Erstellt am: 26. 10. 2010 - 14:55 Uhr
Aufhören, wenn es am schönsten ist
Die FM4 Soundpark Tour geht fulminant und schweißtreibend im Chelsea in Wien zu Ende.
"Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören." Das hat mein Vater immer gesagt, und das sage ich mir seit meiner Kindheit wie ein Mantra vor. Immer dann, wenn etwas Gutes zu Ende geht. Unsere Körper stimmen meinem Vater zu – unter unseren Augen haben sich dunkle zeitgenössische Gemälde gebildet, unsere T-Shirts riechen nach 3-Tage-wach und unsere Beine sind schwer wie Blei. Aber wir wollen noch nicht aufhören. Wir wollen zumindest noch einmal unsere Kniestrümpfe hochziehen, mit den Monstern im Wald spielen und Dancen, als gäbe es kein Morgen. Als gäbe es kein Ende.
Wir. Das sind die Bands Sawoff Shotgun, Francis International Airport, A.G. Trio und der bescheidene Rest der Truppe, die seit rund einer Woche mit Instrumenten und guter Laune bestückt durchs Land tourt. Graz, Dornbirn, Innsbruck, Steyr und schließlich Wien. Das Chelsea ist die letzte Station der marilang
Der Soundpark Tour Barkeeper Flo
Die Stimmung im engen Backstage-Raum ist anders als in den Tagen zuvor. Nicht nur, weil jeder am anderen irgendwie drauf klebt. Wehmut liegt in der Luft und die Witze sind schriller geworden. Flo, das inoffizielle vierte Mitglied des A.G. Trios, zerstampft Kiwis im Cocktailmixer und schneidet Gurken. Längst ist er nicht mehr nur der persönliche Barkeeper der oberösterreichischen Diskorocker. Flo mixt uns allen lustige Getränke und versucht uns mit seinem einnehmenden Grinsen bei Laune zu halten. Er ist ein Profi. A.G.-Jürgen und -Markus unterhalten sich plötzlich angeregt über Gurkenmasken und alte TV-Shows, in denen Menschen mit Joghurt besudelt wurden. Monika von Sawoff Shotgun spricht über den Nährwert von Gemüse und Zuckersirup in ihrem Glas, während von unten der Soundcheck von Francis International Airport dröhnt.
Heute im Chelsea ist alles anders und doch irgendwie bekannt. Den Indiebuben von Francis International Airport ist der Soundcheck immer noch wichtiger als Essen oder Ausruhen, und bei Sawoff Shotgun ist es immer noch genau umgekehrt. "Wenn die Frage lautet: Essen oder Soundcheck, hat bei uns das Essen klar Vorrang", erklärt Schlagzeuger Philipp den Geheimnis ihres Erfolgs. Nach fünf Tagen on Tour, in denen man die selben Hotels, die selben Backstageräume und die selben Bühnen geteilt hat, weiß jeder recht gut über den anderen Bescheid. Punktgenau, 20 Minuten bevor es losgeht, beginnen Monika, Sonia und Susi mit ihren Stimmübungen. Propellersounds füllen den Backstagebereich, die letzten Dehnübungen werden gemacht, und dann heißt es auch schon: "Never mind the botox, here comes the sawoff shotgun."
Auch im Publikumsbereich ist es eng. Fast kuschelig. Der letzte Tourstopp der FM4 Soundpark ist ausverkauft, und u.a. auch deswegen für alle Bands ein ganz besonderer Abend. Nach spätestens zwei Nummern haben die Sawoff Schwestern die Wiener Gäste für sich gewonnen. A-Capella Charme gepaart mit Rock'n'Roll Posen wirkt einfach. Immer wieder hört man lautes Lachen bei der schrägen Nummer "We are the cleanest girls in town" und bei FM4-Hits wie "Lip my stockings" oder der aktuellen Single "Kids on coke" sind eine Menge Hände in der Höhe.
Umbaupause. Das Geschehene wirken lassen. Vorfreude auf das was kommt.Vor rund sechs Jahren sind Francis International Airport im FM4 Soundpark aufgetaucht. "Eh ganz netter Indiepop", habe ich mir damals gedacht. Heute wäre "eh ganz nett" eine schwere Beleidigung. Ich komme aus dem Schwärmen nicht mehr raus. Die Band rund um Sänger Markus Zahradnicek hat sich enorm weiterentwickelt und ihren Sound gefestigt. Im Publikum sagt jemand "das klingt wie Coldplay" und ein anderer "irgendwie skandinavisch, so gar nicht österreichisch". Scheinbar ist "österreichisch klingen" immer noch negativ behaftet. Wie auch immer, Francis International Airport klingen für mich wie ein langer Spaziergang im Herbst. Egal in welchem Land.
Nach fünf Tagen auf Tour ist das Francis Quintett eingespielt. Die Unsicherheit der ersten Auftritte ist wie weggeblasen. Die Bandmitglieder wirken alle in ihrem Element. Keyboarder Georg Tran scheint über den Klängen dahin zu schweben. Sänger Markus geht ganz in den Songs auf. In seinen Posen, wenn er das Mikro fest umklammert und würgt, erinnert er an den jungen Trent Reznor von Nine Inch Nails. Davon wollen wir mehr, und so schreit das Publikum nach der Schlussnummer "Monsters" lautstark nach einer Zugabe. Und bekommt sie.
In der Zwischenzeit zappeln die Diskorocker vom A.G. Trio schon von einem Bein auf das andere. Markus Reindl alias Aka Tell ist sichtlich nervös. Denn er ist sich nicht sicher, ob der Elektroparty-Auftritt im Chelsea, das ja eher für sein Gitarrenverliebtes Publikum bekannt ist, funktionieren wird. Oder hat schon mal wer was vom Diskotempel Chelsea gehört?
Die Instrumente verschwinden von der Bühne. Geräte mit vielen Knöpfchen werden herangeschafft, und die Unz Unz Musik, wie es auf den T-Shirts der A.G.-ler steht, nimmt das Gürtelbogenlokal komplett ein.
Es dauert ein bisschen länger als in Graz, Dornbirn, Innsbruck und Steyr, aber nach rund zehn Minuten ist auch die Bühne im Chelsea voll. Das A.G. Trio ist nämlich nicht nur mit seinem Barkeeper spendabel. Auch die Bühne ist für alle da. Rumhüpfen ohne Choreographie, dafür mit unglaublich viel Spaß. Kann es eigentlich noch schöner werden?
Egal, die FM4 Soundpark Tour ist zu Ende. Gebührend abgeschlossen mit Nebel in den Augen und Schweiß im Haar. Muskelkater in den Beinen und Ohrwürmern in der Endlosschleife. Ich beachte jetzt einfach mal die weisen Worte meines Vaters und höre auf, wenn es am schönsten ist.