestalt des Jahrmarktclowns Pennywise (eine Sensation: Tim Curry) auf. In den 60ern erwacht Es und frisst Kinder. In den 90ern finden sich die Überlebenden von Damals, eine für den Autor klassische Gruppe von Außenseitern, erneut zusammen, um Es, das tief unter Stadt nistet, zu besiegen.
Das Profane und das Monströse treffen sich im schönsten Vorstadtambiente und bescheren mir wochenlang Albträume. Mir, der ich andauernd Horrorfilme konsumiere, ganz so, als gäb’s nix anderes. Aber irgendwas stimmt nicht mit diesem Film. Kurze Zeit darauf lese ich das Buch, traue mich beizeiten nicht einmal mehr, es zu öffnen, so mächtig ist die Fantasie, die darin eingesperrt ist. Ich misstraue ihm, jede gesehene Minute, jede gelesene Zeile scheint diesen Clown (und das ist nur eine von Es’ Gestalten) nachdrücklicher einzuladen in meine Welt. Sein Weißgesicht sehe ich plötzlich überall, vor allem, nachdem ich das Licht gelöscht habe. Langsam schält es sich aus der Finsternis, zuerst ist es nur eine Vermutung, dann werden die Konturen klarer, schließlich öffnet Es sein geschminktes Maul und lässt die Reißzähne blitzen.
Warner
Three little devils
Es passiert mir selten, dass ein Film so einfährt, sich so unvermittelt mit meinen unterbewussten Ängsten zu verbinden scheint. Als ich Harmony Korines unfassbare Trash Humpers zum ersten Mal gesehen habe, fast auf den Tag genau vor einem Jahr, ist es mir ähnlich gegangen. Ein analoges Manifest, gedreht auf VHS-Material mit einer manipulierten Kamera, so dass sich Störungen und Schlieren auf den Magnetbändern einfinden, tanzen die andersweltlich unscharfen Bildern immer noch in meinem Kopf. Als hätte sich ein Riss in eine parallele Dimension aufgetan, die der unsrigen zwar ähnelt, die aber alles Bekannte vermissen lässt, als hätte jemand von dort drüben durch den Schlitz gefasst und diesen Film fallen gelassen. „Found Footage“, daran soll es laut Korine erinnern, am liebsten hätte er den Film begraben, erzählt er mir, als ich ihn im vergangenen Jänner in Rotterdam treffe. Wer ihn ausgräbt, behält ihn.
www.reverseshot.com
Geschichten zu erzählen, das interessiert diesen Regisseur nicht. Seine Filme müssen für ihn selbst auch immer Erfahrungsreisen und Experimente sein. Das verbindet ihn mit dem deutschen Renegaten Werner Herzog, dessen dystopische Revolutionsgroteske „Auch Zwerge haben klein angefangen“ der kleine Harmony mit seinem Vater im Kino sieht. „Trash Humpers“ wird im Guerilla-Stil gedreht: ohne wirkliche Crew, ausschließlich improvisiert. Korine selbst und seine Frau spielen zwei der Hauptrollen, zwei der maskierten Außerirdischen, die durch die Vorstädte von Nashville turnen und dort ihr ganz eigenes Utopia errichten. Sie ficken Mülltonnen und Schutt, werfen Dinge durch die Gegend, klatschen übergewichtigen Prostituierten auf die Arschbacken, singen, schreien und tanzen, ganz wie Kinder.
Rotterdam
Tatsächlich ist es die Kombination aus Unschuld und Verrohtheit, die „Trash Humpers“ so verstörend macht; die Tatsache, dass Korine sich weigert, sich inszenatorisch als verrückt, entgleist oder anarchisch zu brandmarken. Nein, er schenkt ihnen die analoge Wärme eines alten Home Movie, errichtet eine unscharfe, immer wieder abstürzende Welt für sie im Kino. Die Normalität muss draußen bleiben, es gibt gar keine Wirklichkeit, an der sie sich messen lassen müssten. Der Wahnsinn hat gesiegt. „Trash Humpers“ ist ein ganz großer Horrorfilm, ein sehr amerikanischer Albtraum; Sympathy for the Id, sozusagen. Die exorzierten Mare tänzeln durch das Kino. „Make it, make it, don’t fake it“. Oder auch: „Three little devils jump over the wall. La, la, lalalala.“ Übrigens: Wer nicht genug bekommen kann von den „Trash Humpers“, der kann sich auf der offiziellen Homepage des Films sogar einen 35mm-Print davon bestellen. Für 8.500 Euro. Limitiert auf fünf Stück.
Empfehlungen für den Viennale-Donnerstag
28.10. 11:00 Uhr Künstlerhaus
29.10. 16:00 Uhr Künstlerhaus
Robinson in Ruins: Eine außerirdische und gleichzeitig sehr konkrete Erfahrung lauert versteckt in diesem faktisch aufgeladenen Essay. Patrick Keiller lässt seinen fiktiven Erzähler Robinson durch britische Landschaften wandern, vermisst das Grün, die Blumen und Wiesen mit Eindrücken des ökonomischen Wandels. Gebäude und Gegenden beginnen zu sprechen, die sonore Stimme von Vanessa Redgrave führt souverän durch dieses aufregend exotische Labyrinth aus Zeichen, Codes und Wirklichkeiten. Anstrengend, lohnenswert.
Patrick Keiller, GB 2010, Viennale
28.10. 14:30 Uhr Gartenbaukino
29:10. 20:30 Uhr Stadtkino
Shi/Poetry: Der Südkoreaner Lee Chang-dong ist einer der ungewöhnlichsten Melodramatiker des zeitgenössischen Kinos. In seinem jüngsten Werk denkt er die zeitgeschichtlichen Wandelerscheinungen mit der schleichenden Alzheimer-Demenz eine aufopferungsbereiten alten Dame zusammen. Aus dem Vergessen wächst eine fantastische Anderswelt, in der die Dinge plötzlich wieder Sinn ergeben. Zwischen Resignation und Revolution wachsen die schönsten Blumen des Kinos. Große Empfehlung!
Lee Chang-dong, Südkorea 2010, Viennale
28.10. 18:30 Uhr Metro
The Telephone Book / Phone Booth: A Night To Remember. Zwei Filme zur Kommunikation, zu ihren Fallstricken und Angstmustern. Merv Bloch, BFF von Tribute-Gast Larry Cohen und, laut Katalog, Ad-Art-Legende, produziert 1971 „The Telephone Book“: eine obskure Anrufs-Odyssee, minimalistisch-orale Exploitationkunst, ein wieder entdeckter Film Maudit. Danach: „Phone Booth“ des streitbaren aber immer aufregenden Hollywood-Handwerkers Joel Schumacher, basierend auf einem Drehbuch von Larry Cohen, welches dieser eigentlich in den 60ern für weiland Hitchcock geschrieben hat. Wie gesagt: A Night to Remember.
Nelson Lyon, USA 1971, Viennale