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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

26. 10. 2010 - 19:02

Vlog #5: Neue Helden

Das Kino ist tot und gleichzeitig unsterblich. Einblicke in das Reich eines Rockers. Ein Abend mit Klaus Lemke.

Lemke. Hm? Klingelt da was? Ich bin mir nicht sicher. Vermutlich mal gehört, den Namen Klaus Lemke. Ich lese biografische Eckdaten: ganz sicher in der einen Vorlesung von vor Urzeiten, über Neuen Deutschen Film, die toten Papafilme. Ja, genau. Rocker, den meine ich wohl auch mal gesehen zu haben. Spät in der Nacht im dritten deutschen Fernsehen. Oder auch im ZDF. Mittlerweile habe ich meine Antennen ja eingefahren, verweigere den Empfang. „Rocker“: ich erinnere vitale, mobile Bilder; einen authentischen Straßengeruch; das Gefühl, dass dieser Film eigentlich kollabieren müsste, just in dem Moment, in dem man ihn wahrnimmt. Aber nein, ich habe nicht gedacht, dass mir gestern Abend dann die Kinnlade derart flott in den Keller rasselt. Nein, das habe ich nicht erwartet. Dieser Lemke, ich werde ihn nicht mehr vergessen. Und danke an die Viennale für die Zeit mit ihm.

Mann

Viennale

Klaus Lemke mit einer Darstellerin aus "Schmutziger Süden"

Hans Hurch, der meint zum Publikum im gut besuchten Künstlerhauskino am Karlsplatz ganz am Anfang, dass es lange gedauert habe, bis Lemke und die Viennale zueinander gefunden hätten. Das Warten hat sich gelohnt: steht plötzlich ein hagerer, aber immens kämpferischer, erhaben cooler 70-jähriger, die Kappe tief in die Stirn gezogen, so dass man seine Augen nur mehr erahnen kann, vor mir und führt ein. Gar nicht so sehr in sein Werk, sondern in das Wesen des Kinos selbst: flüchtig, wertvoll, schmutzig, gemein, hart. Es ist bedeutungslos, ob ein Film gut ist, oder nicht. Hauptsache er wirkt, heißt es da einmal. Nur einer von Myriaden an weisen Sätzen, die an diesem magischen Abend fallen werden.

Mann

Robert Newald

Lemke, Klaus: immer noch Rocker

Nach dem Krieg

13 x Glück, das umschreibt es ganz gut, mein Gefühl. Zum Auftakt: aneinander montierte Ausschnitte aus dreizehn Lemke-Filmen, von den späten 60er-Jahren (48 Stunden bis Acapulco heißt einer, der Titel spricht sie schon an, die andauernde Beweglichkeit dieses Wahnwitzigen) hinauf in die Jetztzeit. Die Texturen der Bilder verändern sich: auf warmes, intimes 16mm-Schwarzweiß folgen die harten Konturen, folgt die Kälte der digitalen Apparate. Man sieht: badende Frauen, verlorene Männer und, immer wieder, Bewegungen. Aber was man hört, ist das, was man fühlt: wilder bayerischer Dialekt, organisch gewachsene Kunstsprachen, die Lemke immer wieder sucht und findet. Nach den Kriegen, so sagt er später im Gespräch, da sei nur mehr das Hochdeutsche übrig geblieben im Kino: die wild wuchernden Sprachmelodien aus dem angloamerikanischen Raum, immer wieder verweist er auf Mick Jagger, und die damit einhergehende Beweglichkeit des gesamten Kulturraums, die sei im deutschsprachigen Raum nicht mehr vorhanden.

Rocker

ZDF/TV-Union

„Rocker“, den der Münchner Lemke in Hamburg gedreht hat, der hat in der Hansestadt Kultstatus erreicht: immer noch läuft er einmal pro Jahr in einem Kiez-Kino, das Publikum spricht die Dialoge auswendig mit. Preziosen wie: „Mach Dich grade, du Klappstuhl!” oder „Wer rauchen kann, kann auch saufen.” Letzeren Satz schmettert ein Rocker einem Buben entgegen, der gerade eine Zigarette raucht. Lemke findet seine Figuren in seinem Leben; immer wieder hockt er in Cafés und Kneipen und beobachtet, bis es zischt. Klassische Schauspielerei, die hat für ihn als Regisseur keinen Wert, außer für so was wie Shakespeare. Film allerdings muss heutig, vollkommen gegenwärtig sein: spüren muss man das.

Papas Staatskino ist tot!

Schmutziger Süden, so heißt Klaus Lemkes jüngster Wurf, die kaum nachvollziehbare, aber wohl nachfühlbare Geschichte eines virilen Hamburger Jungen namens Henning: mit Flinserl im Ohr und breitbeinigem Gang gewinnt er Frauenherzen, arbeitet als Model, bekommt Autos geschenkt, lebt einfach so wie man leben muss. Immer für den Moment. Genau so inszeniert Lemke auch alles aus den bescheidenen Mitteln heraus, die er selbst aufbringen konnte. Drei Crew-Leute und die Schauspieler, jeder bekommt 50 Euro pro Tag. Mehr braucht es nicht. Daraus erwächst ultimative Flexibilität. Lemke weiß: „Erst nach vier, fünf Wochen kommen die guten Sachen. Große Filmproduktionen sind zu dem Zeitpunkt schon längst abgedreht.“ Deshalb sind sie alle so scheiße. Und weil sie sich fördern lassen.

Frauen

Robert Newald

Lemke mit Kollegen Rudolf Thome und dem Cast aus "Schmutziger Süden"

Am Ende von „13 x Glück“ proklamiert Lemke den endgültigen Tod von Papas Staatskino. Öffentliche Förderungen, die ersticken seiner Meinung nach die Kreativität, sind Kapitalumschichtungsapparaturen, die Kunst verunmöglichen. „Zur Errettung des deutschen Films“ ist er angereist. Auf der Bühne des Kinos meint er, das deutsche Kino sei nicht mehr zu retten. Nur Dominik Graf, den mag er. Ich bin ganz bei ihm. Aus dem Publikum dringt der unvermeidliche Ruf nach Fassbinder, klar, wir sind hier ja bei der Viennale. Für ein paar Momente konnte man das glatt vergessen. „Fassbinder“, meint Lemke mit seiner verführerisch verkünstelten Bass-Stimme, „der hat einige gute Filme gemacht am Anfang. Dann hat er nur mehr Kunstgewerbe gemacht und daran ist er kaputt gegangen.“ Wollte er nicht auch in Lemkes Nähe sein, damals, bei den coolen Münchner Regiehunden, die gesoffen und gefickt haben, was das Zeug hält? „Ja, aber er war zu hässlich.“ Gelächter. Und noch einer wollte ins Lemkes Dunstkreis leben, damals. Der Meister lacht. Er lacht lange. Dann meint er: „Wim. Was soll ich sagen? Er war immer sehr intelligent.“ Wenders. Wahnsinn, tut das gut. Lemke, ich liebe dich und deine Zahnprothesen.

Irgendwann muss dann alles vorbei sein. Klaus Lemke steht noch mit der Besetzung von „Schmutziger Süden“ vor dem Künstlerhaus, ein paar Minuten, ein paar Worte noch. Dann macht er sich auf, in diese beschissen kalte Nacht. Abgang einer Legende. Das ist er nämlich jetzt für mich, nach nur einem Abend. Eine Legende.

Empfehlungen für den Nachfeiertagsmittwoch

Les Amours d’Astrée et de Céladon

27.10. 16:00 Uhr Filmmuseum

Éric Rohmers letzter Film, eine Zusammenfassung seines berückend beiläufigen, dabei vollkommen existenziellen Lebenswerks. Basierend auf einem Roman des Honoré d’Urfé schält sich die lieblich-altersweise Geschichte einer unmöglichen Liebe zwischen zwei Schafhirten, umringt von grünen Grashügeln, untermalt von entrücktem Flötenspiel, heraus. Nicht weniger als die Mitte des Kinos, und das Zentrum der Welt.

Mann, Frauen

www.ecranlarges.com

The Ambulance

27.10. 23:00 Uhr Stadtkino
29.10. 16:00 Uhr Urania

Wieder einmal deutet der hintersinnige Genre-Neuinterpret Larry Cohen ein Signum der Erlösung, in diesem Fall einen Krankenwagen, in ein Instrument des Bösen um. Angefixt von des Regisseurs geliebten Marvel-Comics, verliert ein Zeichner ebensolcher seine Freundin nach einem Unfall. Die Essenz der Popkultur, irgendwo verortet zwischen Meta-Überlegung, klassischem Suspense und postmoderner Bilderschleuderei.

Trash Humpers

27.10. 23:00 Uhr Gartenbaukino

Boywonder Harmony Korine überarbeitet sich selbst, schnappt sich eine VHS-Kamera und verwüstet die Vorstädte von Nashville: die „Trash Humpers“, ein Fiebertraum von einer Figurentriangel, sind, wie der Film, den sie bespielen, ein radikaler Gegenentwurf zu jedweder Form von Normalität oder Anarchie, genau weil sie sich von jedweder Wirklichkeit absetzen. Ein „Wizard of Oz“ für die „Jackass“-Generation, inklusive Mülltonnenfickerei, Zufallsmorden und viel Musik.
Make it, make it, don’t fake it!

Mann, Puppe

www.reverseshot.com