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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

1. 11. 2010 - 12:38

Sonderbestellung

Ich bin EU-Bürger zweiter Klasse.

"Hast du Papiere", sagt mir mein zukünftiger Chef und zeichnet eine rechteckige Figur in die Luft. "Ich habe nur dieses Buch", erwidere ich ihm und versuche ihm die späten Erzählungen von Borges in die Hände zu drücken. Er hat anscheinend keinen Sinn für Humor oder steht nicht auf lateinamerikanische Literatur. "Ohne Papiere geht hier nichts". Schade, er wird nicht mein Chef werden und aus meiner Karriere als Sparefroh wird wohl nichts. Ohne Papiere darf man sich nicht wie ein Depp als Münzenmann anziehen und die Menschen zum Weltspartag begrüßen.

Ich bin EU-Bürger zweiter Klasse. Ich werde nur bei Sonderbestellungen gebraucht. Meine Karierre fing an bei der Weihnachtsbestellung der Gemüsefabrik Süßenbrunn. An Weihnachten brauchen die Österreicher sehr viel Karotten. Und jemand muss sie aussortieren. Alle schlechten, schwarzen und krummen Karotten müssen weg, damit ausschließlich österreichische Möhren bester Qualität am Weihnachtstisch landen. Ich habe stundenlang Karotten sortiert, wie ein Tintenfisch über dem Fließband. Alles erschien mir orange. Auch die Haut der ziemlich lebensmüde aussehenden Frauen aus der Slowakei, die sonst in der Fabrik arbeiteten. Der Chef, der herumlief und mir immer "schneller, schneller" zurief , sah wie eine große Karotte aus.

An Ostern war wieder Sonderbestellung. In einer Bäckerei in Strasshof. Wie sie an Weihnachten ohne Karotten nicht auskommen können, brauchen die Österreicher zu Ostern Unmengen von Plunder und Golatschen. Ich durfte die Kipferln mit Marillenmarmelade besprühen. Ich war der süßeste Typ der Welt. Ich hatte überall Marmelade, Puderzucker und Schokolade auf meinem T-Shirt.

Für die fröhliche Atmosphäre in der Bäckerei sorgte "Radio Niederösterreich". Sängerinen namens Jessica und Jennifer besangen die Liebe und den Schmerz. Manfred, der Krapfenmeister, summte die Lieder leise mit. Aber nicht alle Kollegen waren wie der fröhliche Manfred. Andy, der so aussah, als ob er sich ein Bügeleisen gegen das Gesicht gepallt hat, war immer schlechter Laune. Er nutzte jede Möglichkeit, seine bulgarischen Mitarbeiter anzuschreien. Die Sonderbestellung war erfüllt. Geld bekam ich nicht, meine Nachtarbeit war schwarz, denn Papiere habe ich leider nicht. Egal ob rechteckig oder rund.

Im Sommer 2008 war in Wien Fußballeuropameisterschaft. Es gab wieder eine Sonderbestellung. Diesmal an Bier. Ich habe sehr viel Bier an Fußballfans verkauft. Manche haben gejubelt, andere über den Schiedsrichter geschimpft. Im Großen und Ganzen sind Fußballfans nette Leute.

Irgendwann mitten im Fußballgeschehen kam mein Chef und meinte, ich solle mich verstecken, weil die Fremdenpolizei komme. Als EU-Bürger sollte ich eigentlich keine Angst vor so einer Behörde haben, aber trotzdem fühlte ich mich unwohl. Mein Chef holte zwei Bier und lächelte: "Wiener Schmäh". Österreich hat gerade ein Tor geschossen.

Ich weiß nicht was Integration heißt. Ich will mich integrieren. Immer mit den gleichen Leuten zusammen sein, die gleiche Musik hören, das gleiche Bier trinken und über die gleichen Sachen reden wird auf Dauer langweilig. Deshalb ist die Parallelgesellschaft nichts für mich. Leider stellen sich die Menschen, bei denen ich mich integrieren soll, Integration als modernen Feudalismus vor. Bei Sonderbestellungen verläuft Integration prima. Solange der Boden sauber und der Blick des Integrationswilligen nach unten gerichtet ist.