Erstellt am: 26. 10. 2010 - 14:34 Uhr
Wie widerstehen?
Die deutsche Journalistin Kathrin Hartmann erklärte beim Elevate, warum Biofleisch McDonalds auch nicht essenswerter macht. Bio aus dem Bioladen kann dennoch nicht schaden.
Zur Primetime war wieder alles gut. Der "Yes Men"-Mann wird's schon richten, dachte ich, als nachmittags im Dom im Berg der Diskurs dem Diskursprogramm des Elevate Festivals in Graz fernblieb. Hat sich vielleicht beim Tanzen verausgabt, oder in den frühen Morgenstunden von einem jungen Mann wie ich eins unversehens auf's Auge bekommen, der zuviel von etwas genommen hat, was man eher nicht im Supermarkt kaufen kann. Und schon gar nicht bei Bio-Matzer. Nachmittags setzt es kein Veilchen vom Ausdruckstänzer in rechte Gesichtshälften. Dafür schlafen einem nicht nur die Füße ein.
Die Podiumsdiskussion "Protestbewegungen und zivilgesellschaftliche Initiativen in Österreich - gestern, heute und morgen" trägt ihren Vorlesungscharakter im Titel. Vom ersten europaweiten Kongress für schwarze Frauen bis zum "Audimax-Geburtstag" reicht die Vorstellungsrunde der AktivistInnen am Podium, darüber hinaus kommen sie über zweieinhalb Stunden lang nicht. Die anwesenden fünfzig ZuhörerInnen folgen Monologen. Augenscheinlichste Erkenntnis: auf Ikea-Klippans ist es schwer, Haltung zu bewahren. Schnell an die frische Luft.
The action must go on!
Es streamt gut. Wer sich fragt, was das Aufgebot an Kameras und Richtmikrofonen in den Veranstaltungsorten des Elevate soll, dem sei ein Klick zum Mediachannel des Festivals empfohlen. Diskussionen werden live übertragen. Da kommt auch schon der eine "Yes Men" Mike Bonanno, der Star des heurigen Elevate Festivals. Der sympathische Amerikaner findet seine Rolle als "Celebrity Activist" selbst merkwürdig, wie er sagt. Doch die Dokumentarfilmerin Iara Lee wird ihm gleich ein wenig die Show stehlen. "It's all about the movement" heißt die Podiumsdiskussion, "Global action in a world in crisis" lautet der Untertitel.
Das Elevate Festival lädt kluge Köpfe nach Graz. Diese kritischen Stimmen sind grundsätzlich einer Meinung. Und das ist ein Problem. "Ist jemand von der Freiheitlichen Partei anwesend?", fragt Mike Bonnano ins Publikum. "Freedom Party Members, raise your hand? Okay, we got one. - No? That's too bad. I mean, it's both: good and bad.". Bonanno bringt es auf den Punkt: Die meisten Menschen würden ihren Kindern beibringen zu teilen und andere Kinder nicht zu schlagen. Bis auf wenige Psycho-Eltern à la "Yeah, beat the shit out of that kid!". Die Menschen stimmen in grundsätzlichen ethnischen und moralischen Ansichten überein. Diese gemeinsame, grundsätzliche Ebene müsste man etablieren, selbst mit jenen in populistischen Bewegungen, findet Mike Bonnano.

Elevate
Baby steps solutions
Elevate-Mitveranstalter Daniel Erlacher kurartiert auch die Dokumentarfilm-Reihe agit.doc, die seit 2006 internationales, engagiertes Filmschaffen bei freiem Eintritt im Forum Stadtpark, Graz, zeigt.
Das Gemeinsame von Widerstandsgruppen weltweit beschäftigt Iara Lee, Von der Bewegung der indigenen Bevölkerung am Amazonas, über bewaffnete Kämpfer im Niger Delta zu palästinensischen Hip-Hoppern hat Lee AktivistInnen in fünfundzwanzig Ländern gefilmt. "Cultures of restistance" heißt Lees Doku, die beim Elevate zu sehen war. "Quote editing" nennt Lee ihre Herangehensweise. Die zentrale Fragen der fünfjährigen Recherchen, die zu einem gewaltigen Bilderreigen komprimiert sind: was kann man mit Kreativität erreichen, wenn man nicht den politischen Einfluß und die militärische Macht jener besitzt, denen man gegenübersteht?
Die Demokratische Republik Kongo ist alles andere als eine Demokratie, und nicht zu verwechseln mit dem Staat Kongo.
Gerade war Iara Lee in der Demokratischen Republik Kongo, wo im vergangenen Jahrzehnt sechs Millionen Menschen umgebracht wurden. Davor war sie in Afghanistan mit ihrer Kamera unterwegs. "The NGOs are part of the peace industry“, stellt Iara Lee fest. Spenden Sie! Unterschreiben Sie! Diesen Aufrufen hält Lee Ghandis Motto entgegen: Be the change you want to be.
Von Gaza bis Graz
Zum Vollzeit-Aktivisten müsse nicht jeder werden, soviel ist klar. Doch: Wenn Du MusikerIn bist, schreib einen Song. Wenn Du Grafikdesignerin bist, mach ein Poster. Als FotografIn: mach eine kleine Kampagne. Jeder hat etwas zu geben, abseits von Geld. Sie interessiere sich mehr für "baby steps solutions", sagt just die Frau, die auf einem Boot der Gaza Freedom Flotilla der internationalen Free-Gaza-Bewegung den israelischen Überfall filmisch dokumentierte.
"Wir wollten konfrontieren, aber nicht in diesem Ausmaß", sagt Iara Lee über die Geschehnisse der letzten Maitage 2010. Die israelische Marine kesselte die Boote ein und stürmte sie. Neun AktivistInnen starben. Für Iara Lee ist der Vorfall eine Wendung in der Auseinandersetzung um Gaza. "Menschen mussten ihr Leben lassen, um diese Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aber wir müssen an gewaltfreien Protestformen festhalten. Wir schreiben das Jahr 2010, und wir leben unzivilisiert."
Die in New York lebende Dokumentarfilmerin und Aktivistin intensivierte ihr persönliches Engagement, als die US-Regierung die Invasion in den Irak begann. Zu frustrierend empfand sie es, als Millionen Menschen dagegen demonstrierten, doch der Krieg weitergeführt wurde.

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Wo ansetzen?
Weitere Berichte vom Elevate Festival 2010
Vom Regenwald am Amazonas über die Golfregion zu Women Empowerment in afrikanischen Ländern und bis hin zur Produktion von nachhaltiger Kleidung und gegen das Murkraftwerk in Graz - unendlich scheinen die Problemfelder, die beackert werden wollen. Welche Probleme sollen wir als erste angehen? fragt Iara Lee das Publikum.
Sie selbst setzt aktuell zuallererst bei der Ermächtigung von Frauen an. "Wir haben dieses partriachale System überall auf der Welt, und es hat sich nicht als ein gutes herausgestellt. Ich arbeite intensiv daran, Frauen zu bestärken. Women Empowerment erachte ich für immens wichtig. Ich möchte sehen, ob andere Regierungsformen möglich wären, die Veränderung begünstigen." In Afrika gibt es die erste Präsidentin in Liberia, Ellen Johnson-Sirleaf, und für Südamerika sieht Iara Lee ihr Heimatland Brasilien in Zukunft mit einem weiblichen Staatsoberhaupt. Frau-Sein allein bedeutet freilich noch lange keine andere Politik.